Rollentausch beim Räderwechsel. Warum Mountainbiker besser werden, wenn sie mit dem Rennrad auf Asphalt fahren, und was Rennradler lernen, wenn sie am Bike mit Wurzeln und Schotter Bekanntschaft schließen.
Die Liste ist eine lange, wenn es um Radsportler geht, die sowohl am Rennrad als auch am Mountainbike erfolgreich Rennen fuhren. Aktuell angeführt vom slowakischen Superstar Peter Sagan und Allroundern wie Mathieu van der Poel haben Profis wie Cadel Evans, Miguel Martinez und Österreicher wie früher Gerhard Zadrobilek und jetzt Hermann Pernsteiner bewiesen, dass man beide Sparten auf Topniveau beherrschen kann.
Im Hobbybereich war das einst eine strikte Trennung. Dort Rennrad, da Mountainbike.
Keine Lust auf Fremdgehen. Durch den Rennradboom der letzten Jahre, neue Technik und den Urban-Trend beim Radeln wurden die schnellen Räder wieder trendy. Die alten Gräben wurden – auch mit Zwitterprodukten wie dem Gravelbike – zugeschüttet, es wird munter hin- und her gewechselt zwischen Straße und Gelände.
SPORTaktiv hat zwei Landsleute, die beides perfekt beherrschen, nach ihrer Sichtweise und Erfahrung gefragt: Der Lienzer Alban Lakata ist dreifacher Weltmeister im Mountainbike-Marathon und liebt das Training auf seinem Straßenrennrad. Daniel Federspiel ist zweifacher Mountainbike-Weltmeister im Eliminator-Bewerb und wagt heuer den Sprung von den dicken zu den dünnen Reifen und zu den Straßenprofis im Team Vorarlberg Santic.
1. Was lernen Mountainbiker am Rennrad?
„Mountainbiken und Rennradfahren sind zwei verschiedene Sportarten – so ähnlich wie Fußball und Formel 1“, lacht Federspiel. Er war bislang als muskelbepackter Biker für die MTB-Sprintdisziplin Eliminator prädestiniert, eine kurze Sprint-Runde im Gelände, all in. „Am Rennrad lernt man bei langen Ausfahrten als Erstes den runden Tritt und eine schöne, effektive Sitzhaltung. Das hast du als Biker nicht, weil es im Gelände immer unrhythmisch ist. Da können alle am Rennrad etwas lernen.“ Als Biker fuhr Federspiel im Schnitt 11.000 km im Jahr, mit dem Rennrad waren es 2018 bereits 24.000 km, Tendenz steigend.
Weil man mehr in Gruppen unterwegs ist (Training und Rennen), kommt ein Aspekt dazu, der für Lakata nicht unwesentlich ist: „Am Bike fährst du meistens allein oder zu zweit. Man sollte ja im selben Leistungsniveau sein, sonst ist es für keinen lustig. Am Rennrad kann man in großen Gruppen auch Schwächere mit fahren lassen, die hängen sich halt in den Windschatten, während die Starken vorne im Wind kurbeln. Alle können dieselbe große Runde fahren, es ist irgendwie sozialer, das gefällt mir.“
Für den Hobbyfahrer weniger wichtig, für Profis eminent: taktisches Verhalten und Teamgefüge. Beim Mountainbiken (auch bei den Rennen) ist man als Einzelkämpfer unterwegs, auf der Straße wird durch das Windschattenfahren und große Gruppen die Taktik und das Verhalten im Feld entscheidend. Neo-Straßenprofi Federspiel: „Ich gestehe, da muss ich selber gerade erst viel lernen.“
"Die Vielfalt macht es aus. Radsport ist so abwechslungsreich!"
Lakata bricht im Training oft zu großen Rennradrunden in Richtung Italien auf, fährt sieben, acht Stunden und sammelt dabei auf Klassikern wie dem Monte Zoncolan wertvolle Höhenmeter. „Ich liebe das wirklich und muss mich oft bei der Nase nehmen, damit ich das Mountainbike nicht vernachlässige. Aber die Vielfalt macht es aus, der Radsport ist so abwechslungsreich.“ Über den Daumen gepeilt schätzt er die Trainingszeit Bike/Rennrad auf 50:50 ein.
Lakata ist der geborene Sport-Allrounder: Volleyball, Schwimmen, Skitouren, seine Athletik kommt nicht von ungefähr. Triathlon könnte dem 39-jährigen Kraftpaket in den nächsten Jahren auch in den Sinn kommen, im Straßenradsport liebäugelt er immer wieder mit Starts bei Einzelzeitfahren, wo er seine Power gut umsetzen könnte.
