Am Stahlseil hinaufkraxeln kann doch jeder ... Wie anstrengend ein Klettersteig ist, hat der SPORTaktiv-Debütant sofort gespürt. Wie schön das Panorama war, hat er erst später auf den Fotos gesehen.
Mama, warum ist der Mann gefesselt?“ Wie aus heiterem Himmel bricht die Frage aus dem Kind heraus. Mama weiß vorerst keine Antwort. Die beiden beobachten keine Entführung oder Verhaftung, sie stehen hoch über Filzmoos (Salzburg) in der Nähe der Oberhofalm beim Übungskletterfelsen und beobachten zwei Männer. Der eine ist Coen Weesjes, gebürtiger Niederländer, Wahl-Filzmooser und ein echter Bergfex, der andere ist der ungelenke SPORTaktiv-Redakteur, den man vom Büro-Schreibtisch verscheucht hat, um gefälligst seine allererste Klettersteig-Erfahrung zu machen.
Weil sich der Debütant schon am Übungsfelsen ungeschickt anstellt und viel zu große Schritte macht, hat Coen zu einem Trick gegriffen. Mit zwei Karabinern und einem kurzen Strick verbindet er die beiden Bergschuhe hinten bei den Henkeln am oberen Schuhrand und verhindert damit, dass große, später dann kräfteraubende Schritte gemacht werden. Ich fühle mich wie gefesselt und das schlaue Kind hat das völlig richtig erkannt. Dabei habe ich nur umgesetzt, was mir Coen als ersten Tipp mitgegeben hat: „Die Bewegung kommt mehr aus den Beinen als aus den Händen. Es heißt ja auch Bergsteigen und nicht Berggreifen.“ Tja, Lektion eins von vielen weiteren an diesem Tag unter Bischofsmütze und Gosaukamm.
In der Sommer- und Urlaubssaison boomen die Klettersteige, wo sich vor allem Anfänger und Einsteiger tummeln. Auch Familien mit Kindern trauen sich auf die Via Ferrata („Eisenweg“) genannten Routen. Oft mit wenig Vorkenntnissen, weshalb unbedingt Schnupperkurse bei Profis und das Beherzigen aller Sicherheitstipps empfohlen werden. Ideales Ferienprogramm? Ein klares Jein. Unbedachte kommen rasch in brenzlige Situationen, schwerste Verletzungen können passieren. Klettersteige genießen deshalb mitunter ein zweifelhaftes Image in der Szene der echten Kletterer.
Der erste Klettersteig
Voraussetzungen für Klettersteig-Erstversuche: Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, etwas Kondition, Kraft und Ausdauer in Armen und Beinen, Klettersteigausrüstung (kann man fast überall ausleihen, ist aber auch nicht sehr teuer), Übungskurse und/oder Begleitung durch Profis absolut empfehlenswert. Kinder? Sportliche schaffen es ab 6 Jahren, unbedingt ist aber das Mindestauslösegewicht des Sets zu beachten.
Zusatztipp: Länge und Schwierigkeit des Zustiegs zum Klettersteig und den Rückweg als Faktor einkalkulieren.
Die Ausrüstung
- Kletterhelm
- Kletterhandschuhe
- Klettergurt
- Klettersteigset mit zwei Karabinern und Bandfalldämpfer
- Bergschuhe
Ich bin jetzt aber hier. Und der Laie bringt nicht viel mit. Auch keine Erfahrung im Hochseilgarten, was den Erfordernissen beim ersten Schwierigkeitsgrad A schon ganz nahe kommt, wie mir Coen erzählt. Dort kann man das Hantieren mit den beiden Karabinern des Klettersteigsets ganz gut üben. Dass der Geburtsort meines Experten in den Niederlanden „auf minus 2 Meter unter dem Meeresniveau“ liegt, beunruhigt mich hier knapp zwei Kilometer höher nicht. Er ist nämlich profunder Bergwanderführer in Filzmoos, sogar Leiter der hiesigen Bergrettung und mit mir mittlerweile strammen Schrittes unterwegs hinauf zur Hofpürglhütte, wo ein Klettergarten mit 400 Routen (!) in die Felszacken der Umgebung gebohrt wurde. Der Hüttenchef selbst kraxelt auch gerade herum: Heinz Sudra bohrt eine neue Route. Wie eine Ameise klettert „der Heinz“ im senkrechten Fels, elegant, spielerisch, ich staune über den Kletterprofi. „Schwierigkeitsgrad 8 wird’s, schätze ich“, sagt der beneidenswert fitte 61-Jährige, als er wieder herunten ist. Fünf Meter daneben tobt sich ein Kinderkurs auf Anfängerrouten aus.
