In einer alten Mühle in Tacherting, östlich der bayerischen Landeshauptstadt München, haben Jo Klieber und sein Team schon so manche Bike-Revolution auf die Räder gestellt.
Biken ist Schweiß und Staub und Adrenalin. Sprich: Biken ist Leidenschaft. Warum sollte man sonst sich und sein Bike über unzählige Kilometer Schotter- und Waldwege einen Berg hinauf hieven, um sich dann, unter der ständigen Gefahr abzufliegen, innerhalb weniger Minuten wieder talwärts zu schmeißen? Oder in den Worten des Entwicklers des als legendär geltenden Liteville 301, Jo Klieber: „Alles zusammen, was du bewegst, hebst du auf tausend Meter hoch und hast dadurch Lageenergie erarbeitet. Und das ist dann potenzielle Energie, die du wieder in kinetische Energie umwandeln kannst.“
Stichwort „Leichtbau“
Als Kind, erzählt der Gründer von Syntace (wozu die Bikemarke Liteville gehört) in Tacherting, wollte er immer fliegen. Aber gemäß dem Motto: „Fliegen können sie alle, aber landen haut nicht hin“, lerne man als Kind auch schnell, dass es dafür eine hohe Frustrationstoleranz und jede Menge Ausdauer braucht. Man lerne aber auch, dass sich beim Fliegen alles um Aerodynamik und Leichtbau drehe.
Jahre später kam der gebürtige Schwabe durch einen Motocross-Unfall zum Radfahren. Und wenn man kein sinnloses Gewicht den Berg hinaufschleppen will, ist auch beim Biken Leichtbau gefragt. Also hat er damit begonnen, das Fahrrad neu zu denken: „Weil mein Ansatz nicht so konservativ ist, hab ich nicht so viel Angst, dass etwas nicht hinhauen könnte. Ich hab auch keine Killerphrasen im Kopf wie: ‚Das is nix, weil’s kein Anderer so macht’. Und ich bin auch niemand Rechenschaft schuldig und darf einfach einmal alles ausprobieren. Und dann kommt es mit der ganzen Härte der Realität, die man im Fliegen auch hat – wenn man da mogelt, rächt sich das immer. In der Entwicklung ist es das Gleiche. Man muss damit umgehen, was dabei herauskommt – entweder es war ein Sch*** oder es funktioniert.“
Am Anfang steht für Jo Klieber immer die Freiheit, Dinge auszuprobieren, erklärt er – und dass diese Freiheit zum Erfolg führen kann, hat er oft bewiesen. Sowohl mit einzelnen Komponenten für die Big Player am Bikemarkt als auch mit dem Bau der Liteville-Bikes. Er selbst unterstreicht aber, dass dieser Ansatz nicht immer zum Erfolg führt: „Du darfst nicht vergessen: Von dem, was ich mach’, hab ich eine ungefähre Trefferquote von etwas unter 1:10.“
Der rückwärts laufende Pudel
Viele der Dinge, die er auf diese Art entwickelt hat, beruhen auf recht simplen Beobachtungen aus seinem Alltag. Wie etwa der einfachen Tatsache, dass durch den schräg gestellten Lenkkopf bei modernen Fahrrädern das Vorderrad im Stand wie in Bewegung unweigerlich in eine Richtung einschlägt. Dabei ist das „leichte Ende“ des Fahrrades, also vorne, nur lose mit dem schwereren Ende hinten verbunden – oder, so beschreibt es Jo Klieber: „wie ein Pudel, der rückwärts läuft“. Je stabiler die Verbindung zwischen den beiden Teilen, desto einfacher wird das Handling und desto unmittelbarer wird auch der Informationsfluss vom Untergrund an den Fahrer. Zusammenfasst: „Ich fahr achtzig Grad nach rechts und achtzig Grad nach links – alles andere ist Kulturleistung. Und das nennt man dann Fahrrad fahren.“ Die Leidenschaft des Entwicklers an der Technik flackert immer wieder in den derart pragmatischen Erklärungen auf.
Das „K.I.S.-System“ von Syntace, das auf den soeben genannten Überlegungen beruht und das die Lenkung von Mountainbikes nicht mehr frei drehen lässt, kann als eine technische Feinheit abgetan werden, die am Zeichentisch theoretisch die Fahrbarkeit optimiert. In der Praxis spart das System aber nicht nur Kraft und sorgt für mehr Stabilität. Durch die stabile Verbindung wird das Lenkverhalten eines Bikes präzisiert und dadurch werden beispielsweise auch Drifts über beide Räder besser steuerbar. Das erhöht zweifellos, mit jeder Sekunde mehr in der Zone zwischen Dahingleiten und Abflug, den reinen Fahrspaß.
Präzision ist Leidenschaft
Bei zehn Versuchen sind aber eben auch neun dabei, die schlussendlich nicht funktionieren. Auch sie sind wichtig im Entwicklungsprozess: „Du lernst durch das, was nicht geht, deutlich mehr als durch das, was funktioniert. Denn wenn etwas funktioniert, lernst du in der Regel nicht mehr weiter – weil’s ja funktioniert. Wenn etwas nicht und nicht funktioniert, beschäftigt man sich ein viertes und fünftes Mal damit.“
Es geht ihm da wie den anderen Säugetieren, meint er, die dort hingehen, wo sie die nächste Belohnung erwarten, auf der Suche nach dem Erfolgserlebnis. Doch zuvor muss ein neues Bike den Standards des Chefs gerecht werden: „Ich will eine Belohnung und dazu stell ich mir zuerst einmal vor, es ist weit weg, wo ich keinen Zugriff mehr habe und es muss sich bewähren. Ich versuch es erst einmal kaputt zu machen, stell mich da so blöd an, wie’s geht. Später, wenn ich gesehen hab, dass es gehalten hat, fang ich dann an zu sinnieren.“
Biken ist Staub und Schweiß und Adrenalin – Biken ist aber auch Physik, Präzision und Technik. Und wenn man seinen Ausführungen über Pudel, andere Säugetiere und Mountainbikes zuhört, spricht aus Jo Klieber die pure Leidenschaft. Zu guter Letzt: „Wenn ich diesen Job nicht hätte, dann müsste ich ihn mir kaufen.“