Maximilian Schwarzhuber ist 27, Hobbyläufer und Triathlet. Seit er zwei war, war er auf Krücken oder den Rollstuhl angewiesen, ehe er sich 24-jährig zur Amputation beider Unterschenkel entschloss. Heute ­genießt er die Freiheit beim Sport und motiviert andere dazu, an scheinbar Unmögliches zu glauben.

Christof Domenig
Christof Domenig

136 Tage brauchte Maximilian Schwarzhuber, um nach der Amputation beider Unterschenkel seinen ersten 10-km-Lauf zu bestreiten. Am 14. Februar 2017 war der Eingriff, einen Monat später bekam er seine Prothesen. Mit diesen musste er das Gehen erst erlernen, 22 Jahre lang war er davor meist auf Krücken oder den Rollstuhl angewiesen. Im Juni 2017 absolvierte er den „Lauf10!“ in seinem Heimatort Wolnzach in Bayern in 68 Minuten. In dem ländlichen 12.000-Einwohner-Ort, 50 Kilometer nördlich von München, haben wir ihn Ende Jänner getroffen.

Was bedeutet dir heute Sport?
Zum einen ist es Ausgleich, weil ich viel mit dem Auto unterwegs bin. Zweitens ist speziell das Laufen, wie ich es seit nun 2,5 Jahren betreiben kann, schon etwas ganz Besonderes. Ich hab ja immer die Hoffnung gehabt, dass sich was bessert, und gedacht, vielleicht täte ich das schon irgendwie hinkriegen trotz meiner kaputten Füß’. Es ist schwierig zu beschreiben: Wenn man etwas so lang zurückhalten muss, diese Erfahrung hab ja bloß ich ... Aber es ist schon enorm cool. Das Dritte: Speziell im Ausdauersport sehe ich stark die Parallelen zur Persönlichkeitsentwicklung: Dass man sich Kräfte einteilen muss oder man, wenn es hart wird – und es wird immer hart –, durchhalten muss.

Du hattest das Guillain- Barré-Syndrom. Wie hat sich die Krankheit ausgewirkt?
Mit zwei Jahren bin ich nach einem Mittagsschlaf aufgewacht und konnte die  Beine nicht mehr bewegen. Bis dahin war ich völlig gesund. Man hat das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert, ganz genau weiß man es nicht. Geäußert hat es sich darin, dass ich unterhalb der Knie nichts gespürt habe. Ich hab wieder gehen können, aber schlecht. Im Grundschulalter hab ich Orthesen gehabt, Schienen wie Forrest Gump im Film. Es gab immer massive Probleme mit Druckstellen und Wunden, weil ich ja nichts gespürt habe. Mit neun hab ich mir zum Beispiel die Ferse an einem Nagel aufgerissen, das ist nie mehr richtig verheilt. Es gab unzählige Krankenhausaufenthalte, gebessert hat sich aber immer nur kurzfristig etwas. Meine Entzündungswerte waren unfassbar hoch. Irgendwann hab ich gewusst, ich muss etwas tun, und mir ist die Idee von der Amputation durch den Kopf gegangen.

Es war deine Idee, nicht die der Ärzte?
Nein, mir hat kein Arzt dazu geraten. Der echte Auslöser war eine Wildwasserbootsfahrt mit Freunden, die ich organisiert hatte. Durch das Wasser hat sich ein Fuß so krass entzündet, dass ich ewig nicht mehr aus dem Bett gekommen bin.

Sport hat also schon vor der Operation eine Rolle in deinem Leben gespielt?
Sport ja, aber sehr eingeschränkt. Beim Ins-Wasser-Gehen hab ich zum Beispiel mega aufpassen müssen, dass ich mich nicht verletze. Von dem her war es immer schon ein Traum von mir, dass mir das alles irgendwann nichts ausmacht. An Laufen war nicht zu denken. Was ich machen konnte, war Rad fahren. Ich bin zum Beispiel am Donauradweg von Regensburg nach Wien gefahren, das waren über 400 Kilometer. Ich mag so Projekte, wo andere sagen, „das ist gestört“, und wo ich auch nicht weiß, ob ich es packe, aber einfach versuche. Deshalb gefällt mir der Ausdauersport so gut, weil man sich da krasse Herausforderungen suchen kann, wo man zuerst nicht weiß, wie es geht.

