Warum ein Rennrad in den Fuhrpark holen? „Fahre so viel oder so wenig, so weit oder nicht so weit, wie du willst. Hauptsache, du fährst“, sagte einst der legendäre Eddy Merckx.
Dumpf wummernd und bollernd quittieren die hohen Carbonfelgen jede Tempoverschärfung, willig setzt der steife Rahmen jedes aufgebrachte Watt scheinbar mühelos in Vortrieb um. Leicht und lautlos laufen die Reifen über den glatten Asphalt, einzig der Fahrtwind und die brennenden Waden und Lungenflügel künden vom Rausch der Geschwindigkeit.
Die Wissenden unter euch bedürfen wohl keiner weiteren Worte. Wer das schwerelose Gleiten der ungefiltertsten, ehrlichsten aller Radsportdisziplinen noch nie am eigenen Leib erfahren durfte, der sollte die flotten Kilometer geduckt hinterm Rennbügel unbedingt auf seine Bucket-List setzen. Mit der Nase im Wind durch endlose Weiten, aus eigener Kraft über einsame Pässe und wie berauscht bergab durch enge Kehren, behände durch hochalpine Landschaften – bevor man den sprichwörtlichen „bucket kickt“, muss man einfach einmal in die Pedale der unbeschwerten Straßenrenner getreten haben.
Versuch einer Klassifizierung
Allen aktuell unter dem Schirm der Rennräder gehandelten Bikes gemein sind Rennlenker mit gebogenen Bügeln, ein starker Fokus auf 700c-Laufräder und ein (mehr oder minder) starres Heck mit ebensolcher Gabel samt schwerem Fokus auf hydraulische Scheibenbremsen. Neben aggressiv gezeichneten Wettkampfrennern hatte sich über die Jahre eine zweite, deutlich komfortablere und auf lange Strecken hin optimierte Kategorie der Endurance-/Granfondo Bikes etabliert. Auch wenn die Kategorien heute immer mehr untereinander verschwimmen, Attribute und Stärken zu neuen Stärken verschmelzen: Auch 2022 lassen sich die Räder noch in Race- und Endurancebikes unterteilen, erklärt Max Koenen, Rennrad-Entwickler bei Scott.
Für Racer
Mit flachen, tiefen Rohrprofilen und in der Regel hohen Laufrädern treten die Aero-Räder als Experten im Flachland auf, helfen ob ihrer windschlüpfrigen Formgebung Watt zu sparen und stehen für maximale Geschwindigkeit in ebenem und hügeligen Terrain. Klassisch geformte Rahmen mit schlanken Rohrprofilen und flachen, leichten Felgenprofilen wiederum sind perfekt für hohe Pässe und kletterfreudige Piloten, machen sich aber auch gut als leichtfüßige Allrounder. In den letzten Jahren drängte allerdings eine Flut an aerodynamisch optimierten Bergziegen auf den Markt. Diese Allrounder vereinen das niedrige Gewicht und den höheren Komfort der schlanken Formen mit klaren Aero-Vorteilen und bieten für den (renn)sportlich ambitionierten Hobbyfahrer wohl den besten Kompromiss für jede Art der Topografie.
Echte Racer kommen in der Regel mit niedrigem Stack und langem Reach, weiß Koenen. Da die Rahmen in der Regel tatsächlich dem entsprechen, was die Fahrer der Pro-Tour-Teams in Rennen quer über den Globus unterm Hintern haben, erlauben – oder erfordern – echte Racebikes eine entsprechend sportliche (gestreckte, aerodynamisch gebeugte) Sitzposition. Neben aerodynamischen Attributen zeichnen sie ein ausgereiztes Rahmen- und Gesamtgewicht sowie tendenziell höhere Laufräder aus, so Christian Köhr vom amerikanischen Innovationstreiber Specialized. Und auch die Übersetzungen, so Koenen, zeigen sich meist durchaus sportlich, sprich mit ab Werk größeren Kettenblättern und fein abgestuften, aber kleinen Ritzeln an der Kassette.
