Mitten in der Corona­-Zeit, bei Nässe, Wind und ohne Zuschauer hat Peter Herzog in London in 2:10:06 einen österreichischen Marathonrekord aufgestellt. Wie macht das der Salzburger, der 2016 noch Hobbyläufer war? Was treibt ihn an? Wohin kann es noch gehen?

Christof Domenig
Christof Domenig


Sir Mo Farah wurde viermal Olympiasieger (je zweimal über 5000 bzw. 10.000 m), sechsmal Weltmeister und 2017 von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagen. Er macht sich aber auch als Pacemaker gut. Der britische Topstar führte beim London-­Marathon am 4. Oktober jene Gruppe mit 2:11-h-Zielzeit bis Kilometer 30, in der sich auch Österreichs Beitrag in dem exklusiven, auf 40 Mann limitierten Elitefeld einreihte.

Die 2:10:06 Stunden von Peter Herzog waren nicht zuletzt auch Resultat einer goldrichtigen taktischen Entscheidung. Mit seiner Bestzeit von 2:10:57 und dem österreichischen Rekord von Lemawork Ketema von 2:10:44 vor Augen wollte sich der Salzburger ursprünglich an die Gruppe mit 2:08 Zielzeit anhängen. Doch angesichts der widrigen Bedingungen – Kälte, Dauerregen, kräftiger Wind – entschied sich Herzog dann doch für die Farah-Gruppe. Lassen wir Peter Herzog selbst nacherzählen: „Die 2-Kilometer-Runde, die 20-mal zu laufen war, war auch eine Unbekannte. Am Anfang ist mir das nicht leichtgefallen, ich hab mir kleine mentale Brücken gebaut, mich Runde für Runde weitergehantelt. Die Strecke war zum Glück relativ windgeschützt. Ab der Hälfte ist es immer besser gegangen, und bei Kilometer 35 – das ist normalerweise eine kritische Phase – habe ich gemerkt, dass ich noch richtig Kraft habe. Aber ich hab auch gelernt, dass ein Marathon hintenraus noch bös’ werden kann, man kann auch auf den letzten zwei Kilometern noch viel verlieren. Ich bin aber hintenraus immer selbstbewusster und stärker geworden. Im Ziel war es Euphorie, ein ganz besonderer Moment. Ich hätte ja nie geglaubt, dass ich einmal so weit kommen kann.“

Entwicklung des österreichischen Marathon-Rekords

2:12:22 h – Gerhard Hartmann, Wien, 13. 4.1986
2:10:47 h – Günther Weidlinger, Frankfurt, 25. 10. 2009
2:10:44 h – Lemawork Ketema, Wien, 7. 4. 2019
2:10:06 h – Peter Herzog, London, 4. 10. 2020

Den ersten Halbmarathon in London absolvierte Herzog in der Farah-Gruppe in 1:05:19, den zweiten in 1:04:47. Also ein „negative Split“. „Für richtige Bestzeiten ist das so was wie ein Geheimrezept, denn wenn du hintenraus verlierst, verlierst du meist doppelt und dreifach. Ein negative Split zeigt auch, dass du die richtige Taktik gewählt hast“, freut sich Herzog. Die 2:10:06 waren die schnellste Zeit eines Österreichers auf der Marathondistanz und Platz 12 in dem stark besetzten Rennen. Außer Herzog gelang kaum einem Teilnehmer eine persönliche Bestzeit.

Die Eckdaten (und Bestzeitentwicklung) des Salzburgers kann man nicht oft genug nacherzählen: Nach einer Jugend im Biathlon, Stationen beim Bike-Trial und (Hobby-)Triathlon knackte er 2016 mit 28 Jahren als Hobbyläufer die 2:30 h. Da erst begann ihn der Marathon richtig zu reizen. Mit 2:15:29 holte er bei der Europameisterschaft 2018 mit Lemawork Ketema und Christian Steinhammer Team-Bronze für Österreich, seit Herbst 2018 ist er Heeressportler und damit quasi Profi. Im September 2019 qualifizierte sich der Union-Salzburg-Athlet mit 2:10:57 in Berlin für die Olympischen Spiele 2020.

