Rekordsieger des legendären RAAM, Rekordhalter mit mehr als 1000 Kilometern in 24 Stunden: Christoph Strasser ist der vielleicht extremste Radfahrer der Welt. Und noch immer geht es weiter. Hier erzählt er, warum.
Christoph, wie entstand die Liebe zum Radfahren?
Kinder haben Vorbilder, interessieren sich für Tennis oder Basketball. Ich war vom Radsport fasziniert. Nach der Schule habe ich an einem 24h-Rennen teilgenommen. Es hätte eine Viererstaffel sein sollen. Ich war alleine, habe es solo versucht und gemerkt: Das ist mein Sport.
Mit 25 Jahren wurdest du jüngster Ultra-Radmarathon-Weltmeister. Bist du ein Einzelgänger?
Im Gegenteil. Für den Erfolg muss ich ein Teamplayer sein. Du brauchst gute Leute um dich herum, die sich auch untereinander verstehen.
Christoph Strasser hat 6-mal das legendäre Race Across America (RAAM) gewonnen. 5000 Kilometer und 50.000 Höhenmeter von der Westküste bis zur Ostküste durch die USA. Christoph hält mit 7 Tagen, 15 Stunden und 56 Minuten den Rekord. Man braucht ein eigenes Team, bei Christoph elf Leute mit Koch, Sportarzt, Mechaniker, Wohnmobilcrew und weiteren Helfern.
Was ist die Faszination an diesem Rennen?
Es geht um Wettkampf mit Abenteuer. Einen Kontinent zu durchqueren, bei Mond und Sternen durch die Wüste zu radeln. Ich habe Bücher darüber gelesen, Reportagen gesehen – und dann wollte ich es selbst machen.
Wie wird der Schlaf geplant?
Es gibt eine Rennstrategie, die flexibel angepasst wird. Start ist mittags, die ersten 24 Stunden wird durchgefahren. Ein erster Powernap am Beifahrersitz des Begleitautos, um für eine halbe Stunde aus der Hitze rauszukommen. Nach 36 Stunden, in der zweiten Nacht, gibt’s noch einen Powernap oder eine große Pause im Wohnmobil.
Große Pause heißt?
Eine Stunde. 24 Stunden später die nächste große Pause.
Wer entscheidet, wann die Pause gemacht wird?
Ich sage, dass es mir mies geht. Ob ich pausieren kann oder mich noch ein oder zwei Stunden durchbeißen muss, entscheidet das Team.
Nach welchen Kriterien?
Kommt Regen? Haben wir Rückenwind? Liegt eine Stadt mit Rush-Hour vor uns? Das Team kennt die Rennsituation, hat die Wetterprognose und den Streckenplan. Würde ich entscheiden, würde ich viel zu viel pausieren.
Muss man sich darauf konzentrieren, auf Knopfdruck zu schlafen?
Vielleicht beim ersten Nap. Nach ein paar Tagen bist du so müde, dass du sofort einschläfst. Wenn nicht, kann ich auch weiterfahren.
Was tust du gegen Müdigkeit?
Koffein kann helfen. Außerdem hält mich das Team schon mal über Funk mit lauter Musik oder Rechenaufgaben wach.
Jemals im Sattel eingeschlafen?
Ja, glücklicherweise bergauf. Mein Team war beim Tanken, ich bin im Schritttempo einen Anstieg hoch und in der Wiese liegend zu mir gekommen. Das war ein Schock. Taumelst du nach links in den Gegenverkehr, kann das fatal enden. Umso mehr passe ich seitdem auf.
Das Abenteuer hat sich in meinen Kopf verlagert – herauszufinden, was der Mensch alles schaffen kann.
Warum gewinnt man das RAAM sechsmal? Wo willst du hin?
Der Antrieb war immer das Erlebnis. Das Training, die Vorbereitung – um dann unterwegs zu sein, die Stimmung im Team zu spüren und ein spannendes Rennen zu fahren. Außerdem habe ich mein Geld damit verdient. Andere Fahrer sind nur einmal dabei, die Kosten für ein Rennen liegen bei etwa 50.000 Euro.
Wie hat sich das RAAM für dich verändert?
Das Abenteuer hat sich in meinen Kopf verlagert. Wie kann ich noch besser trainieren? Mehr leisten? Wie kann ich Konkurrenten psychisch und physisch hinter mir lassen? Es wurde immer spannender, herauszufinden, was der Mensch alles schaffen kann.
Im Juli 2021 gelang Christoph so etwas wie der „perfekte Tag“: Er durchbrach als erster Mensch die Schallmauer von 1000 km, mit 42,75 km/h im Schnitt fuhr er in 24 Stunden 1026,215 km, stellte dabei 11 weitere Weltrekorde auf; über die Kilometer- und Meilendistanzen 100, 200, 300, 500 sowie über sechs, 12 und 24 Stunden.
Wie geht man so ein Projekt an?
Wir haben ein Jahr investiert, den VO2max auf gute 70 trainiert, den VLamax auf eine Laktatproduktion von etwa 0,2 gebracht. Kohlenhydrate und Fettoxidation pro Stunde waren berechnet. Mein Trainer prognostizierte mir 275 Watt über 24 Stunden. Die Unbekannte war die mögliche Pace: Wir haben mit der Aerodynamik experimentiert. Sitzposition, Anzüge, Helme, Rollwiderstand, Kugellager. Am Ende war ich viel schneller als gedacht.
Woran lag’s?
