Triathletin Nicole Weiss (unicorn-racing.com) ist im August beim Ironman 70.3 im irischen Dún Laoghaire angetreten. Hier berichtet sie von ihrem bisher härtesten Rennen, das letztendlich zu einem grandiosen Erlebnis wurde ...
Mein Irland-Abenteuer – aber wo soll ein Einstieg geschehen?
- Mit einer ausführlichen Beantwortung der Frage, warum eigentlich dieses Rennen in Irland, obwohl die Landesfarben doch so gar nicht zu meinem Style passen? (Mein Orthopäde meinte „Ist geil, aber schwer!“ und ich wollte auch einfach mal Irland sehen.)
- Mit der ersten Panikattacke beim Starten des irischen Mietwagens im Parkhaus? Stay leeeeft!!!
- Etwa beim Suchen und teilweise Finden der idyllischen, aber abartig schweren Radstrecke zwei Tage vor dem Rennen? Was hatte ich mir denn dabei gedacht? Das Einhorn würde wohl sterben…
- Oder doch beim ersten Schwimmversuch im Meer, bei dem ich mich vor Quallen und Strömungen fürchtete und wohl deshalb so schnell schwamm (möglichweise auch wegen der Kälte, man weiß es nicht)?
Nein, das wird sonst ja noch langatmiger, also gleich in medias res und wir starten am Renntag. Pünktlich um 5 Uhr früh war ich mit frisch mainkürten Nägeln und viel Nervosität absolut nicht bereit für das Rennen. Ich hatte das Gefühl viel zu schlecht vorbereitet zu sein und fragte mich, ob mein Training nicht viel zu wenig Struktur hatte und ob ich dem Rennen überhaupt gewachsen war. Insbesondere die schwere Radstrecke, die doch eigentlich ein Beweggrund für die Teilnahme war, bereitete mir plötzlich Kopfzerbrechen und ich ging schon mal pauschal von mindestens zwei Pannen am Lebensgefährt und einem Komplettausfall der Gehfäden aus. Was soll’s, ich war hier eben der geborene Optimist.
Aber zunächst galt es ja, das Schwimmen zu überleben. Als ich an der Küste entlang in Richtung Schwimmstart schlenderte, war das Meer schön ruhig und langsam ging auch die Sonne auf. Ich war beruhigt, es würde mich wohl keine Zweimeterwelle in die Tiefe reißen. Beinahe vorbildlich nahm ich mir noch viel Zeit für das Anziehen des Neoprenanzugs und schaute mir das Aufwärmen der Profis an, das nur diesen im Meer gestattet war (bei den Wald- und Wiesenathleten wie mir hatte man wohl Angst, dass sie in den Weiten des Meeres schon vorzeitig verloren gehen würden). Temporär optimistisch reihte ich mich ob der guten Schwimmleistung vom Vortag in der 40 Minuten-Zone für den Rolling Start ein. Mein Plan: das erste Mal in meinem Leben unter 40 Minuten bei einem Rennen herumzubaden. Es ging los, die Profis enterten das Wasser, kurz darauf die schnellen Age Grouper und ich teste, wie immer, alle fünf Sekunden nervös den Sitz der Schwimmbrille. Einer Athletin neben mir ging es gleich, sie weinte sogar fast. Verzweifelte Blicke wurden ausgetauscht, man kannte sich nicht, umarmte sich aber und wünschte sich Glück. Das ist das Schöne und auch der Spirit der Ironman-Familie. Man sitzt in dieser Situation ja im gleichen Boot (oder eben Neopren) und ist für einander da. Die Schwimmbrille saß, aber irgendwie kam keine Bewegung mehr in den Rolling Start. Ratlosigkeit machte sich unter den Athleten breit, nach einiger Zeit kam dann die Durchsage „Das Rennen muss unterbrochen werden, zu starker Nebel.“.
