Seit sieben Jahren arbeitet Mike Reinprecht mit Dominic Thiem als ganzheitlicher Athletikcoach und Leistungsdiagnostiker zusammen. Hier erklärt er, was den US-Open-Gewinner zu einem wahren Champion macht. Und warum er auch in Zukunft auf einer Welle des Erfolges surfen wird. 

Markus Geisler


Es war im Jahr 2013, als Dr. Michael (genannt Mike) Reinprecht einen Anruf von Günter Bresnik bekam. „Du, ich hab da einen Spieler mit Top-10-Potenzial“, kam aus dem anderen Ende der Leitung. „Magst du ihn dir mal anschauen?“ Also flog Reinprecht ins Trainingscamp nach Teneriffa und bewunderte das Talent eines gewissen Ernests Gulbis (der es später wirklich auf Rang zehn der Weltrangliste schaffen sollte). In der Trainingsgruppe mit dabei: Dominic Thiem, der zu der Zeit als heiße, aber körperlich anfällige Aktie galt. „Damals habe ich angefangen, mit ihm regelmäßig zu arbeiten“, erinnert sich Reinprecht, der auch schon im Motorsport (u.a. Motocross-Weltmeister Heinz Kinigadner) und Fußball (u.a. beim Meistertitel des GAK 2004) einige große Erfolge mitgestaltete. „Dass es sich mit Dominic so entwickeln würde, war damals allerdings noch nicht abzusehen.“

Die vorläufige Krönung: Der Titel bei den US Open Mitte September, der erste Grand-Slam-Titel des mittlerweile 27-Jährigen. Und auch für Reinprecht, der „nebenbei“ mit seiner Firma Winning Management Seminare GmbH namhafte Unternehmen in Sachen Coaching betreut, der „größte Erfolg meiner Karriere“. Und beileibe kein zufälliger, wie er im Gespräch mit SPORTaktiv verrät: „Was Dominic im Finale physisch, aber auch mental gezeigt hat, demonstriert seine außerordentlichen Fähigkeiten. So etwas sieht man selten.“ Eine Ansage, die einlädt, in das Erfolgssystem des Mannes einzutauchen, der seit mehr als vier Jahren ununterbrochen zu den zehn besten Spielern des Planeten gehört und aktuell auf Position drei der Weltrangliste steht. Und hier lautet das Stichwort: Winner-Mentalität.

„Es gibt Sportler“, sagt Reinprecht, „die sind auf dem Prüfstand Weltklasse, gewinnen aber nichts. Dominic hat sich in Sachen Never-give-up-Mentalität, Optimismus, Fokus, Intuition im letzten Jahr noch einmal mächtig entwickelt.“ Intuition? „Einstein hat gesagt: Intuition ist, wenn Gott bei dir anruft. Ich nenne es einfach eine höhere Macht. Dominic hat ein starkes Gefühl zu seinem Inneren, dann spürt man Abläufe im Vorhinein. Das hilft in extremen Situationen ungemein.“ Wie aber kann man die Extremsituation eines Grand-Slam-Finales im Training simulieren? Reinprecht ging mit Thiem beispielsweise Gokart fahren oder ließ ihn ein paar Runden auf dem Red-Bull-Ring drehen. „Mit mehreren Hundert PS unter dem Hintern kommen Menschen, die das nicht gewohnt sind, schon in Stress-Situationen. Wobei du eine Final-Situation, noch dazu mit Dominics Vorgeschichte, nie eins zu eins nachstellen kannst.“

Jeder Erfolg verleiht Flügel: Was Dominic Thiem zu einem wahren Champion macht

Zu dieser Vorgeschichte gehört, dass Thiem bereits drei Final-Pleiten bei Grand-Slam-Turnieren einstecken musste. Und nicht wenige unkten, dass ihm eine Niederlage gegen Alexander Zverev in New York, noch dazu als Favorit, ein ausgewachsenes Endspiel-Trauma bescheren könnte. Eine Besorgnis, die Reinprecht nicht teilt. „Wir als Trainerteam hätten schon dafür gesorgt, dass es nicht so weit kommt. Und ganz ehrlich: Ich war mir auch bei 0:2-Satzrückstand immer noch sicher, dass Dominic das Spiel gewinnen wird. Denn ich wusste erstens, dass Dominic ein viel höheres Leistungsniveau hat, als er bis dahin gezeigt hat, und zweitens, dass Zverev das bis dahin sehr hohe Level nicht über ein ganzes Match halten kann.“

Aktuell spielt Dominic Thiem bei den French Open in Paris (das Turnier begann nach Redaktionsschluss) und die Nation fragt sich, ob die Erfüllung seines Lebenstraums nur der Anfang eines Höhenflugs ist. Dass es einen schnellen Absturz geben wird, glaubt Reinprecht nicht. „Jeder Erfolg verleiht Flügel“, sagt er. „Die Freude am Tennis wird größer, man entwickelt eine positive Erwartungshaltung. Man muss nur aufpassen, dass man etwas nicht mit zu viel Nachdruck forciert, denn dann entsteht Gegendruck. Diese Gefahr sehe ich bei Dominic aber nicht und genau das zeichnet einen echten Champion aus. Er wird jetzt versuchen, wie ein Surfer auf der Welle des Erfolgs zu reiten.“ 

Einen Grundstein für den aktuellen Erfolg sieht der studierte Sportwissenschafter übrigens in der Corona-Phase, als alle Turniere abgesagt wurden und die Sportler sich ohne konkrete Ziele fit halten mussten. „In dieser Phase haben wir viel zusammen trainiert. Entweder bei ihm in Wien oder bei mir in den steirischen Weinbergen. Wir haben die Zeit super genutzt, mehr Muskelmasse aufzubauen, was zu noch mehr Explosivität, noch mehr Schnelligkeit geführt hat. Davon hat er in New York profitiert.“ Aus einer Krise einen Vorteil zu ziehen und gestärkt daraus hervorzugehen – auch das schaffen wohl nur wahre Champions.