Skitourengehen boomt. Entlegene Orte erreichen, einsame Gipfel genießen, versteckte Tiefschneefelder entdecken – für viele das Highlight im alpinen Sportjahreskalender.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ist er vor weniger als 24 Stunden gefallen und in seiner Kristallform noch zu erkennen, spricht man von Neuschnee, ist er älter und hat seine ursprüngliche Form verloren, wird er zum Altschnee. Pulverschnee, leicht und locker und zum heiligen Gral der Tiefschneejünger geadelt, fällt bei besonders niedrigen Temperaturen. Ebenfalls gerne gejagt: Der durch Schmelz- und Gefriervorgänge stark verdichtete Altschnee, der an warmen Spätwinter- und Frühlingstagen mit den ersten Sonnenstrahlen so herrlich zum Firn – nun ja – auffirnt. Als Wildschnee bezeichnet man extrem lockeren Neuschnee, Papp-, Feucht- und Sulzschnee sind stark durchnässt und schwer, Nassschnee ist so durchnässt, dass Wasser zu rinnen beginnt. Windharsch legt sich bei feuchtem Wind als dünne Kruste über den Schnee, der gefürchtete Bruchharsch beschreibt oberflächlich durchweichten und wiederholt zum tückischen Harschdeckel aufgefrorenen Schnee … Die weiße Pracht durchlebt schier unendlich viele Inkarnationen, fängt uns Skitourengeher in jeder Minute oben in den tiefwinterlichen Bergen im wahrlich einmaligen, weil schlichtweg niemals wiederkehrenden Moment.

Mit den ersten leicht angezuckerten Gipfeln beginnt sich eine seltsame, fast schmetterlingshafte Vorfreude in der Brust breitzumachen. Die Vorfreude auf schneereiche Wettertiefs, die sich irgendwann in tiefblauem Himmel auflösen und uns die glitzernde Bergwelt völlig neu entdecken lassen. Aber auch die Vorfreude auf kalte, klare Luft, auf eisigen Wind, der den Duft von Abenteuer mit sich trägt. Alles Schroffe wird unter der dicken Schneedecke seltsam sanft, fast trügerisch nahbar. Frühmorgens mit fellbespannten Skiern unter den Füßen die ersten Spuren anlegen. Erst im langsam lichter werdenden, seltsam stillen Wald, später oben zwischen den weiten Almen und ihren steilen Hängen und, wenn es Berge und Wetter so wollen, bis ganz hinauf auf die hoffentlich einsamen Gipfel. Ein demütiger Blick noch in die mächtige Winterwelt und hinunter ins Tal, ehe Körper und Ski dem Blick folgend talwärts jucherzen. Skifahren in unberührten Hängen, für viele das größte für sich allein erlebbare Glück auf Erden. Hat man sich jeden Einzelnen der Tiefenmeter dann auch noch selbst erarbeitet, hat sich in unzähligen Kehren seinen Weg durch die übermächtig raue Welt der winterlichen Bergwelten gebahnt, brennt sich jeder einzelne Schwung noch tiefer ins Glückszentrum. Strahlende Augen? Die erblicken eine strahlende Welt. Alles, was es dafür braucht, sind schneebedeckte Hänge, Skitourenausrüstung und eine gute Portion Kondition.
 

Eines der letzten echten (Mikro-)Abenteuer
Auch wenn es draußen noch dunkel ist, wird das erste Piepsen des Weckers bereits sehnsüchtig erwartet. Eine warme Tasse Kaffe, dazu eine halbe Schale Müsli, alles schon in Tourenhose und mit einem finalen Smartphone-Blick aufs lebensrettende Portal lawine.at. Noch vertreibt das Scheinwerferlicht die Dunkelheit, wild tanzende Schneeflocken streifen am Weg zum Tourenparkplatz über die Windschutzscheibe, am Horizont dämmert es bereits. Im ersten Tageslicht kämpfen kalte Finger mit steifen Tourenskischuhen, noch schnell ein LVS-Check mit den Tourenpartnern und endlich, ENDLICH, kündet das charakteristisch schleifende Geräusch der Tourenfelle am Schnee vom beginnenden Aufstieg ins Abenteuer. 