Frühling 2020: Ein Rennen nach dem anderen und schließlich auch die Olympischen Spiele von Tokio werden abgesagt: „Das war schwierig, weil ich die großen Ziele brauche, um mich Tag für Tag zu schinden.“ Herzog fügt aber auch hinzu: „Ich bin ja kein Einzelschicksal – für fast alle Sportler, für die Wirtschaft, für ganz viele Menschen ist die Zeit hart.“ Das Gefühl vieler Hobbyläufer, ohne Ziel dazustehen, kann er deswegen gut nachvollziehen: „Ich habe mich im Frühling zuerst schwer­getan. Mir hat dann geholfen, als ich mich entschieden habe, den Trainingsplan sein zu lassen, einfach in die Natur rauszugehen und der Freude wegen zu laufen. Das war auch mit meinem Trainer Johannes Langer so abgesprochen.“

Im Gegensatz zu den Hobbyläufern war die Saison für die Eliteläufer wenigstens nicht zur Gänze frei von „echten“ Wettkämpfen: Im August gewann Herzog den Staatsmeistertitel über 5000 Meter. Ebenfalls Anfang August kam die Nachricht, dass er unter den nur 40 eingeladenen Eliteathleten beim London-Marathon ist.

„Ohne Olympia-Qualifikationsdruck diesen Rekord zu laufen, bei diesen bescheidenen äußeren Verhältnissen. Einfach, weil er es kann!“ Da zieht auch SPORTaktiv-Lauf­experte Herwig Reupichler den Hut. Der Trainer von Spitzenmarathonfrau Eva Wutti glaubt, dass Herzogs später Einstieg in den Laufsport kein Nachteil war. „Er kommt ja vom Biathlon, hat dann auch Triathlon betrieben, hat die Ausdauerbasis. Dem Herz ist es prinzipiell egal, wie Ausdauer trainiert wird. In den letzten Jahren hat er sich auf seine Stärke Laufen konzentriert, trainiert richtig viel und verkraftet auch viel. Er hat insgesamt noch nicht so viele Laufkilometer am Tacho wie andere und wird, je mehr Laufkilometer er sammelt, immer noch besser.“ Nicht zu vergessen: „Er hat mit dem späten Einstieg ins Laufen ein neues Kapitel aufgeschlagen, entsprechend ist die Motivation frisch“, analysiert Reupichler.

Ein Thema, dass auch Hobbyläufer dezeit sehr interessiert, sind die Laufschuhe: Herzog lief in London mit einem Abkömmling jenes Nike-Prototyps, mit dem vor einem Jahr Eliud Kipchoge in Wien die 2:00-Schallmauer knackte. Mittlerweile sind ja andere Hersteller nachgezogen und haben Schuhe mit ähnlichen Konzepten – viel Dämpfung sowie Carbon für ein reaktives Verhalten – entwickelt. „Der Schuh lässt einen nicht direkt schneller laufen“, glaubt Peter Herzog, „aber die dicke Dämpfung hilft, damit die Muskulatur länger frisch bleibt. Harte Stoßbelastung wird besser abgefedert, was einem auf den letzten Kilometern zugutekommt.“ Neben Rennen verwendet der Salzburger die Schuhe für ausgewählte Trainingseinheiten und ist sicher, dass die Regenerationszeit damit kürzer ausfällt. Sind sie auch für Hobbyläufer geeignet? „Für 4-Stunden-Läufer wird es vom Fußaufsatz her nicht ideal sein. Aber das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.“ Selbst viele Eliteläufer seien sich in der Schuhfrage noch unsicher, gibt der Rekordmann zu bedenken.

Gedankenspiele, welche Zeit in London bei optimalem Wetter möglich gewesen wäre, will er nicht anstellen. „Es war natürlich noch Luft nach oben – aber es war auch ein genialer Lauf.“ Die sechs Sekunden, um die er die 2:10-Schallmauer verpasst hat, hätten ihn am Ende überhaupt nicht gestört. „Vor ein paar Jahren habe ich mir auch nicht vorstellen können, dass ich mich überhaupt so weit entwickeln kann.“ Und Olympia 2021 (so es stattfindet)? Beim Rennen in Tokio im August 2021 wird es aller Voraussicht heiß sein – auch damit kann Herzog gut umgehen. „Berlin 2018 habe ich auch bei Hitze gut gemeistert. Ich bin sicher ein robuster Athlet, und es hilft bei Hitze, wenn man etwas mehr Substanz hat.“

Hoffnung und Vorfreude auf die Zeit nach Corona macht auch, dass die österreichische Marathonelite breit aufgstellt wie nie ist. Früher waren es oft Einzelkämpfer an der Spitze – erstmals gibt es eine breite Spitze mit etlichen starken Athleten. Neben den fix für Olympia qualifizierten Peter Herzog und Lemawork Ketema rechnen sich auch der erst 26-jährige Timon Theurer und bei den Frauen Eva Wutti berechtigte Chancen aus, die Olympianorm zu schaffen. Nicht zu vergessen auf Valentin Pfeil oder Christian Steinhammer.

Im Sog der Spitze gibt es vielleicht auch in der Breite wieder einmal einen Marathonboom. Das nur als motivierende Message zum Durchhalten. Solche können Profis, Hobbyläufer und Marathonvearanstalter derzeit gleichermaßen gut brauchen.