Er macht, was er will. Und das nicht nur mit seinen Gegnern. Seit sechs Jahren ist Usain Bolt der schnellste Mann der Welt -und er hat noch immer nicht genug. Woher nimmt er nur diese Energie? Es scheint, als ziehe er sie aus einem ganz entspannten Lebensstil. SPORTaktiv traf den Weltrekordmann zum Interview.
Usain, vor fünf Jahren hast du mit 9,58 Sekunden einen Fabelweltrekord über die 100 Meter aufgestellt. Ist das für dich heute noch präsent – oder doch schon zu lange her?
Dieser Abend ist weit weg und gleichzeitig ganz nah. Wenn ich daran zurückdenke, spüre ich noch immer eine besondere Energie. Die Stille vor dem Start, dann jubelnde Menschen und ein Meer blitzender Kameras. Das Stadion war elektrisiert, wie aufgeladen. Es waren unwirklich intensive Augenblicke. Ich habe diese Energie in mich aufgesogen und einfach nur genossen.
Du trainierst monatelang für Wettkämpfe, die sich innerhalb weniger Sekunden entscheiden. Gibt es spezielle Techniken, seine Energie im perfekten Moment einzusetzen?
Das ist exakt das, was ich trainiere. Und das ist auch der Grund, warum ich versuche, immer locker zu sein und es auch bis zum Start zu bleiben. Wenn die Anspannung zu hoch ist, wirkt sich das direkt auf deinen Körper und deine Muskulatur aus. Du verkrampfst und verlierst an muskulärer Leistungsfähigkeit. Schnelle Zeiten sind nur möglich, wenn du absolut relaxed bist.
Sind deine berühmten Showeinlagen vor dem Start also auch Teil einer Strategie, um möglichst locker zu bleiben?
Strategie würde ich nicht sagen. Aber es hilft mir auf jeden Fall. Außerdem bin ich der Meinung, dass dies ein Teil meines Jobs ist. Ich laufe ja nur für wenige Sekunden – und die Leute kommen dennoch ins Stadion. Also unterhalte ich sie und bereite ihnen ein wenig Freude. Das passt zu mir, ich bin einfach so. Schon im Alter von 15 Jahren habe ich in Richtung Tribüne gegrüßt. Dann habe ich gemerkt, dass die Menschen das mögen und habe noch ein bisschen mehr Flair dazu gepackt. Mir hilft es dabei locker zu bleiben. Und am Ende sind alle zufrieden.
Verlierst du auch mal deine Lockerheit? Im Gespräch mit einer attraktiven Frau? Oder bei einem Fehler während eines deiner DJ-Sets?
Mit den Ladys gehe ich ganz entspannt um. Da sehe ich keinen Grund nervös zu werden (lacht). Und als DJ geht schon mal was schief. Die Leute denken dann aber meistens, das war Absicht …
Und vor einem großen Finallauf: Bist du da nervös?
Nein, nicht wirklich.
Warum nicht?
Weil ich weiß, dass ich gewinnen werde (lacht). Jedenfalls dann, wenn ich in Form bin. Das ist die Erfahrung der vergangenen Jahre. Nach einer Verletzung kann es schon mal vorkommen, dass ich aufgeregt bin. Weil ich weiß, dass ich zu schlagen bin. Aber mein Coach hat mir gesagt: Usain, niemand gewinnt jedes Rennen … und das ist auch nicht wichtig! Das habe ich mir zu Herzen genommen. Also mache ich mir keinen Stress. Und wir nutzen solche Rennen, um meine Schwächen zu analysieren.
Niederlagen haben also auch etwas Gutes?
Definitiv. Niederlagen sind die größte Chance, besser zu werden. Nach Möglichkeit sollte man sich das Verlieren allerdings für die unwichtigen Rennen aufheben …
Als Profisportler ist ein disziplinierter Lebensstil unabdingbar. Was vermisst du?
Ich vermisse nichts. Und das hat einen bestimmten Grund: Ich habe in all den Jahren beobachtet, wie sich Stars in anderen Sportarten verhalten. Viele von ihnen sind hochtalentiert und verordnen sich höchste Disziplin. Und dann? Packen sie es irgendwann nicht mehr. Der Druck wird zu groß, sie haben Angst etwas zu verpassen. Auf einmal flippen sie aus und produzieren einen Rieseneklat.
