Von Optimismus-Impfungen und den Chancen für den Tourismus in schweren Zeiten. Expertenmeinungen zum Bikeboom, aber auch Kritik um verpasste Chancen.
Fast wie ein Treppenwitz, aber der prägnanteste Satz kommt von Karl Morgenbesser, dem Kopf hinter den Wexl Trails in St. Corona: „Letztes Jahr haben wir gemerkt, wie gut es den Menschen und vor allem den Kindern getan hat, mit dem Bike ein wenig dem Corona-Alltag zu entfliehen.“ Weg von Corona, nach Corona. Diese Erfahrungen in Niederösterreich, die eigenen ringsum und die allgemeinen Beobachtungen haben wir zum Anlass genommen, im Tourismus einen Rundruf zu starten und zwischen Innsbruck, Saalbach und Niederösterreich Einschätzungen für den Bikesommer in Österreich zu bekommen. Vorweg: Da ist durchaus ein wenig Ermunterung dabei.
Welche Lehren zieht man aus der Corona-Saison 2020? Was hat gut funktioniert und was weniger gut?
Georg Bliem, der Geschäftsführer der Planaibahnen in Schladming, bricht gleich einmal eine Lanze für die Gäste. „Besonders hervorheben möchte ich die Disziplin und das Verständnis für unsere Sicherheitsmaßnahmen. Wir haben uns damit auch viel Vertrauen aufgebaut.“ In Schladming rechnet man fix mit einem Anhalten des Bikebooms. „Outdooraktivitäten wie Mountainbiken tun Körper und Seele gut und lassen die Menschen wieder Lebensfreude spüren.“ In Zahlen gegossen: „Mit dem Ausbau des Bikeparks Schladming auf der Planai konnten wir die Anzahl der Biker von ursprünglich 9000 pro Saison sofort auf 45.000 Biker im Jahr 2020 steigern“, freut sich Bliem.
Auch weiter im Westen ist man optimistisch: „In der Sommersaison 2020 haben wir uns, was Corona betrifft, gut vorbereitet und alle Maßnahmen getroffen, die unseren Gästen ein Maximum an Sicherheit geboten haben“, sagt Karl Tropper, stellvertretender Geschäftsführer des Tourismusverbandes Kitzbüheler Alpen – Brixental. „Wir haben bald gemerkt, dass die Leute in die Natur und auf die Berge wollen. Dank sehr niedriger Infektionszahlen im Bezirk Kitzbühel konnten wir sogar Veranstaltungen durchführen. E-Bikes wurden extrem nachgefragt, sodass es an manchen Tagen zu Engpässen gekommen ist, obwohl die Verleiher aufgestockt hatten. Bis Herbstbeginn konnten wir auf eine unbeschwerte Sommersaison zurückblicken.“ Alles danach, trotz gemeinsamer Vorkehrungen und Investitionen, war „leider umsonst“, bilanziert er.
Auch Paco Wrolich, in Kärnten der Mann fürs Thema Zweirad, sieht im Bikesektor einen Hoffnungsträger: „Die Corona-Situation hat uns gezeigt, in welche Richtung es mit dem Freizeittourismus und der Freizeitgestaltung im Allgemeinen geht. Noch nie war der Bedarf an Rädern so groß wie im letzten Jahr. Auch 2021 hat sich da wenig geändert. Nur dass der Bedarf noch größer ist. Und zwar an Radmaterial UND an Angeboten.“ Und da bringt der Ex-Radprofi gleich Kritik an: „Der Staat Österreich und die Länder müssen schleunigst nachschärfen und viel mehr in Radinfrastruktur investieren. Das derzeitige Angebot an Radwegen und MTB-Routen und Trails reicht bei Weitem nicht aus. Sowohl im urbanen als auch im überregionalen Bereich.“ Die große Chance auf eine Verkehrswende habe man verschlafen. „Hätte man nicht die Innenstädte und Seen für Radfahrer, Skater, Fußgänger freigeben und die Autos von dort verbannen können? Wäre das gleich im ersten Lockdown passiert, würden die Innenstädte vielleicht heute anders aussehen. Und am Wörthersee gäbe es vielleicht heute eine Einbahnregelung, die man vor einem Jahr für einige Wochen testen hätte können.“ Nachschärfen müsse laut Wrolich auch der Handel sowie die Produzenten der Räder. „Es kann nicht sein, dass Anfang des Jahres schon fast alle Räder vergriffen sind.“
Ein gutes Zeugnis stellt Tom Öhler seiner Wahlheimat Innsbruck aus: „Die letzte Saison hat uns gelehrt, flexibler zu werden“, meint der Bikeprofi. „Neue Angebote schaffen und alte Strukturen neu überdenken – das haben die Bergbahnen hier in Innsbruck auch super umgesetzt und so hat’s nur geringe Einschränkungen beim MTB-Angebot gegeben.“
Der MTB-Tourismus steht ja in Österreich noch eher in den Startlöchern“, bremst Öhler da ein wenig ein, „aber das riesige Potential und der daraus resultierende Optimismus helfen der Szene.“ Das sieht auch Wrolich in Kärnten ähnlich: „Die MTB-Destinationen waren im Sommer 2020 teilweise die Gewinner der Krise. Die Bikeparks waren so voll wie noch nie, die Tendenz hat klar aufgezeigt, dass es der MTB-Sport draufhat, einzuspringen, wenn es mal mit dem Skifahren nix mehr wird bei uns. Das ist zwar Zukunftsmusik, aber nachdenken müssen wir darüber in der Tat, wie der Tourismus in den Bergen in 40 Jahren aussehen wird. MTB ist Teil der Lösung, nicht des Problems! Das hat 2020 klar gezeigt.“
Ist der MTB-Tourismus dazu da, in dieser unsicheren Phase ein wenig Optimismus zu verströmen?
