Wir haben für euch "LiTRIC", der neuesten Lawinenrucksack-Innovation aus dem Hause Ortovox im minimalistischen Avabag LiTRIC Zero 27 auf den Zahn gefühlt.
Steter Tropfen höhlt, wie der Volksmund sagt, den Stein. Ähnliches trifft auch auf Lawinenrucksäcke, sprich Rucksäcke mit integrierten Airbags, zu. Waren die ersten Modelle noch Exoten am Berg, sieht man heute bei Freeridern und Skitourengehern im freien Gelände beinahe mehr Airbag-Rucksäcke als solche ohne Airbag. Das gewisse Sicherheitsplus, welches die Rucksäcke im Falle eines Lawinenabgangs bieten können, ist immer mehr Wintersportlern den Aufpreis zu klassischen Rucksäcken wert. Das System hinter den Lawinenrucksäcken: 150 bis 200 Liter große Airbags werden durch Zug an einem im Brustbereich befindlichen Hebel ausgelöst, vergrößern dadurch das Volumen des vermeintlichen Lawinenopfers. Der sogenannte Paranuss Effekt, verstärkt durch das große Volumen der Airbags, erhöht dabei unter bestimmten Umständen die Chance, an der Schneeoberfläche zu bleiben und eine Verschüttung aktiv zu verhindern. Durch ihren Auftrieb können die Rucksäcke also dabei helfen, die Verschüttungstiefe zu reduzieren. Neben dem Ersticken aufgrund einer Ganzkörperverschüttung zählt bei Lawinenunfällen aber auch auf den Körper einwirkende mechanische Kräfte weit oben auf der Gefahrenliste. Auch hier können Airbags einen gewissen Zusatzschutz bieten.
Theorie und Praxis
Ob nun ein Lawinenrucksack für den eigenen Bedarf nötig und sinnvoll erscheint, ob man bei System auf elektronische Airbags (Mehrfachauslösungen, voll flugtauglich) oder mechanische Varianten (Kartuschen, Einfachauslösungen, nur ohne Kartuschen flugtauglich) vertraut, darüber muss jeder selbst urteilen. Was wir als Magazin auf jeden Fall beurteilen können, ist, wie gut sich ein Lawinenrucksack mit all seinen potenziellen Benefits im (hoffentlich) verschüttungsfreien Tourenalltag schlägt. Eines der jüngsten Airbag-Systeme kommt vom deutschen Alpinspezialisten Ortovox, gehört der Gattung der elektronischen Airbags an und hört auf den Namen LiTRIC. Wir hatten für einige Wochen die Möglichkeit, den minimalistischsten Rucksack der LiTRIC-Serie, den Avabag LiTRIC Zero 27 (27 Liter Volumen), ausgiebig zu testen.
Für welche Rucksackgröße man sich schlussendlich entscheidet, das bleibt beim LiTRIC-System dem Kunden überlassen. Je nach Einsatzbereich stehen unterschiedliche Varianten mit fixer Größe sowie mit LiTRIC-Basiseinheit und aufzippbaren Packsäcken zwischen 16 und 40 Litern zur Wahl. Entsprechend wollen wir uns hier weniger dem hochwertig verarbeiteten aber mit nur einem großen Hauptfach für alles von Jacke über Fell bis Notfallausrüstung sehr minimalistisch dafür auch leichtgewichtigen LiTRIC Zero 27 befassen – sondern mehr mit den durchwegs überzeugenden Argumenten des Airbag-Systems selbst.
Unkompliziert kompakt
Privat nutze ich seit Jahren elektronische Systeme auf Basis des LiTRIC-Konkurrenten Alpride (Modell E1, mittlerweile gibt es hier den deutlich kompakteren Nachfolger E2). Alle Punkte, die mir dort ein Dorn im Auge waren, löst LiTRIC anstandslos: Sitz beim Alpride E1 die Auslöseeinheit mehr oder minder mitten im Staufach und raubt schlussendlich nutzbaren Platz, ist beim LiTRIC alles wunderbar kompakt im oberen Bereich des Staufachs untergebracht. Dies birgt gleich zwei Vorteile: Erstens fasst die 27 Liter Variante hier um Welten mehr als meine eigene 30 Liter-Variante mit dem, ich muss es an dieser Stelle nochmals betonen, alten Alpride E1 System. Zweitens müssen beide Systeme an der Auslöseeinheit aktiviert werden. Bei meinen privaten Rucksäcken heißt das: Staufach komplett öffnen, je nach Beladung teils ausräumen, die integrierte Alpride-Tasche ebenfalls per Zip öffnen, Gerät aktivieren und alles wieder schließen. Beim LiTRIC öffne ich den Reißverschluss des Haupfachs einen Spalt, hebe die gummierte Abdeckung von Ladebuchse und Ein-/Aus-Knopf an und aktiviere den Airbag. Dreht man dann den Auslösegriff um 180 Grad von schwarz auf orange, ist alles aktiviert. Steigt man beispielsweise in die Gondel, dreht man ihn einfach kurz auf „off“, vor der Abfahrt wieder auf „on“. Mehr Stauraum und deutlich einfacheres Handling – i like!
Ebenfalls, vor allem vor dem Hintergrund der propagierten Mehrfachauslösungen von elektronischen Systemen, interessant: Während die anderen Airbag-Systeme nach einer Auslösung ein exaktes Faltmuster beim „Rückpacken“ des Airbags verlangen, lässt sich der LiTRIC deutlich einfacher verstauen. Ist man nach einer Auslösung wieder in Sicherheit, schaltet man den Airbag erst komplett aus – dieser füllt nämlich sonst nach ein paar Minuten neue Luft ins System. Danach entlüftet man den Airbag mittels mitgelieferten Tools, drückt die Luft aus dem Airbag, teilt diese mittig und stopft ihn einfach links und rechts des Mittelteilers am Reißverschluss der „Auslassöffnung“ wieder zurück an seinen Platz. Reißverschluss zu und der Rucksack ist wieder einsatzbereit. Voll geladen sollen so mindestens zwei Auslösungen möglich sein, eine Ladung hält bis zu 60 Tourenstunden durch. Zwei Auslösungen schafft aber auch das hier zum Vergleich gezogene Alpride E1, im Ernstfall eine mehr als mechanische Varianten mit Kartusche. Allerdings bedarf bei den anderen Herstellern das Einpacken des Airbags – zumindest bei nur gelegentlicher Auslösung – ob des exakten Faltschemas einer genauen Anleitung. Aus Anwendersicht ein weiterer klarer Vorteil pro LiTRIC.
Warum keine Kritik? Langzeiterfahrung und Lebensdauer von LiTRIC können wir nach einem Monat leider nicht beurteilen, ob der großen Auswahl an Rucksackmodellen bleibt auch Kritik am Zero 27 (nur ein Staufach, Nasse Felle und Schaufelblatt im selben Fach wie trockene Jacken und Handschuhe; gewichtsreduzierte Kunststoff-Verschlüsse anstelle robuster Alu-Schnallen …) sehr individuell. Was sich auf jeden Fall auch über den Zero 27 sagen lässt: Der leichte Rucksack ist auch voll beladen kaum zu spüren, die Gewichtsverteilung am Rücken sorgt für stabilen Sitz und bietet trotz Airbag überraschend viel und vor allem clever genutzten Stauraum.
Einen näheren Blick wert ist Ortovoxs Avabag LiTRIC-Serie, egal mit welchem Rucksacksystem drum herum, auf jeden Fall.