Aber ein ausschweifender Lebensstil ist einfach nicht drin …
Natürlich nicht. Aber ich gehe die Sache anders an. Ich bin gerne abends unterwegs. Also verzichte ich auch nicht aufs Nachtleben. Allerdings weiß ich, wann die Party zu Ende sein muss. Ich liebe es, Quad zu fahren. Also fahre ich Quad. Vielleicht nicht am Tag vor einer Weltmeisterschaft, aber an anderen Tagen. Ich mache, was ich will. Natürlich gibt es Grenzen, die gibt es allerdings für jeden. Wenn du dir zu viele Dinge verbietest, raubt dir das deine Energie. Und das macht dich nicht besser in dem, was du erreichen möchtest.
In deiner Biografie steht zu lesen, dass du noch schneller sein könntest – wenn du mehr trainiert hättest. Lässt du das so stehen?
Eine Karriere erstreckt sich über viele Jahre. Und innerhalb eines solchen Zeitraumes gibt es Schwankungen in der Trainingsintensität. Ich habe mir herausgenommen, ab und zu vom Gas zu gehen. Wir sind alle nur Menschen. Aber natürlich gab es auch Zeiten, in denen ich das Maximum aus mir herausgeholt habe.
Nämlich?
Das härteste Training habe ich vor den Olympischen Spielen 2008 absolviert. Da habe ich alles gegeben. Wirklich: alles. Ich wollte perfekt austrainiert in Peking an den Start gehen, habe meine ganze Energie in dieses Ziel fließen lassen. Wochenlang habe ich nur trainiert, gegessen und geschlafen. Und das war es, was ich in meiner Biografie ausdrücken wollte. Vielleicht hätte ich noch länger so hart trainieren können – und wäre 2009 sogar noch schneller gewesen.
Vielleicht wärst du aber auch irgendwann ausgeflippt.
Tja …
Und wie hoch soll die Trainingsintensität in den kommenden Monaten sein?
Es ist mal wieder soweit (lacht). Im nächsten Jahr und bis zu den Spielen in Rio 2016 will ich alles geben. Dort möchte ich noch einmal als vollkommener Athlet antreten – und drei Goldmedaillen gewinnen.
Welchen Tipp würdest du anderen Sportlern geben? Ganz egal, ob sie Profis oder nur in ihrer Freizeit aktiv sind …
Genießt, was ihr tut! Und wenn es euch keinen Spaß macht, dann tut es nicht. Ich habe so viele Menschen erlebt, die Tag für Tag Dinge tun, die sie gar nicht machen möchten. Darin wirst du niemals richtig gut werden. Egal, wie hart du an etwas arbeitest. Wenn du es liebst, ist es keine Arbeit. Nur dann genießt du dein Leben und wirst Großes erreichen. Sonst artet das doch alles in Stress aus.
Bei all diesen Terminen, all diesen Zielen: Gibt es auch Zeiten, in denen du mal so richtig runterkommst?
Klar, die gibt es schon. Beim Domino-Spielen mit meinem Trainer kann ich abschalten. Oder beim Musikhören. Hin und wieder lese ich auch ein Buch. Irgendwer hat mir mal Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ in die Hand gedrückt. Das habe ich mit Sicherheit schon zehn Mal gelesen. Es hat mich wirklich schwer fasziniert.
Warum?
Erst einmal ist es schnell zu lesen (lacht). Es ist ein kurzes Buch, aber sehr ehrlich und vollkommen in seiner Aussage. Es handelt davon, dass der Mensch an sich glauben muss. Und dass er seine Energie eben in genau das investiert, was er liebt ...
DER WUNDERSPRINTER
Usain St. Leo Bolt wurde am 21.8.1986 in Trelawny (Jamaika) geboren. Im Alter von 15 Jahren wurde er 2002 Juniorenweltmeister, ein Jahr später blieb er über 200 Meter als bis heute einziger Junior unter 20 Sekunden (19,75) und erlangte damit erste internationale Aufmerksamkeit. Im Jahr 2007 wurde er zweimal Vize-Weltmeister, bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking holte er Gold über 100 Meter, 200 Meter und mit der 4x100 Meter Staffel – jeweils in Weltrekordzeit. Im Jahr 2009 stellte er bei der WM in Berlin mit 9,58 Sekunden über 100 Meter sowie mit 19,19 Sekunden über 200 Meter zwei neue Fabelweltrekorde auf. Bis heute holte der 1,95 Meter große Jamaikaner sechs Mal Gold bei Olympia, achts WM Titel und stellte acht Weltrekorde auf. Usain Bolt ist der bestverdienende Leichtathlet aller Zeiten, er ist ledig und lebt in Kingston (Jamaika).
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