Hier schreiben die Athleten: WAC-Haudegen Michael Liendl über den Höhenflug der Wölfe, Karriere-Abenteuer, Neid und darüber, wie er den Sensationserfolg in Gladbach von innen erlebte.
Im Nachhinein sagen zu können, dass man eine richtige Entscheidung getroffen hat, gehört zu den schönsten Dingen im Leben. Bei mir war das im Sommer 2018 der Fall, als ich mich entschlossen habe, zu „meinem“ WAC zurückzukehren. Das war keine einfache Geschichte damals. Ich hatte zu dem Zeitpunkt das härteste halbe Jahr meiner Profikarriere hinter mir. Bei Twente Enschede hatte ich zwar einen guten Start, in der Rückrunde aber nicht mehr den Funken einer Chance, saß nur noch auf der Bank. Spätestens als Trainer Gertjan Verbeek, der nach seinen Stationen in Nürnberg und Bochum perfekt deutsch spricht, anfing, ausschließlich auf Holländisch mit mir zu kommunizieren, wusste ich: Er mag mich nicht! Ich denke, er brauchte einen Schuldigen, warum es sportlich nicht lief, und er hat sich mich ausgesucht. Ich möchte da gar nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, denn das gibt es einfach im Fußball. Du stehst einem Trainer nicht gut zu Gesicht, er kann mit dir nichts anfangen und lässt dich links liegen. Trotzdem hätte man das anders lösen können. Mir war jedenfalls klar, dass ich einen Tapetenwechsel, einen Neustart brauche, um wieder den Spaß am Kicken zurückzufinden. Es gab auch ein paar Angebote. Eines der spannendsten: Ich hätte nach Australien gehen können, das hätte mich unter dem Abenteuer-Aspekt schon gereizt. Aber mein großer Sohn stand vor der Einschulung, mein kleinerer kam in den Kindergarten, das wäre nicht optimal gewesen. Ohne Kinder hätten wir uns vermutlich auf diesen Schritt eingelassen.
So aber haben wir uns für eine Rückkehr zum WAC entschieden, wo ich zwischen 2012 und 2014 schon zwei richtig tolle Jahre hatte und die Gegebenheiten kannte. Für die Familie optimal, aber auch aus sportlicher Sicht absolut reizvoll. Okay, der Klub wäre im Vorjahr fast abgestiegen. Aber neben mir wurden auch Spieler wie Marcel Ritzmaier oder Michael Novak geholt. Und Lukas Schmitz, mit dem ich in Düsseldorf zusammengespielt und dem ich ein Engagement in Wolfsberg schmackhaft gemacht habe. Weil mit Chris Ilzer auch ein total spannender Toptrainer verpflichtet wurde, dachte ich mir schon, dass wir uns aus dem Abstiegskampf raushalten würden. Dass wir allerdings solch eine unfassbare Erfolgsgeschichte schreiben würden, konnte selbst ich als Berufsoptimist nicht ahnen. Ich habe das Glück, auf eine Laufbahn zurückblicken zu können, bei der ich bei der Klubwahl nur selten daneben lag. Ob die menschlich sensationelle Truppe bei der Austria oder mein schneller Aufstieg zum Führungsspieler in Düsseldorf, meiner ersten Auslandsstation, wo mir die BILD-Zeitung übrigens den Spitznamen „Alpen-Maradona“ verpasst hat – überall durfte ich tolle Menschen und spannende Vereine kennenlernen. Das ist mir im Rückblick sogar wichtiger, als einen Titel gewonnen zu haben. Manche sagen jetzt vielleicht, er muss das sagen, weil sich ein Titel bei mir nie ausgegangen ist, aber ich empfinde das wirklich so. Die Begegnungen, die verschiedenen Philosophien, das ist das, woran ich gerne zurückdenke.