Den auch gleich daneben stehenden etwa 30 Meter hohen Felszacken namens „Lechnerturm“ haben wir uns für meine Premiere ausgesucht, hier wurde der Albert-Weiß-Übungsklettersteig angelegt. „Kurz, knackig, spritzig“ steht in der Beschreibung, was auch immer das heißen mag. Schwierigkeitsgrad A/B, dann mehrheitlich B, mit zwei C-Stellen, aha. „Du schaffst das“, macht mir Coen auf 1700 Metern Seehöhe Mut. Helm, Klettersteigset, Handschuhe – und los geht es. Die waagrechte A/B-Passage ist easy, aber nur zwei Meter lang, dann brauche ich in der Senkrechten erstmals meine Hände. Ups, Bizeps leider zu Hause vergessen. Aber gut, dass es nicht noch schwieriger wird. „Für D brauchst du als Richtwert schon die Armkraft für zumindest drei Klimmzüge“, hat mir Coen vorher erzählt.
Jetzt klettert er vor mir und gibt mir Tipps. Spitz steigen, kurze Schritte, Karabiner nachziehen, locker bleiben, durchatmen, kurz warten. Ich umklammere mit beiden Händen das Seil. Dass es hinter meinem Rücken 15 Meter senkrecht nach unten geht und das Tal gefühlt 1000 Meter unter mir ist, blende ich aus. Dass um mich herum ein Traumpanorama ist, sehe ich erst später auf den Fotos. Immerhin, das Handling mit den Karabinern ist einfacher als erwartet. Immer erst einen umhängen, dann den zweiten nachholen und im nächsten Stahlseilsegment einhängen. Easy, aber dennoch immer Anlass für Schlampigkeitsfehler und Unfälle. Und Stürze dürfen nicht passieren, wurde mir eingebläut. Denn bis die Karabiner am nächsten Sicherungsstift anschlagen und der vernähte Bandfalldämpfer aufgegangen ist, ist man schon 3 bis 4 Meter gefallen und vermutlich nicht unerheblich verletzt. Diese Gedanken kann ich nicht ganz verdrängen.
Klettersteig, Via Ferrata
Ein Klettersteig ist für gewöhnlich ein mit Stahlstiften, Klammern und einem durchlaufenden Stahlseil gesicherter Weg bzw. eine Route durch eine Felswand und wird deshalb auch als „Via Ferrata“ (Eisenweg) bezeichnet. Es gibt verschiedene Kategorien (z.B. alpine Klettersteige, Sportklettersteige, Übungsklettersteige) und aufsteigende Schwierigkeitsgrade von A (leicht) bis F (extremst schwierig).
Tipps zum Steigern von Schwierigkeitsgraden findest du in der Juni-Ausgabe von SPORTaktiv und unter diesem Link.
Alle Infos zum Klettergarten: www.klettergarten-filzmoos.at
Beim ersten „Notausstieg“ nach ein paar Höhenmetern machen wir kurz Pause. So weit alles okay, Kraft ist noch da, der Respekt vor dem ungewohnten Terrain aber auch. Danach geht es am Stahlseil drei, vier Meter senkrecht auf einer scharfen Felskante und auf Stahlstiften nach oben. „Ach“, höre ich die Begleiterin vom Kinderkurs nebenan sagen. „Das ist ja ein Klettersteig! Ich dachte, das ist ein Blitzableiter.“ Ich kann nicht lachen, brauche meine volle Konzentration, denn jetzt folgt ein luftiger Quergang. Für ein Selfie will ich zum Handy in der Oberschenkeltasche greifen, aber ich traue mich nicht, ich brauche beide Hände, bin völlig fokussiert und wie im Tunnel. Das ständige Festhalten am Seil ist anstrengend für die Finger, die Schuhe haben aber meistens genug Halt und Grip. Aber wer weiß? Meine Erfahrungswerte sind doch enden wollend.
Nach 20 senkrechten Höhenmetern geht es fünf retour und nach 85 Gesamtmetern in 15 Minuten ist der Übungsklettersteig absolviert. Uff, durchatmen, wir stehen wieder auf festem Boden und mitten im Klettergarten Filzmoos. Coen klatscht mit mir ab, als hätten wir die Eiger-Nordwand durchstiegen, aber mir gefällt’s. Erstbegehung Eisenweg abgehakt. Respekt vor allen, die sich mehr zutrauen, mir reichen Schwierigkeit A, B und C fürs Erste völlig. Neben uns streiten ein paar Kletter-Kids wegen einer Runde „Brawl Stars“ am Handy. Zurück am Boden, zurück in der Realität.
INFO
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