Der große Grazer Essayist Günter Eichberger, ein verblüffend profunder Kenner meines Werks, erinnerte mich unlängst an eine meiner frühen Geschichten über Skisprungschanzenmodelle. Sie gäbe Einblick in die Psychopathologie Schreibender: Autoren-Autismus, gemischt mit Artisten-Narzissmus …
Die Geschichte erzählt, wie ich als Kind meine eigene Vierschanzentournee veranstaltet habe: Die Schanze habe ich mit der Laubsäge geschnitzt und auf mein Schreibtischchen gestellt. Als „Auslauf“ spannte ich drei, vier aneinandergeklemmte Hemdenkartons meines Vaters von der Tischkante bis zum Boden. Statt der Schispringer ließ ich eine Schlatzkugel, die einmal „Schnabl“, einmal „Aschenbach“, einmal „Innauer“ hieß, von der Schanze rollen. Ich war Weitenmesser und Punkterichter in einem. Gesamtsieger wurde immer „Karl Schnabl“. Wahrscheinlich war er ein Naturtalent. In Wirklichkeit freilich rollte die Schlatzkugel nach immer gleichen physikalischen Gesetzen und landete nie mit Telemark, immer mit Kacherl – meine Haltungsnoten waren ehrlich gestanden rein subjektiv und meine Tourneen so öd wie die echten. Kurzum: Ich war ein sehr einsames Kind, auch wenn ich es verstanden habe, mich friedlich, kreativ und produktiv in meiner Einsamkeit einzurichten. Wäre mir Cioran in die Hände gefallen, hätte ich sicher den Satz unterstrichen: „Die Pflicht des Einsamen ist es, noch einsamer zu werden.“ Gesagt, getan: Nach der Vierschanzentournee habe ich das Wiener Stadthallenturnier nachgestellt.
Während man Tipp-Kick immerhin zu zweit spielte, war meine Erfindung des Hallentippkicks (aus Raumnot und da nur die Hallenvorderfront offen ist) ausschließlich mutterseelenallein zu praktizieren. Das bedeutet, dass man sich nicht bloß in ein, sondern zwei Teams versetzen muss, die noch dazu gegeneinander spielen. Die linke Hand etwa war Austria, die rechte Salzburg, und jeder Finger ein Spieler. Jedes Mal besiegte ich mich bei meinem Minihallenfußball zwangsläufig selbst. Einsamkeit, Persönlichkeitsspaltung, Ich-Diffusion, Rollenverhalten: Ich bin mir sicher, dass ich bei den Weihnachts-Hallen-Tippkick-Turnieren im Kinderzimmer die Fundamente für mein Schriftstellerleben gelegt habe. Deswegen meinte Eichberger, nur wirklich pathologische Fälle könnten so eine grundunvernünftige Tätigkeit wie Literatur über Jahrzehnte ausüben.