Vor der Operation hast du auch nicht gewusst, wie es dir danach geht?
Ich hab mich schon gut informiert gehabt, zum Beispiel auch mit einem Prothesenbauer lang gesprochen. Und ich habe die ganze Verantwortung übernommen. Worst Case wäre gewesen, dass ich im Rollstuhl sitze, aber das wäre auch in Ordnung gewesen. Was ich nicht mehr akzeptieren hab können, war das noch längere Warten und Suchen.

Mit 15, 16 Jahren litt Schwarzhuber an Depressionen, ehe er sich dafür entschied, an sich zu arbeiten. Zuerst, weil er wie jeder Gleichaltrige „Mädels abschleppen“ wollte, „aber es ist mir bald bewusst geworden, dass es nicht um Mädels, sondern um mich selber geht.“ Mit 17, 18 hat er – überwiegend autodidaktisch – sehr stark an seiner Persönlichkeit gearbeitet, um „mit mentaler Stärke die körperlichen Defizite zu kompensieren“. Schwarzhuber glaubt, dass in jedem Menschen enorm viel steckt. Bayerisch gesprochen: „Jeder hat so viel Potenzial, aber am Ende kommt nicht so viel umma.“ Ziel sei es, emotionale Störfaktoren möglichst gering zu halten. Humor spiele dabei eine wichtige Rolle, „wir nehmen uns alle so ernst. Ich sag: Das Leben ist ein Spiel. Wie ein Fußballspiel: Da geht es auch um viel, aber am Ende geben wir uns die Hand und alles ist gut.“ Schwarzhubers Humor hat etwas von seinem bayerischen Landsmann Karl Valentin, etwa mit dem Satz: „Am Ende sind wir alle tot. Also was soll passieren?“

Ich hab gelesen, dass die Idee vom 10-km-Lauf vier Monate nach der Operation zuerst als Scherz gemeint war?
Als ich aufgewacht bin nach der OP, war das zunächst einmal die totale Befreiung. Noch voll geflasht von der Narkose, hab ich gesagt, im Juni mach ich den Lauf mit. Drei Tage danach hab ich mit dem Training angefangen, Ausdauertraining mit einer Handmaschine. Zunächst, um fit genug zu sein, damit ich mit den Prothesen umgehen kann. Nach sechs Wochen hab ich die Prothesen gekriegt und zum Glück gleich damit gehen können. Ich bin vor Freude gleich eineinhalb Stunden damit herumgegangen und hab danach gleich einmal zwei Tage Pause machen müssen. Auf der Reha hab ich mit dem Lauftraining angefangen. Zwei Kilometer und ich war völlig hinüber. Aber es war einfach voll cool, in die Laufschuhe steigen und losrennen, wie ich es mir immer gewünscht habe.

Im Juni dann der Lauf. Wie war der?
Es war schon auch hart. Zwei Cousins sind mit mir mitgerannt, 13 und 14 Jahre alt, und ich hab gesagt: Wenn ihr schneller laufen wollt’s, lauft’s einfach. Aber sie sind bei mir geblieben. Irgendwann ging es einen brutalen Berg rauf, da war nicht für mich, sondern für einen der Cousins Schluss. Im Ziel war dann nach 68 Minuten volle Euphorie und ich hab gewusst, ich will weiter, auch einmal einen Marathon laufen. Lustig war auch mein erster Triathlon: Zu dem hab ich mich angemeldet, da hab ich noch nicht kraulen können und kein Rennrad gehabt. Und nach der Anmeldung ist mir eingefallen, dass ich nicht weiß, ob ich mit den Prothesen überhaupt teilnehmen darf. Ich hab den Veranstalter kontaktiert und der hat gesagt: Das machen wir schon. Der Veranstalter vom Triathlon Ingolstadt, Gerhard Budy, ist vielfacher Hawaii-Teilnehmer und heute mein Trainer. Beim Bewerb über die olympische Distanz hab ich alle Höhen und Tiefen durchlebt, es hat mich in den Wechselzonen zweimal vor allen Leuten hingehaut, weil ich mit den Prothesen hängengeblieben bin, aber am Ende auf der 10-Kilometer-Laufstrecke ist es mir unglaublich gut gegangen.