Ob sanfte Wanderung über Forststraßen und des Winters einsame Almen, der Angriff auf hohe Gipfel und lange, höhen- und natürlich tiefenmeterreiche Überschreitungen, die Jagd nach versteckten Powderfeldern oder die Eroberung steiler Rinnen – in unwirtlicher Umgebung durch die Winterlandschaft zu stapfen hat viele Reize, lässt aber stets die Vibrationen großer und kleiner Abenteuer mitschwingen. Beeindruckende Blicke, die selbst im Sommer gut bekannte Landschaften völlig anders erscheinen lassen. Das einzigartige Gefühl von im Tiefschnee aufschwimmenden Skiern, der körnig führige Firn, den Flow im lichten Hochwald finden. Kann das Leben in den Alpen schöner sein?

Etwas weniger abenteuerlich, dafür aber für in Tourenplanung und Einschätzung der Schneebedingungen Unerfahrene deutlich sicherer geht es auf Pistentouren zu. Eine zunehmend wachsende Fangemeinde nutzt in innovativen und gegenüber den neuen Gästen offenen Skigebieten teils eigens angelegte Aufstiegsspuren. Für erste Erfahrungen mit dem Material, aber auch für fitnessorientierte Touren fernab alpiner Gefahren mit gewohntem Carving-Spaß bergab.

Wohl bedacht und mit Respekt
Vielfach lässt der Schnee die Berge sanfter erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Witterung, Wind, Temperatur und Gelände haben großen Einfluss auf die Stabilität der Schneedecke, Lawinen sind eine reale Gefahr und auch die Wegfindung stellt Tourengeher im Winter vor deutlich größere Herausforderungen als gut markierte Sommerwanderwege. Wir wollen niemanden abschrecken, nur zum nötigen Respekt gegenüber den Bergen ermahnen. Macht euch vertraut mit den Basics der Tourenplanung, besucht, sofern euch mehr als Pistentouren vorschweben, Lawinenkurse und macht euch dort mit den alpinen Gefahren, aber auch mit der nötigen Ausrüstung vertraut. LVS, Sonde und Schaufel richtig verwenden, aber auch Topo- und Wetterkarten studieren und Lawinenlageberichte (lawine.at liefert jeden Abend eine Einschätzung für den kommenden Tag) richtig interpretieren. Von Bergprofis „angelernt“ geht vieles leichter von der Hand. Das Anlegen von sicheren Aufstiegsspuren, das Erkennen von Gefahrenstellen – hier hilft vor allem Erfahrung, aber eben auch eine kundige Einführung. Der viele Schnee weckt unseren kindlichen Spieltrieb, und das ist auch gut so – man sollte nur nicht zu leichtfertig damit spielen, sondern mit Respekt, nicht Furcht, in die Bindung steigen.

Tourengehen boomt, und das zu Recht. Aber: Wir sollten uns trotz oder gerade ob unserer steigenden Zahl auch immer als das verhalten, was wir sind: geduldete Gäste in wirtschaftlich genutzten Wäldern und im Lebensraum der alpinen Tierwelt. Nur weil es die moderne Stirnlampe möglich macht, muss man nicht spätabends noch durch die Wälder stapfen und das Wild vor sich hertreiben. Ein verlockender, frisch aufgeforsteter Holzschlag ist keine Einladung für ein paar freie Powder-Schwünge, dem Jungwald mit den Skikanten die Wipfel abzufahren. Und nicht überall, wo man sein Auto abstellen könnte, stößt dies auf große Freude bei denen, die hier im Wald ihre Lebensgrundlage erwirtschaften. Etwas Hausverstand und gegenseitiger Respekt hilft auch unserer wachsenden Skitourengemeinde noch lange Freude am Abenteuer im Schnee zu haben. Und nicht wie die Mountainbike-­Welt als Feindbild von Eigentümern und Pächtern mit Verboten überschwemmt zu werden.