Darauf baut man vor allem rund um Saalbach und Leogang seit Jahren. „Biken erlebt gerade den absoluten Hype“, meldet Marlene Krug, Bikeexpertin vom Tourismusverband in Saalbach. „Ich sehe, dass viele das Rad entdeckt und wiederentdeckt haben, denen das Spazierengehen nicht mehr genug war. Und es kommen dadurch viele Österreicher und Deutsche zu uns, die Österreich als Urlaubsziel schon gar nicht mehr am Radar hatten.“ Ein Tal weiter westlich bestätigt Tropper: „Viele Urlauber wollen keine fernen Destinationen buchen. Wir können Nähe, Sicherheit, Qualität und ein wenig ,heile Welt‘ bieten. All das kann man mit dem MTB und noch leichter mit dem E-MTB entdecken und erleben. Jetzt braucht es eine Ansage von der Politik, ab wann es wieder losgeht.“
Was bringt der Bike-Sommer 2021? Welche Projekte passen genau in diese Zeit?
Die Verkaufszahlen der Bike-Industrie lassen erahnen, dass auch im Urlaub das Fahrrad weiter eine steigende Rolle spielen wird“, schätzt Tropper. „Wir bereiten uns darauf vor, indem wir durch Ergänzungen unseres Routennetzes Hotspots vermeiden und Entlastungen auf stärker frequentierten Wegen schaffen. Neben einem professionellen Technikkurs an der Talstation der Fleckalmbahn in Kirchberg bieten wir an der neuen Bike- & Skill-Area in Brixen im Thale einmal in der Woche ein Techniktraining speziell für Kinder an.“ Auch Saalbach bleibt am Gas, bewirbt sich mit den Nachbarorten als größte Bikeregion Österreichs und setzt heuer erstmals voll auf das Thema Gravelbike. „Wir haben ein schneidiges Angebot für alle Gravelfahrer, die auch ein paar Höhenmeter nicht scheuen“, lacht Krug.
Viel los ist bald auch wieder auf den Wexl Trails in St. Corona, wie Karl Morgenbesser erzählt: „Für uns ist der Bike-schlepplift sicher ein Game-Changer, die Beförderungskapazität wird deutlich erhöht. Dazu werden die Jumpline erweitert, die Downhill-Line eröffnet und der Bergradweg umgesetzt.“ Auch das Streckenangebot ringsum wird vergrößert. „In der zweiten Saisonhälfte werden die Orte Kirchberg und Aspang ans Trailnetz angebunden. Diese Infrastruktur entspricht genau dem noch verstärkten Trend zum E-MTB.“ Flowtrails wie am Wechsel gibt es auch in Kärnten. Die „flow trails Kärnten“ (6 MTB-Destinationen) sind „besser denn je auf die Nachfrage vorbereitet“, freut sich Paco Wrolich. „Die neue Bike-Card, mit der man alle 6 Destinationen das ganze Jahr über befahren kann, ist das perfekte Angebot für Vielbiker in Kärnten. Neue Trails sind in der Pipeline, attraktive Familienangebote ebenfalls. Kärnten ist gerüstet.“ Schladming hat mit dem neuen Bikepark schon im Vorjahr ein Zeichen gesetzt. „Das Trailangebot wird noch größer und vielfältiger“, verspricht Planai-Geschäftsführer Bliem. „Mittlerweile wurde mit den Bauarbeiten für einen weiteren Ausbau des Bikeparks begonnen. Ziel ist, nebst den Downhillstrecken auch das Flowtrailangebot von der Mittelstation bis ins Planai-Stadion zu erweitern.“ Dort stehen die neu eröffnete Bründl Sports Bikeworld mit Bikes, Ausrüstung, Verkauf, Verleih und die Bikeschule Pekoll.
Vollends Urlaubsstimmung verströmt Tom Öhler: „Der Bikesommer 2021 wird spitze“, lacht der gebürtige Oberösterreicher. „Das Trailangebot rund um Innsbruck wird ausgebaut und auch in Richtung E-Bike wird’s Neuerungen geben. Persönlich freu ich mich schon auf ein paar spannende Trips mit dem Camper, um auch neue Ecken unserer Heimat zu entdecken.“
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