Mehrkämpfer gelten als die Könige der Athleten. Völlig zu recht, wenn man sich mal auf eine Challenge mit Ivona Dadic eingelassen hat. Die Weltklasse-Siebenkämpferin gilt als beste Allrounderin, die allerdings erst im Wettkampf so richtig aufblüht.
Am Ende wurde Ivona Dadic dann doch etwas übermütig. „Bei der Kugelstoß-Challenge gebe ich dir 4 Meter Vorsprung“, meinte die Siebenkämpferin. Ich: „5 Meter.“ Sie: „Na gut, 4,50 Meter.“ Im zweiten Versuch schleuderte sie dann die vier Kilo schwere Kugel auf 12,48 Meter. Dank bemerkenswert geduldiger Hilfe ihres Spezialtrainers Klaus Moser („Spannung aufbauen, rechter Ellbogen hoch, linke Hand voraus ... Wo ist die linke Hand???“) gelangen mir im dritten Versuch 8,45 Meter. Klarer Sieg also für den bis dahin überforderten Herausforderer. Es sollte das einzige echte Erfolgserlebnis bleiben an einem Tag, an dem mich die beste Mehrkämpferin Österreichs nicht nur in die faszinierende Welt der Speere, Latten und Startblöcke eintauchen ließ, sondern mir auch klar und deutlich meine Grenzen aufzeigte.
Hochsprung und Kugelstoßen
Im richtigen Leben beginnt ein Siebenkampf mit einem Sprint über 100 Meter Hürden. Wer noch nie das Vergnügen hatte: Es ist ein Erfolg, dabei überhaupt die Ziellinie zu erreichen, ohne Bekanntschaft mit der Tartanbahn zu machen. „Vor der ersten Disziplin bin ich meistens extrem nervös, dazu kommt, dass die Anspannung bei Bewerben, bei denen es einen Startschuss gibt, bei mir ohnehin höher ist“, verrät Ivona.
Heute steht auf der Anlage der Sportunion St. Pölten allerdings kein Lauftraining auf dem Programm, sondern in erster Linie Hochsprung und Kugelstoßen. Für Ersteres gesellt sich Inga Babakowa zu uns, ihre Spezialtrainerin, die in den 1990er-Jahren mit einer Bestleistung von 2,05 Metern zur absoluten Weltspitze gehörte. „Sie ist die strengste meiner Spezialcoaches, will immer, dass ich alles perfekt mache“, sagt Dadic. „Durch sie habe ich bei der Technik einen enormen Schritt nach vorne gemacht.“
"Keine Sorge, tut nicht weh"
Während Ivona (Bestwert 1,87 Meter) sich mit ein paar Sprüngen locker Richtung 1,60 Meter bewegt, schlägt sie vor, ich soll mal mit 1,05 Metern anfangen. Anlauf zunächst locker, zum Schluss immer schneller und dann explosiv abspringen. Typischer Anfängerfehler: Man springt beim Fosbury-Flop gerade nach vorn ab und dreht sich erst in der Luft. Vorausgesetzt, man hat keine Angst, mit dem Kopf voraus in die Stange zu springen. „Keine Sorge, tut nicht weh, und das mit dem Drehen geht ganz automatisch“, beruhigt mich Ivona. Was auch tatsächlich bis zu einer Höhe von 1,25 Metern funktioniert, danach hilft auch das rhythmische Klatschen beim Anlauf nichts mehr. „Sehr ästhetisch“, macht mir Trainer Philipp Unfried, seit 2014 ihr Headcoach, ein durchaus ironisches Kompliment. Zur Veranschaulichung legen wir am Schluss die Latte auf besagte 1,87 Meter – unvorstellbar ohne Trittleiter.
Ivona Dadic gehört zu den AthletInnen, die erst im Wettkampf so richtig auf Touren kommen. „Ich bin das Gegenteil von einer Trainingsweltmeisterin“, erklärt sie. „Als ich die 1,87 Meter gesprungen bin, kam ich im Training davor gerade einmal auf 1,70 Meter. Und beim Kugelstoßen hole ich meistens bis zu einem Meter heraus, wenn ich weiß, dass es um etwas geht.“ Das ist jedenfalls besser als andersherum. Bis vor Kurzem war Dadic mit 6552 Punkten österreichische Rekordhalterin, ehe Verena Preiner ihr beim Meeting in Ratingen diese Bestleistung abluchste. Was Dadic durchaus fuchste. „Bei der WM in Doha will ich mir den Rekord zurückholen“, kündigt sie an (siehe Interview).
DISZIPLIN | BESTLEISTUNG |
100 Meter Hürde | 13,56 |
Hochsprung | 1,87 |
Kugelstoßen | 14,86 |
200 Meter | 23,61 |
Weitsprung | 6,49 |
Speerwurf | 52,48 |
800 Meter | 2:10,67 |
Dadic‘ höchste Punktezahl liegt bei 6552, was bis zum Meeting in Ratingen österreichischer Rekord war (geknackt von Verena Preiner mit 6591 Punkten). Die Resultate werden mithilfe einer Formel in Punkte umgewandelt, die Addition der Punkte ergibt das Ranking.
