Unser heutiger Interviewpartner ist Doppel-Weltmeister und Sportler des Jahres Vincent Kriechmayr. Über Berühmtsein, Zufriedenheit, mentale Stärke und den Kick der Emotionen beim Skifahren.
Doppel-Weltmeister, Super-G-Weltcupsieger. Wenn man so eine famose Saison hinter sich hat wie du im vergangenen Jahr – freust du dich dann unbändig auf die neue Saison oder denkst du dir: Meine Güte, das ist ja kaum zu toppen.
Natürlich freue ich mich auf die neue Saison. Die Erfolge im vergangenen Jahr sind sehr schön, beflügeln mich auch. Aber es geht ab sofort wieder bei null los. Meine Erwartungen an mich selbst sind sehr hoch, ich muss mich aufs Neue beweisen.
Du hast mal gesagt, dass du eigentlich nie zufrieden bist. Gilt das auch nach einer Saison wie der vergangenen?
Mit gewissen Sachen war ich sehr zufrieden, keine Frage. Aber das Schöne am Sport ist doch, dass man sich immer verbessern kann. Das ist mein Ansporn. Die anderen Fahrer entwickeln sich auch, da darf man nicht zurückstehen. Es gab auch letztes Jahr einzelne Rennen, bei denen ich meine Leistungen nicht abrufen konnte. Dementsprechend ist es für mich unmöglich, zu 100 Prozent zufrieden zu sein.
Wo konkret siehst du bei dir Verbesserungspotenzial?
Überall! Körperlich, mental, skitechnisch, beim Material. Es gibt kaum einen Aspekt, bei dem nicht noch Luft nach oben wäre.
Du hast den mentalen Aspekt zuletzt öfter erwähnt. Ist das aktuell ein Schwerpunkt?
Nein, das nicht. Aber sowohl im Leistungssport als auch im Berufs- oder Privatleben ist der Kopf der entscheidendste Faktor. Wenn man Marcel Hirscher hernimmt: Der war in allen Belangen der Beste, vor allem aber was seinen Kopf angeht. Wie er mit Druck umgegangen ist, immer wieder seine Leistung abgerufen hat – da war er der Konkurrenz weit voraus. Er war eine Maschine! Es ist wichtig, auch im Kopf einen Schritt nach vorne zu machen.
Welche Trainingseinheiten gönnst du deinem Kopf?
Ich habe – im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen – keinen speziellen Mentaltrainer, sondern versuche, von meinem Erfahrungsschatz zu profitieren. Ich bin ja schon einige Jahre im Skizirkus dabei, das hilft enorm. Wenn man jung und unbekümmert ist, hat es auch seine Vorteile. Aber wenn man beständig vorne mitfahren will, muss man im Kopf die Stärke haben, seine Trainingsleistungen beim Rennen abrufen zu können.
Apropos jung und unbekümmert. Wie oft fährt Vincent Kriechmayr, der durch das Skifahren reich und berühmt wurde, einfach nur so just for fun?
Wenn, dann nur nach der Saison. Währenddessen habe ich nie Zeit, privat Ski fahren zu gehen. Wenn ich am Schnee bin, dann trainiere ich. Nach der Weltcup-Saison versuche ich schon, einfach mal wieder nur für mich zu fahren, aber das kommt nicht oft vor.
Denkst du dir dann: Wie geil ist dieser Sport, wenn man ihn ganz ohne Druck ausübt?
Früher war die Situation schon anders, ja. Aber es macht mir jetzt auch riesigen Spaß. Vor allem wenn man seine Leistung abrufen kann – das ist eine irrsinnige Genugtuung. Als Profi ist es eine andere Form von Spaß.
Wie meinst du das?
Es geht um die Emotion. Wenn man sich am Limit bewegt, den Adrenalin-Kick spürt, das letzte Hemd riskiert … Wenn man das dann ins Ziel bringt, kommen Emotionen hoch. Das macht den Sport aus meiner Sicht so besonders. Wenn ich einen Erfolg gefeiert habe, schaue ich nachher nicht auf Pokale und Medaillen. Für mich geht es um die Emotionen, die ich dabei gespürt habe.
Gehst du gelegentlich Skitouren, um dich fitzuhalten? Oder langlaufen?
Im Frühjahr bin ich fast nur auf Tourenski unterwegs, während der Saison habe ich keine Zeit, mich auf andere Sportarten zu konzentrieren. Da geht es ausschließlich darum, zwischen den Trainings und den Rennen zu regenerieren. Wenn ich nach der Saison Skitouren gehe, dann gerne mit der Freundin, ganz gemütlich für zwei, drei Stunden. Back to the roots, das macht mir irrsinnig viel Spaß. Ich erinnere mich dann, wie es früher als Kind war.
Wie hast du den Sommer genutzt, um von der Suche nach Hundertsteln wegzukommen, mal abzuschalten?
Grundsätzlich denke ich jeden Tag an den Skisport und frage mich, wo ich mich verbessern kann. Das ist im Sommer nicht anders. Ich habe auch beim Sommertraining ständig Gedanken wie: Warum mache ich dieses? Warum mache ich jenes nicht? Bei mir ist alles immer auf den Skisport ausgerichtet. So richtig abschalten kann ich gar nicht. Und will ich auch gar nicht.
