Ausdauersportler sollen ergänzend dehnen, hieß es früher – heute hört man: Vor allem Krafttraining ist wichtig. Was hat sich geändert? Was bringt Dehnen, was Kräftigen? Und worin lohnt es sich mehr, zu investieren? 

Christof Domenig
Christof Domenig

Die Frage hört man öfter: Soll ich neben Ausdauertraining zusätzlich eher Zeit ins Dehnen oder ins Kräftigen investieren? Vor zehn, 15 Jahren wäre diese Frage vielleicht noch anders als heute beantwortet worden, weiß Sportmediziner Robert Fritz. Er empfiehlt dazu einen Blick auf die Zielgerade beliebiger Marathonevents. „Der sitzende Laufstil ist typisch für die mangelnde Hüftbeweglichkeit vieler Freizeitläufer. Früher hat man die Leute deshalb zum Dehnen geschickt.“ Was nicht falsch war, denn Dehnen hilft der Beweglichkeit auf die Sprünge. Aber Krafttraining könnte das gleiche leisten – und noch mehr. Warum, erklären wir in dieser SPORT­aktiv-Doc-Folge. Doch lassen wir vorerst unseren „Doc“ weiter ausführen: „Auch in der Medizin haben sich die Empfehlungen gewandelt. Die alten Gesundheitsempfehlungen waren einfach 150 Minuten Ausdauertraining pro Woche. Jetzt wird auch Kraft empfohlen. Ich würde vielen meiner Patienten sogar sagen: Wenn du wenig Zeit hast, mach mehr Krafttraining als Ausdauertraining! Natürlich ist beides gemeinsam ideal. Aber das Ausdauertraining lässt sich eher in den Alltag integrieren. Ein Krafttraining ist im Alltag kaum möglich – aber eigentlich unverzichtbar.“

Und das Dehnen? Warum hat man früher gemahnt, aufs Dehnen nicht zu vergessen – und heute kommt es in der Prioritätenliste, wenn überhaupt, erst hinten angereiht? Es stehen junge wissenschaftliche Erkenntnisse dahinter. 
 

Krafttraining hat nicht nur für den Körper, sondern auch für die Psyche irrsinnig ­coole Benefits.

Der Vergleich macht sicher
Schauen wir es uns also im Detail an. Was ist der Benefit von Krafttraining, was von Dehnen? Und kann vielleicht das eine das andere ersetzen? Doch zunächst noch die Frage: Was passiert beim Dehnen überhaupt? „Man kann mit Dehnen einen Muskel nicht verlängern“, räumt Fritz mit einem manchmal geglaubten Mythos auf, der sich daraus ergibt, dass man von „verkürzter Muskulatur“ spricht. „Was man kann: Spannung aus einem Muskel herausnehmen. Denn bei einem zu hohen Muskeltonus zieht sich der Muskel zusammen, durch Dehnen bekommt man das wieder auf Normallänge.“ Das hat, wer es genau wissen will, mit den ineinanderhängenden Muskelfasern, Actin und Myosin zu tun.

Krafttraining kann mehr
Die genannten sind nur die wichtigsten Benefits eines – richtig durchgeführten – Krafttraining. Das Dehnen aber will unser SPORT­aktiv Doc zugleich niemandem vermiesen. Es hat zu Recht ebenfalls viele Anhänger – und ja: „Eine Dehnsession in angenehmem Ambiente, vielleicht mit Partner gemeinsam, kann sowohl dem Körper wie auch der Seele sehr guttun. Wer gerne dehnt, soll es tun!“

Ganz nüchtern betrachtet sagt der aktuelle Stand der Wissenschaft jedoch: „Dehnen bringt gesundheitlich nichts, was nicht ein Krafttraining auch leisten könnte. Und die Benefits eines richtig ausgeführten Krafttrainings gehen weit über die des Dehnens hinaus.“ Wer also zu wenig Zeit für alles hat, sollte sich im Zweifelsfall fürs Krafttraining entscheiden. Der Einstieg dazu sollte aber mit einem guten Trainer oder Sportphysiotherapeuten erfolgen, denn auch das stimmt: Beim Krafttraining kommt es, mehr als beim Dehnen, auf eine korrekte ­Ausführung an. 

Dr. Robert Fritz
Dr. Robert Fritz

Der Sport- und Ernährungsmediziner ist einer der Gründer und medizinischer Leiter einer Unit der „Sportordination“ in Wien und einer der bekanntesten Sportärzte in Österreich. Als „SPORTaktiv-Doc“ beleuchtet er kompetent in jeder Ausgabe ein Sport- oder Ernährungsthema.


Web: www.sportordination.com