Speerwurf: Ziemlich leicht, ziemlich unhandlich!
Doch zunächst geht es beim Training mit dem Speerwurf weiter. Der erste Eindruck: ganz schön leicht das Ding. Der zweite: und ziemlich unhandlich. Dadic überlässt mir einen Speer für Männer (800 Gramm) und erklärt: „Arm nach hinten durchstrecken, der vordere Teil nah am Kopf, gerade halten.“ Was bei den Profis so leicht aussieht, entpuppt sich als ziemlich krampfhafter Versuch, überhaupt einen gültigen Wurf hinzubekommen. Denn: Wenn der Speer mit der hinteren Hälfte zuerst landet, gilt es nicht. Auch nur die Hälfte der 52,48 Meter, die Dadic, die in dieser Disziplin vom norwegischen Olympiasieger Andreas Thorkildsen und der früheren österreichischen Meisterin Elisabeth Eberl trainiert wird, in ihrer Bestenliste stehen hat, zu erreichen, ist absolut aussichtslos. Das Training mit Thorkildsen wird in der Regel übrigens via WhatsApp bestritten. Dadic macht einen Wurf, Trainer Unfried schickt das Video nach Norwegen und wenn Ivona mit dem nächsten Speer bereitsteht, gibt es bereits ein Feedback. „Er möchte mich immer gleich korrigieren, damit ich keinen Fehler ins nächste Training mitnehme.“
Auf diese Art und Weise funktioniert auch das Training mit Dwight Phillips, 2004 Olympiasieger im Weitsprung, unserer nächsten Disziplin. „Was traust du mir zu“, frage ich vorsichtig. „Na ja, 4,20 Meter ...?“ Danke, sehr freundlich. Dadic läuft normalerweise 40 Meter an und benötigt dafür 18 Schritte. „Dir würde ich am Anfang die Hälfte raten.“ Sie wird wissen, warum. Nach dem ersten Versuch schwenkt sie die rote Fahne, übertreten, ungültig. „Beim Anlauf einen Schritt weiter zurück.“ Beim zweiten, einem Sicherheitssprung, verschenke ich locker 20 Zentimeter am Balken, der dritte fühlt sich dagegen einigermaßen gut an. „3,80 Meter“, sagt Ivona, die bei den Sprungdisziplinen ohnehin zu den stärksten Athletinnen im Feld der Siebenkämpferinnen zählt.
"Die 800 Meter sind hammerhart!"
Wobei ihre ganz große Stärke in ihren Allround-Qualitäten liegt. „Ivona gehört zu den Athletinnen, die wirklich alles sehr gut können“, sagt Trainer Unfried. „Bei manchen weiß man, dass sie herausragend werfen und nicht besonders gut laufen können, bei anderen ist es umgekehrt.“ Für Dadic selbst gibt es keine echten Lieblings- und Hassdisziplinen, sehr wohl aber Präferenzen. „Kugelstoßen hat den Vorteil, dass man sich körperlich am wenigsten anstrengen muss. Die 800 Meter sind dagegen hammerhart!“ Und zwar sowohl im Training als auch im Wettkampf, da diese Distanz traditionell am Schluss gelaufen wird. „Die erste Runde versuche ich zwischen 63 und 64 Sekunden zu laufen, bei der zweiten geht es darum, nicht abzubauen. Ab 500 Metern tut es richtig weh.“
Da man in der Regel genau weiß, wie viele Punkte man im letzten Wettkampf für eine gute Platzierung benötigt, versucht man auf die entsprechende Zeit zu kommen. Von einem solchen Ansatz bin ich so weit entfernt wie von Ivonas Bestzeit von 2:10,67, wobei Bestleistungen für Dadic gar nicht so eine hohe Bedeutung haben. „Es ist viel besser, hohe Leistungen konstant abrufen zu können, als wenn man einmal eine Bestleistung schafft, die dann in der Statistik steht. Ich hab nichts davon, 6,90 Meter zu springen, wenn es sonst immer nur 6,20 Meter sind. Dann lieber konstant 6,50 Meter.“
Das Training ist vorbei, Ivona Dadic packt ihre sechs Paar Schuhe ein. Richtig gelesen: Für fast jede Disziplin gibt es ein eigenes Paar, nur die 100 Meter Hürden und die 200 Meter Sprint werden mit demselben Paar ausgetragen. Mit oder ohne Spikes, ultraharte Sohle oder biegsam, federleicht oder widerstandsfähig, je nach Bedürfnis. „Wahrscheinlich bin ich deswegen Siebenkämpferin geworden, weil ich dann so viele Schuhe haben kann“, sagt die 25-Jährige und lacht. Für sie geht es jetzt noch in den Kraftraum, ich gebe dagegen w.o. und freue mich auf eine Dusche. Aber sie weiß auch genau, wofür sie sich sechs Tage in der Woche, in der immer alle Disziplinen mindestens einmal trainiert werden, quält. Denn von der WM in Doha möchte sie mit einer Medaille um den Hals nach Hause fliegen. Und dort wird sie ihren Konkurrentinnen ganz gewiss keinen Vorsprung einräumen.