Am Zusammenspiel aus Watt und Material. Außerdem konnte ich dauerhaft 100 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde aufnehmen und verdauen. Wir haben mit Peeroton ein Getränk mit neuer Rezeptur entwickelt. Außerdem nehme ich eine Flüssignahrung aus dem Krankenhausbereich, die mich mit Fett und Eiweiß versorgt.
Ist das Sport oder Biologie?
Es entmystifiziert das Narrativ, über sich hinauszuwachsen. Der Körper muss es hergeben. Wenn du zu wenig Treibstoff hast, hilft dir deine Psyche auch nicht mehr.
Früher fuhr Christoph bis zu 40.000 Kilometer im Jahr. Inzwischen sind es 1000 Stunden, rund 30.000 Kilometer plus Rennkilometer. Zu viel Training erfordere zu viel Regenerationszeit. Beim ersten RAAM habe er Knieschmerzen gehabt, sagt er, aber heute nicht mehr. Kein Stop-and-go, keine Stoßbelastung: Radfahren ist eine gesunde Art der Bewegung.
Hängst du stark an deinen Performancedaten?
Früher habe ich viel gemessen. HRV, Schlafzyklen, Körperfett. Damit habe ich aufgehört. Ich messe nicht einmal meinen Ruhepuls. Ich spüre lieber, wie ich drauf bin. Das Optimieren nach Zahlen muss man auch mal loslassen. Am Ende geht es um die Freude am Sport.
Wie trainierst du?
Ich verfüge über die Erfahrung, wie sich 24 Stunden im Sattel anfühlen. Deshalb muss ich das nicht mehr ausprobieren und trainiere klassisch: Grundlagentraining von vier bis sechs Stunden. Dazu Intervalltraining, um die Leistungsschwelle nach oben zu bringen.
Wie intensiv ist das bei dir?
Heute stehen fünf mal zwei Minuten mit 440 Watt an. Ganz ehrlich: Das macht mir keinen Spaß. Man wird aber dann besser, wenn man trainiert, was man nicht mag.
2022 und 2023 gewann Christoph Strasser das Transcontinental Race. 4000 Kilometer von Geraardsbergen in Belgien über sechs Gebirge mit 40.000 hm durch 12 Länder bis Südeuropa, zuletzt nach Thessaloniki. Ohne fremde Hilfe. Die Strecke kann bis auf einige fixe Abschnitte frei gewählt werden. Christoph war auf einem Specialized Roubaix-Endurance mit 28mm-Reifen unterwegs.
Wie viele Worte kennst du für Straßenbelag?
In Südosteuropa hat sich mein Horizont definitiv erweitert. Albanien ist anders. Weniger Autos, Pferdekutschen, viele Menschen zu Fuß. Manche Strecken führen über Geröll. Ich habe mein Rad getragen. Bei diesem Rennen geht es auch darum, Dinge zu akzeptieren und gelassen damit umzugehen.
Wie hast du die Strecke ausgewählt?
Ich fahre am liebsten auf Asphalt, nehme gerne einen Umweg in Kauf, um schneller zu fahren. Der am Ende zweitplatzierte Robin Gemperle kommt vom Cross-Country, hat direkte Schotterpisten gewählt. Das sorgte für eine spannende Renndynamik.
Was gab’s zu essen?
Viel Brot, Thunfisch und Fruchtsaft. Man muss sich selbst versorgen, einkaufen – wobei man unterwegs an Tankstellen oft nur Junkfood findet.
Besonderheiten in der Ausrüstung?
Eine grundsätzliche Frage ist: Powerbank oder Dynamo für Handy und Navi? Unabhängig, dafür mit mehr Widerstand, ist man mit Dynamo. Steckdosenpflichtig, aber leichter am Rollen mit Akku. Da bin ich eher der Dynamo-Typ. Dazu die Klassiker: Schlafsack, Werkzeug, Ersatzteile.
Schlafen in der Pension oder outdoor?
Outdoor ist romantisch. Trotzdem musst du eine Stelle zum Schlafen finden, ein Bushäuschen oder unterm Dach am Supermarkt, wo die Einkaufswagen stehen. Aber in der Früh ist alles feucht. In Südosteuropa sind auch freilaufende Hunde ein Thema. In einem Zimmer kannst du duschen, trocknen, wunde Hautstellen versorgen. Bei einer Schlafdauer von drei Stunden ist es das wert.
Trotz Vorsprung waren die letzten 150 Kilometer bis Thessaloniki eine Tortur. Warum?
Ich habe den Abschnitt falsch eingeschätzt, war 45 Kilometer auf Schotter unterwegs, bin in den Sand eingesunken, war zu langsam für den Dynamo, also ohne Licht. Die Akkuleuchte war leer. Ich habe den GPS-Tracker verloren, musste im Dunkeln am Boden suchen. Dann noch im Rotlicht meiner Rückleuchte den Schlauch wechseln. Ich habe geflucht. In Thessaloniki die finalen zehn Kilometer mit Anstiegen über 15 Prozent und glatte Pflastersteine nach unten. Ich hatte Angst zu stürzen, habe mein Rad noch mal getragen. Am Ende war ich glücklich über den Sieg. Und froh, dass es vorbei war.
Der bis heute schönste Augenblick auf all deinen Routen?
Montenegro und Albanien sind unglaublich schön. Unberührte Landschaften, herzliche Menschen. Für mich die Faszination dieses Rennens: weil es deinen Horizont erweitert. Nicht als Sportler, sondern vor allem als Mensch.