Klettersteige machen alpin Herausforderndes ­leichter zugänglich – der Grat zwischen coolem Spaß und schmerzhaftem Frust ist jedoch mitunter schmal. Tipps für Neueinsteiger und Denkanstöße für Klettersteig-Erfahrene. 

Oliver Pichler

Herbert Raffalt, Bergführer und Alpinfotograf aus Haus im Ennstal, verpackt die Message in gleichermaßen ermutigende wie mahnende Worte: „Klettersteige öffnen auch Bergsportlern den Zugang in alpines Steilgelände, die dorthin sonst nicht vordringen könnten. Dass Route und Schwierigkeit von vorneherein klar sind, macht sie leichter einschätzbar. Und man kann, im Gegensatz zum klassischen Klettern, auch allein unterwegs sein.“ Man könnte es vielleicht auch mit dem beliebten Spruch der Ski-Weltcup-Abfahrer ausdrücken: Angst ist bei vernünftiger Herangehensweise an Klettersteige nicht notwendig, Respekt aber immer erforderlich. Klettersteigtouren führen nämlich ins alpine, felsige, oft senkrechte Gelände, in Routen, die sonst nur für kletternde Könner zugänglich wären. Die Stahlseil-Versicherungen sind gute Orientierungshilfen und geben Sicherheit, weil sie – bei korrekter Anwendung der Ausrüstung – Totalabstürze verhindern. Weil jedoch jedes Stürzen ins Klettersteigset unweigerlich Verletzungen zur Folge haben würde, gilt: Im Klettersteig ist Stürzen „verboten“!

Das nur vorausgeschickt. Der Erlebniswert der „Via Ferrata“-Touren indes kann sehr groß sein! Auf jungen wie auf traditionsreichen Steigen, etwa in den Dolomiten: „Während in Österreich, Deutschland und der Schweiz erst in den letzten zwei Jahrzehnten viele Klettersteige entstanden sind, gibt es sie bei uns in den Südtiroler Dolomiten schon sehr lang“, hält Erwin Steiner, Bergführer und Produktentwickler der Alpinschule Globo Alpin in Toblach in Südtirol fest. „Die allermeisten davon sind bereits im Ersten Weltkrieg als Kriegssteige entstanden und wurden später fürs Bergsteigen umfunktioniert“, erzählt Steiner. 

„Klettersteiggehen hat bei uns schon vor zehn Jahren zu boomen begonnen und es sind in vielen Regionen neue Klettersteige entstanden. Heute ist das Interesse auf hohem Niveau stabil“, analysiert Raphael Eiter, Bergführer im Pitztal in Tirol. Er zeigt sich von dem Sport begeistert: „Das für mich Coole daran ist, dass Einsteiger, wenn sie die Technik unter professioneller Anleitung gründlich erlernen und üben, in der Folge ohne Expertenhilfe auskommen und auf eigene Faust unterwegs sein können.“

Behutsam steigern
„Klettersteig-Einsteiger sollten sich behutsam von leicht zu schwerer herantasten und zuerst deutlich unter ihrem Leistungsmaximum unterwegs sein, um Einhäng- und Umhängtechnik sowie das Steigen im Fels sicher zu beherrschen. Erst dann sollten die Länge der Klettersteige, der Schwierigkeitsgrad oder die Tour-Gesamtdauer gesteigert werden“, rät Raffalt. Er empfiehlt zu Beginn jedenfalls einen Kurs zu machen, bei dem man von einem Profi Technik und Taktik direkt im Klettersteig vermittelt bekommt. „Das Schöne am Klettersteiggehen ist, dass der ganze Körper im Einsatz ist. Deshalb sind Ausdauer, Kraft und Körperstabilität wichtig“, rät Raffalt Neueinsteigern, aber auch Erfahrenen vor dem Start in die Saison zu Ausdauer- und Kraft-Ausdauertraining
 

„Will man ambitioniertere Klettersteige ab Schwierigkeitsgrad C gehen, rate ich dazu, die Armkraft, konkret Kraft-Ausdauer mit vielen Wiederholungen gezielt zu trainieren, weil Kraft im Oberkörper nötig ist, wenn es sehr steil ist“, ergänzt Bergführer Eiter. Noch ein Tipp: sich Schritt für Schritt wieder an sein Leistungslevel heranzutasten gelte am Saisonanfang auch für erfahrene Klettersteiggeher. „Das liegt nicht zuletzt an den mentalen Herausforderungen. Immerhin befindet man sich hundert und mehr Meter über dem Boden“, weist Raffalt auf die Psyche als nicht zu unterschätzenden Faktor hin.

„Eine solide Tourenplanung, bei der alle Teile der Route hinterfragt werden, ist ganz wichtig“, so der Pitztaler Raphael Eiter. „Die Sicherheit betreffend, rate ich, auch wenn der geplante Klettersteig im Normalfall gut bewältigbar ist, die Tour nicht zu unterschätzen. Es kann immer passieren, länger unterwegs zu sein als geplant oder mit unerwarteten Bedingungen konfrontiert zu sein“, mahnt Bergführer Raffalt. Während eines Gewitters noch im Klettersteig zu sein, ist unbedingt zu vermeiden. Denn das Stahlseil wirkt wie ein Blitzableiter. „Während des Gewitters unbedingt weg vom Seil“, mahnt Dolomiten-Experte Steiner. 

Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist, den Abstieg gleichwertig zu beachten. Während die Konzentration bei der Planung oft nur auf dem Aufstieg liegt, der dank informativer Klettersteig-Topos (online oder in Klettersteigführern) meist gut einschätzbar ist, bleibt der Abstieg meist unbeachtet. „Es gibt zahlreiche sehr schwierige, manchmal auch sehr lange Abstiege, die ähnlich fordernd sein können wie der Aufstieg. Und während Klettersteige oft sonnenseitig liegen und dadurch schon früh schneefrei sind, muss man beim Abstieg, etwa wenn er nordseitig erfolgt, oft bis weit in den Sommer hinein mit Schnee rechnen“, weiß Alpinprofi Raffalt.
 

Klettersteig-Basics & mehr

Für Einsteiger:

  • Kursbesuch! Ohne professionelle Einführung durch einen Profi sollte man sich nicht auf einen Klettersteig wagen
  • Klettererfahrung, etwa in der Halle, ist von Vorteil, aber kein Muss
  • Gute Grundkondition, Beweglichkeit, Bein- und Armkraft 
  • Trittsicherheit & Schwindelfreiheit
  • Sich fordern und an die eigenen Grenzen gehen ist gut und wichtig. Sich oder Klettersteigpartner zu überfordern, jedoch nicht

Ausrüstungs-Basics

  • Klettergurt (Hüftgurt)
  • Klettersteigset 
  • Rastschlinge (Bandschlinge & intuitiv gut bedienbarer Karabiner)
  • Kletterhelm
  • Klettersteig-Handschuhe
  • Rucksack ohne abstehende, herunterhängende Teile
  • Fels- und klettertaugliche, nicht zu weiche Schuhe, etwa „Zustiegschuhe“

Immer am Berg dabei:

  • Erste-Hilfe-Set
  • Rettungsdecke
  • Biwaksack
  • Voll geladenes Smartphone
  • Stirnlampe
  • Isolations- und Regenjacke
  • Kartenmaterial

Für Fortgeschrittene

  • Saisonstart mit leichteren, nicht sehr langen Klettersteig-Touren
  • Tritte sowie Ein- & Umhängtechnik bewusst und exakt ausführen
  • Die Höhe wieder bewusst spüren
  • Auf- und absteigen im Klettersteig üben
  • Behutsam steigern und sich erst allmählich wieder ans Leistungsmaximum der Vorjahre heranwagen

Spannende Klettersteig-Reviere
„Die Region Schladming-Dachstein zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr viele grundverschiedene Klettersteige, etwa in der Ramsau oder am Stoderzinken, zu entdecken gibt und sich durch den Zugang zum Dachstein prächtige hochalpine Möglichkeiten auftun“, ist Raffalt von der Vielfalt seiner Heimat begeistert. Seine Geheimtipps, weil prächtig und nicht sehr frequentiert, sind Amon-Klettersteig am Dachstein, der Adamek- und Simonyhütte verbindet, und der Ramsauer Klettersteig von der Edelgries­höhe Richtung Guttenberghaus. 

„Die Herangehensweise der Klettersteigbauer im Ersten Weltkrieg in den Südtiroler Dolomiten war nicht, über senkrechte Felswände hinauf des Spaßfaktors wegen Steige anzulegen. Sondern es wurden natürliche Strukturen, etwa Kamine genützt, um nach oben zu kommen“, erklärt Erwin Steiner. „Bei uns in der Region Drei Zinnen gibt es sehr bekannte Touren, die deshalb auch stark frequentiert sind. Gleichzeitig gibt es in unmittelbarer Nähe, etwa in der Cadini-Gruppe oder der Cristallo-Gruppe, überaus attraktive Klettersteige, auf denen ungleich weniger Bergsportler unterwegs sind.“ 

Das Pitztal ist eines der vielen spannenden Tiroler Klettersteigzentren. „Tirol zeichnet sich neben der Dichte an Angeboten durch ein hervorragendes Niveau der Wartung und Gesamtqualität der Klettersteige aus“, betont Gerhard Schaar von Climbers Paradise Tirol. Im Pitztal gibt es drei Klettersteig-Reviere. „Die Steinwand in Arzl bietet mehrere Varianten unterschiedlicher Schwierigkeit. Das Angebot in Jerzens ist speziell auf Kinder und Einsteiger ausgelegt. Unser Highlight sind die vier Klettersteige des Kletterparks Pitztaler Gletscher“, beschreibt Raphael Eiter, was sein Heimattal zu bieten hat. 

Auch das Maltatal in Kärnten, das hinein in den Nationalpark Hohe Tauern führt, ist im Sommer und Winter alpinistisch überaus attraktiv. Kerstin Pirker vom Hotel „das pirker’s“ in Malta: „Unser Klettersteig-Hit ist der am Fallbach, direkt neben Kärntens höchstem Wasserfall. Der zweiteilige Steig ist im untersten Bereich auch für Einsteiger machbar. Der obere, deutlich längere ist aber sehr schwierig mit ­Kategorie E und deshalb nur für passionierte Klettersteiggeher machbar.“