Gerade wer längere Distanzen fährt oder häufig auf schlechtem Asphalt unterwegs ist, sollte aber beim Thema Reifen „modern“ denken, legt Alexander Steurer vom heimischen Hersteller Simplon nahe. Schmale, prall gefüllte 23-mm-Pneus waren gestern. Hier dürfen es durchaus 25, besser noch 28 oder 30 mm sein. „Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Reifen mit einer Breite von 28 mm bei deutlich reduziertem Druck mit gleichem Energieaufwand durchaus schneller sind als ihre schmalen Pendants – und dabei sogar noch mehr Komfort liefern“, gibt Köhr mit auf den Weg. Neugierigen rät auch Koenen zu breiten Felgen mit Tubeless-Reifen um die 28 mm – „wer es einmal ausprobiert hat, will nichts anderes mehr“, ist sich der Scott-Entwickler sicher.
Für Genießer
Deutlich komfortabler, nicht nur ob einer weniger aggressiven, aufrechteren Sitzposition, sondern auch durch besser gedämpfte Rahmen (teils mit speziellen „Dämpfungselementen“) und breiteren Reifen bis 30 mm, zeigen sich Endurance-/Granfondobikes als perfekte Wahl für entspanntes Gleiten und lange Strecken. Durch ihre große Reifenfreiheit schlagen sich letztere auch bei schlechter Straßenqualität gut, wildern teils auch schon im Gravel-Terrain.
Ein höherer Stack mit kürzerem Reach, so Koenen, entschärft dabei die Geometrie und sorgt für besagten Komfort und reduzierte Nacken- und Rückenschmerzen auf langen Distanzen. „Aerodynamik und Gesamtgewicht stehen hier nicht mehr alleinig an erster Stelle“, erklärt Köhr. Außerdem bieten die Räder ab Werk in der Regel leichtere Übersetzungen, sprich Kompact-Kurbeln mit kleineren Kettenblättern und Kassetten mit größeren Ritzeln. Damit verlieren Steigungen an Schrecken und es wird leichter auch an langen Anstiegen eine knieschonend hohe Kadenz zu halten. Reifen bis 30 mm machen hier besonders Sinn.
Für Einsteiger
Einsteigern rät Köhr davon ab, sich direkt auf eine Materialschlacht einzulassen. Nur weil ein Rad günstig ist, muss das nicht bedeuten, dass man damit nicht auch Spaß haben bzw. schnell fahren kann. Köhr empfiehlt einen Start mit Alurahmen. Diese sind grundsätzlich günstiger in der Anschaffung und auch beständiger gegenüber etwaigen äußern Einflüssen wie Stürzen oder Umfallern. Für Koenen darf es ruhig auch schon zu Beginn Carbon sein. Spätestens wer Blut geleckt hat und nach einem Upgrade sucht, ist mit hochwertigen Carbonmodellen und günstiger Ausstattung (späteres Hochrüsten immer möglich) bestens beraten.
Bei aller Sparsamkeit sollte man aber zeitgemäß bleiben. Räder mit Felgenbremsen – ja, auch diese finden sich nach wie vor am Markt – sehen weder Steurer noch Köhr als empfehlenswerten Einstieg. Auch wenn Scheibenbremsen vielleicht etwas kostenintensiver sind: Sie erhöhen die Sicherheit enorm.
Tipps zum Kauf
Wer ein Rennrad anschafft, sollte sich am Fachhandel orientieren, im besten Fall auch in ein professionelles Bikefitting investieren. „Das Rad muss an den Fahrer angepasst werden und nicht umgekehrt. Die passende Rahmengröße und die korrekt bemaßten Anbauteile sind Grundvoraussetzung für schmerzfreien Fahrspaß“, gibt Steurer mit auf den Weg. Besonderes Augenmerk sollte man dabei auch auf den Sattel legen. Ob Rahmen aus Carbon oder Aluminium, elektronische oder mechanische Schaltung – das entscheiden für Hobbyfahrer Geldbörse, Emotionen und Performance-Anspruch. Spaß, den gibt es auch schon für kleines Geld.