So richtig abschalten kann ich gar nicht. Und will ich auch gar nicht.
Das heißt, es kann passieren, dass du bei 35 Grad an einem See liegst und daran denkst, wie du die Mausefalle noch schöner nehmen könntest?
Vielleicht nicht direkt an die Mausefalle … (lacht) Aber ja, das kommt sicherlich vor. Ich halte das auch für ganz normal. Die Gedanken kommen von allein.
Lebst du auch im Sommer immer nach einem Trainingsplan? Oder gibt es zwei, drei Wochen, in denen du nur nach Gefühl etwas sportelst?
Nein, ich trainiere ständig nach Trainingsplan. Ich habe immer intensiven Kontakt zu meinem Kondi-Trainer, der mich im Sommer betreut. Er legt die Schwerpunkte fest, ich halte mich daran. Da wird nichts dem Zufall überlassen.
Du hast den öffentlichen Rummel um deine Person mal als negative Begleiterscheinung deiner Ski-Karriere bezeichnet. Mittlerweile wirst du noch viel mehr als Promi wahrgenommen. Kannst du es mittlerweile auch genießen?
Ich sehe mich in erster Linie als Sportler, der einfach nur schnell Ski fahren will. Berühmt zu sein war definitiv nie mein Ziel. Mir ist schon bewusst: Berühmt sein bedeutet Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit bedeutet Sponsoren, von dem lebe ich. Ich glaube aber nicht, dass irgendeiner von uns Athleten den Sport macht, weil er berühmt sein will. Lieber wäre mir, ich könnte in Ruhe essen gehen und niemand erkennt mich. Wenn ich nicht berühmt wäre, wäre es mir wurscht!
Du warst immer schon ein guter Skifahrer, seit einigen Jahren bist du herausragend, ein Aushängeschild des ÖSV. Hat sich dein Status verändert, sodass du merkst, dass du auch ein Role Model für junge Fahrer bist?
(Überlegt) Jein. Die Konkurrenten innerhalb des Teams sind eigentlich die wichtigsten Trainer. Es gibt viele junge Athleten, die sich von den Arrivierten etwas abschauen, so wie ich früher bei Hannes Reichelt. Jetzt schauen sich die Jungen etwas von mir ab. Es gibt aber auch Momente im Training, wo junge Athleten richtig Gas geben. Dann finde ich es wichtig, dass auch ich mir von denen etwas abschauen kann. Ich habe keine Scheu, mir dann Tipps geben zu lassen. Niemand soll glauben, dass er perfekt ist.
Wir stehen am Beginn einer Olympia-Saison. Wie oft schweifen deine Gedanken in Richtung Peking ab?
Gar nicht! Wir haben in Österreich eine so starke Mannschaft, dass ich mich erstmal qualifizieren muss. Deshalb liegt der volle Fokus auf dem Weltcup.
Als Doppel-Weltmeister und Kristallkugel-Gewinner wäre ein Olympiasieg doch das i-Tupferl.
Natürlich ist eine Olympia-Medaille etwas Großes. Das Größte, das du als Skifahrer bei einem Einzelrennen erreichen kannst. Aber es ist noch weit weg. Und zum großen Wurf gehört auch Glück dazu.
Du scheinst nicht zu den Fahrern zu gehören, die sich auf ihr Glück verlassen müssen …
Es gehört trotzdem dazu. Skifahren ist ein Outdoor-Sport, die Umstände können entscheidend sein. Was ich beeinflussen kann, versuche ich auszureizen.
Du hast im Oktober Sölden ausgelassen. Bedeutet das, dass der Gesamt-Weltcup kein Thema für dich ist und du dich nur auf die Speed-Disziplinen konzentrierst?
Der Gesamt-Weltcup ist definitiv kein Thema! Ich muss schauen, dass ich in meinen Kern-Disziplinen – Abfahrt und Super G – einen Schritt nach vorne mache. Speziell in der Abfahrt sind manche Rennen nicht gut gelaufen, da war ich im Weltcup ziemlich abgeschlagen (Anm.: als Fünfter 219 Punkte hinter Sieger Beat Feuz). Solange ich das nicht im Griff habe, hat es keinen Sinn, vom Gesamt-Weltcup zu sprechen.
Aber die kleinen Speed-Kugeln stehen schon auf deiner Liste …
Ich setze mir solche ergebnisorientierten Ziele gar nicht. Ich möchte bei jedem Rennen um den Sieg kämpfen, Podestplätze erreichen. Wenn es dann für eine Kugel reicht – gut. Wenn nicht, dann nicht.
Wie regenerierst du nach einem Rennen? Für uns Hobbyfahrer endet der perfekte Skitag ja oft beim Relaxen in der Sauna …
Nach den Rennen versuche ich, das Laktat rauszubringen, indem ich mich bewege. Mein Körper reagiert am besten, wenn ich mich dehne, mobilisiere, den Kreislauf in Schwung bringe. Ich mache auch Krafteinheiten, um mein Level zu halten, das ist entscheidend, um einen geschmeidigen Körper zu behalten. Das Schlimmste wäre, nach einem Rennen zwei Tage auf der Couch zu liegen. Da würde ich am schlechtesten regenerieren.