Und trotzdem muss ich sagen, dass die vergangenen eineinhalb Jahre beim WAC vom sportlichen Erfolg her absolut herausragen. Dritter in der Liga, Qualifikation für den Europacup und dann die Erlebnisse in der Gruppenphase, als wir Österreich mehr als würdig in Europa vertreten haben – das ist für einen Klub wie den Wolfsberger AC einfach nicht normal. Über allem steht natürlich unser 4:0-Erfolg in Mönchengladbach, ein Spiel, das wohl niemand vergessen wird, der an diesem Abend dabei war. Ich weiß noch genau, wie wir uns in der Halbzeit in der Kabine, als wir schon 3:0 führten, ungläubig angeschaut haben. „Was ist da gerade passiert, Männer“, habe ich in die Runde gefragt. Und die ungläubigen Gesichter haben mir gezeigt, dass zu diesem Zeitpunkt niemand von uns realisiert hat, was da gerade abgegangen ist. Im Nachhinein kann ich sagen: So ein Erfolg ist nur möglich, wenn wirklich alle – inklusive Ersatzspieler und Betreuerteam – daran glauben.
In diesem Moment wusste ich genau: Der Trainer mag mich nicht!
In Düsseldorf bekam Liendl den Spitznamen „Alpen-Maradona“.
Doch bei aller gerechtfertigten Begeisterung darüber, wie wir aufgetreten sind: Am Ende steht doch, dass wir nach der Gruppenphase ausgeschieden sind. Ein echter Profisportler kann sich von dieser Erkenntnis nicht freimachen. Ich glaube, ich war der Einzige, der nach der Auslosung nicht in grenzenlosen Jubel verfiel, weil ich mir schon dachte, dass in anderen Gruppen die Aufstiegschance größer gewesen wäre. Nicht falsch verstehen: Auch ich war begeistert, in coolen Städten wie Rom, Istanbul oder Gladbach spielen zu können. Aber über allem steht immer der sportliche Erfolg, den konnten wir am Ende des Tages nicht einfahren. Wenn man so viele positive Schlagzeilen schreibt wie wir beim WAC, weckt das natürlich Begehrlichkeiten. Mit Gerhard Struber kam uns im Herbst schon der zweite Trainer abhanden, geliehene Spieler wie Sekou Koita oder Anderson Niangbo werden von ihren Klubs zurückgeholt, andere bekommen eine tolle Chance wie Marcel Ritzmaier oder unser Kapitän Michael Sollbauer in Barnsley. Mein Standpunkt ist: Ich verstehe jeden zu 100 Prozent, der die Chance nutzt, sich zu verbessern, sei es sportlich oder finanziell.
Das ist absolut legitim und kein Grund, von jemandem menschlich enttäuscht zu sein. Aus Vereinssicht ist entscheidend, auf solche Abgänge vorbereitet zu sein. Da sehe ich den WAC gut aufgestellt. Mit Ferdinand Feldhofer wurde ein Trainer geholt, der zur momentan gefragten jungen Garde gehört und gegen den ich selbst noch ein paar Mal gespielt habe. Leider meist mit dem besseren Ende für ihn. Aber er kann sich noch gut in das Leben eines Spielers hineinversetzen, deswegen freue ich mich sehr auf die Zusammenarbeit. Die ersten Wochen in der Vorbereitung waren jedenfalls vielversprechend. Deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass der Erfolgsweg des WAC noch lange nicht zu Ende ist. Ich selbst bin vertraglich mindestens bis Sommer 2021 an Bord. Dann bin ich 35, also in einem Alter, in dem man wirklich nur noch von Saison zu Saison schaut. Aber ganz ehrlich: Ich fühle mich körperlich absolut topfit, habe im Herbst trotz der Doppelbelastung kein einziges Spiel verpasst. Für mich war immer wichtig, meine Stärken, aber auch meine Schwächen zu kennen. Eine sprintstarke defensive Zweikampfmaschine werde ich wohl nicht mehr, dafür habe ich überall gute Scorer-Statistiken abgeliefert, man konnte sich immer auf mich verlassen. Ich sage mal so: Ist doch schön, wenn auch der Klub im Nachhinein sagen kann, dass die Entscheidung, mich zu holen, die richtige war.
Wenn man so viele positive Schlagzeilen schreibt wie wir beim WAC, weckt das natürlich Begehrlichkeiten.
Im ÖFB-Team ist Liendl ein sogenanntes „One-Hit-Wonder“, kam 2014 gegen Tschechien zum Einsatz. „Da fehlte mir das Standing.“