Körperliches Training wirkt auch nicht von heute auf morgen. 

Maximilian Schwarzhuber, Hobbyläufer und Triathlet

2018 und 2019 hat Schwarzhuber neben dem Triathlon Ingolstadt mehrere Halbmarathons, einen weiteren Triathlon und seine ersten Marathons absolviert: in München und Berlin. Jenen in Berlin obwohl ihn eine Druckstelle am Beinstumpf im Vorfeld sowie beim Lauf selbst arg zu schaffen machte. Mit Trainer Gerhard Budy hat er die Ironman-WM auf Hawaii 2021 als Ziel ausgegeben. Als Handicapsportler muss er dafür eine Triathlon-Mitteldistanz, also die halbe Ironman-Distanz erfolgreich absolvieren und sein Trainer sagt: „Das kriegen wir hin.“ Seit gut einem Jahr selbstständig, trainiert Schwarzhuber überwiegend abends. Im heurigen Sommer will er mit drei Freunden am Rennrad in 24 Stunden von München nach Venedig radeln: Rund 500 Kilometer, 23 km/h Schnitt sind dafür nötig. Der genaue Plan steht schon: die Route, Startzeit sieben Uhr abends, jeweils 5,5 Stunden Fahren und eine halbe Stunde Pause.

München-Venedig in 24 Stunden oder Ironman Hawaii klingen schon extrem. Wie definierst du deine Ziele?
Die Frage ist für mich: Was ist extrem? Ja, für mich ist es wahrscheinlich extrem – andere machen 40 Ironmen hintereinander. Ich sehe Ziele schon so, dass sie tief drin in einem was auslösen sollen. Keine Ahnung ob es hinhaut, aber die Herausforderung ist megaspannend. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass man etwas auch nicht schaffen kann. Wenn man etwas Extremes macht, macht man auch extreme Erfahrungen und auch das ist sehr viel wert. Ich würd auch gern den Chiemsee durchschwimmen, rund 10 Kilometer. Keine Ahnung, ob das hinhaut, aber ich hab Megalust drauf.

In Vorträgen und Seminaren erzählt Maximilian Schwarzhuber von seinen Erfahrungen und will anderen zu mehr emotionaler Freiheit verhelfen. Etwa, sich Ängsten und Blockaden im Kopf bewusst zu werden. Und er will aufzeigen, wie man diese Hemmungen abbauen kann: „Es sind nicht die Beine, die uns bewegen, sondern unser Denken“, sagt er. Oder als gelernter Informatiker mit einem Schuss Humor auch: „Ergebnis=Umstände+Antworten2“. Übersetzt: Nicht die Umstände im Leben sind entscheidend, unsere Antworten darauf sind viel entscheidender.

Kannst du unseren Lesern ein konkretes Tool mitgeben?
Eine von den für mich selbst stärksten Übungen heißt ‚radikale Dankbarkeitsübung‘. Dabei schaut man sich gezielt nach Sachen um, für die man dankbar sein kann. Alles, was man tagsüber sieht. Wenn man das zur Routine macht, sich jeden Tag drei Minuten am Abend hinsetzt und fünf Sachen aufschreibt, die einem tagsüber aufgefallen sind, dann ist das eine Superübung. Es braucht dafür freilich etwas Geduld: Körperliches Training wirkt auch nicht von heute auf morgen. Aber über die Wochen und Monate sieht man die Fortschritte.
Es geht dabei gar nicht so sehr um positives Denken, sondern um den Fokus. Jeder sieht so viele Sachen, für die er dankbar sein kann, man muss sie nur sehen lernen. Als Informatiker hab ich mich eine Zeit lang intensiv mit der Automarke Tesla beschäftigt, dem Antriebskonzept. Auf einmal hab ich lauter Teslas auf der Straße gesehen. Genau so funktioniert das mit den schönen Sachen. 

Nicht die Beine bewegen uns, sondern das Denken - weiß Maximilian Schwarzhuber
Maximilian Schwarzhuber

ist 27 und lebt in Wolnzach/­Bayern. Hobbyläufer und ­Triathlet. Erlernter Beruf: ­Informatiker, seit rund einem Jahr als Redner selbstständig. 
Mehr erfahren: www.maximilianschwarzhuber.com