Was Biker am Rennrad noch schätzen lernen: die direkte Umsetzung der Kraft. Da verpufft nichts in weichen Stollenreifen, man muss keine Federelemente sperren oder modifizieren, jedes Watt generiert Vortrieb. Dabei lernen gerne in flattrigem Outfit fahrende Mountainbiker auch die Basics der Aerodynamik und Vokabel wie Windangriffsfläche. Und keine Sorge beim Schnuppern: Rennräder sind 2019 keine superfiligranen Asphaltschneider mehr. Die Reifenbreiten sind von früher 18, 20, 23 mm längst auf bis zu 28 oder 32 mm gewachsen.
Mit entsprechend niedrigerem Luftdruck, Scheibenbremsen, elektronischer Schaltung und Komfortgeometrien wird jede Rennradfahrt zum Vergnügen. Von federleichten Bergrädern, Gravelbikes bis zu schnellen Aero-Rennern gibt es für jeden Interessierten das richtige Rennrad. Aber Achtung, eine kleine Warnung von Lakata: „Nicht unterschätzen sollten Rennrad-Neulinge die Gefahr von dichtem Autoverkehr und die Hektik bei Stoßzeiten.“
Was lernen Rennradfahrer am Mountainbike?
Ganz klar: Radbeherrschung. Rennradfahrer sind zu 99 Prozent immer auf demselben Belag unterwegs, nämlich Asphalt. Und so unterschiedlich Straßen auch beschaffen sein mögen, mit der Vielfalt beim Biken im Gelände können sie nicht mithalten: Waldboden, Wiesen, Forst- und Schotterstraßen, Wurzeln, Felsen, Gatsch, Schnee, Eis. „Ich bin 14 Jahre lang fast nur Mountainbike gefahren. Was man da an Fahrtechnik lernt, kann dir keiner mehr nehmen“, sagt Federspiel, der sich bei Straßenmarathons und Jedermann-Rennen hin und wieder wundert, wie schlecht manche Rennradfahrer ihre Räder im Griff haben.
Stichwort: Bremsen und Lenken. Und auch nach den ersten Erfahrungen im Straßenrennsport bleibt „Feder“ dabei: „Ich tue mir im Fahrerfeld sehr leicht und habe überhaupt kein Problem, weil ich das Rad so locker in der Hand habe.“ Rennradfahrer profitieren also enorm, wenn sie hin und wieder das spielerische Handling eines Mountainbikes in verschiedenen Geländeformen ausloten. Geht es steil bergauf? Steil bergab? Rutschen die Räder durch? Wie lupft man Vorderrad oder Hinterrad? Wie verlagert man den Körperschwerpunkt?
Neue Reize, neue Motivation!
Lakata weiß zudem aus Erfahrung, dass am Mountainbike die Trittfrequenz viel mehr variiert. „Einmal ist sie hoch, dann wieder niedrig, das ergibt einen anderen, neuen muskulären Reiz.“ Neue Reize, neue Motivation – ohnehin Schlagworte in der gerade beginnenden Radsaison. Überhaupt sei für Vielfahrer und Kilometersammler die Abwechslung „sehr gut für den Kopf“, wie Federspiel anfügt.
„Je mehr Verschiedenes du machst, umso besser. Radfahren ist ja eine monotone Bewegung.“ Bei Mountainbikes lernt man schrauben, basteln, improvisieren. Ständig geht was kaputt, man muss nach Gatsch-Fahrten intensiv putzen, Bremsbeläge tauschen, Leitungen lüften, an der Federung tüfteln, neue Parts anschrauben – möglich, dass man dadurch mehr emotionale Bindung zu Ritzeln, Carbon und Alufräskörpern aufbaut? Das Rennrad wird selten schmutzig, man kann es über Wochen ohne viel Pflege und Rücksicht nutzen, gelegentliches Kettenschmieren ausgenommen.
Der Trainingstipp zu guter Letzt von Lakata: „Trainiere ich kurz und heftig, greife ich eher zum Bike. Für längere Einheiten nehme ich das Rennrad.“ Nachteile sieht er keine, wenn man ständig zwischen Rennrad und Mountainbike wechselt. Nachsatz mit Augenzwinkern: „Außer, dass es ein teurer Spaß wird, wenn man sich zwei Topgeräte leisten will.“