Ich war ja so fokussiert und hatte gar nie mehr Richtung Meer geblickt. Welches Meer eigentlich? Plötzlich sah auch ich, dass das Meer völlig vom Nebel verschluckt war, man konnte keine einzige der Bojen erkennen, geschweige denn das Wasser selbst. Ein generelles Absagen des Schwimmens stand im Raum, man wollte das Wetter aber noch beobachten. So warteten wir weiter, fast eine Stunde barfuß am nassen Asphalt bei knappen 10 Grad. Es war so schön. Ja, so widersprüchlich es auch in Anbetracht meiner Skills klingen mag, ich wollte auf das Schwimmen nicht verzichten, es gehört für mich einfach zum Triathlon dazu. Endlich eine erneute Durchsage: der Nebel lichtete sich, das Schwimmen würde stattfinden, jedoch auf einer verkürzten Strecke von knapp einem Kilometer. Yes! Jetzt ging es dann aber wirklich los, ich paddelte dahin und das auf den ersten 100-200 Metern sogar richtig zügig. Leider begann ich dann wieder darüber nachzudenken, ob denn die Züge wohl auch korrekt seien und schon verlor ich meinen Speed wieder. Ich wurde überschwommen, untergetaucht und kämpfte gegen diverse Ellbogen. Im Straßenverkehr lautet die goldene Regel ja „Don’t drink and drive“, für mich müsste beim Schwimmen gelten „Don’t think and swim“, denn dann geht alles den Bach runter. Glücklicherweise war es aber schnell vorbei, nach dem Schwimmausstieg war klar: „Japp, wieder mal das Schwimmen verhaut!“. Ich begann im Laufschritt am Weg zum Wechselzelt schon mal meinen Neoprenanzug auszuziehen und wurde in der Tat anmoderiert mit „Here comes my friend from Austria, Unicorn Racing“.
So viel Fame am Morgen – wohl einer der Vorteile, wenn man im gleichen Hotel wie der Ironman Staff haust und sich den Frühstückstisch teilt. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht begann ich die Schwimmsachen in den Wechselbeutel zu stopfen und schon war das Grinsen weg, denn das waren auch meine Uhr und die Schwimmbrille. Was? Meine Uhr! Die muss doch hier irgendwo liegen? Nope, tat sie nicht. Ich rannte wie ein kopfloses Hendl zurück Richtung Schwimmausstieg, um sie zu suchen. Nix. Meine tolle Uhr – einfach Schwund! Wie sollte ich denn das Rennen ohne Uhr machen? Außerdem ist das Ding auch teuer. Ich konnte mir jetzt entweder ins Höschen machen und das Rennen schon präventiv in die Tonne treten oder einfach weitermachen. Aber wie hätte das ausgesehen mit Exkrementen in der Hose? Außerdem habe ich ja nur diesen einen Trisuit, der so gut zum Rad passt, und dieses Modell wird nicht mehr hergestellt!
Also zurück zu meinem Beutel, Startnummernband an, Radhelm auf und weiter geht’s, natürlich grantig und irritiert, denn die Wechselzeit war Dank dieser Einlage auch zum Witz mutiert. Dafür lief es dann höchst professionell, denn ich hatte meine Schuhe schon am Rad befestigt und schlüpfte während des Fahrens elegant hinein, fast so, als hätte ich es geübt (was ich natürlich nicht hatte, das wäre schon wieder zu viel der Professionalität). Die Sonne kam auch raus und die Schadensbegrenzung des verpatzen Schwimmens und Wechselns begann. Ich fuhr am Limit los, wie lange das gut gehen sollte, konnte ich noch nicht einschätzen, aber immerhin war es ja ein Rennen und keine Kaffeefahrt. Die ersten Kilometer aus der Stadt gingen natürlich schon bergauf, aber auf angenehmem Asphalt. Wieso betont sie das? Nun ja, so sollte es ja nicht bleiben. Die Sanierung der Straßen gestaltete sich in Irland wie folgt (das hatte mir ein Volunteer erzählt): Man erblicke ein Schlagloch in der Größe eines durchschnittlichen Biotops, schütte Schotter hinein und warte einfach, bis die Autos den Schotter festgefahren haben… oder eben auch nicht. Sobald man das Umland von Dún Laoghaire erreichte, waren die Straßen extrem schmal, verwinkelt, geprägt von grobem Asphalt und in einem desolaten Zustand. Da machte die Aeroposition erst richtig Spaß. Dafür konnte ich mit den vielen Anstiegen bestens umgehen und machte da immer einige Platzierungen gut. Es wäre aber auch fatal gewesen, wenn die österreichische Bergbewohnerin an irischen Hügeln scheitern würde. Im Wicklow Nationalpark, dem für mich landschaftlichen Herzstück der Radstrecke, traf ich vor dem längsten Anstieg einen weiteren Teilnehmer aus der Heimat, als er sein Rad schob. Natürlich konnte ich meine blöde Klappe nicht halten und musste ihm zurufen „Nix schieben da, Österreich!“. Leider hatte der Arme aber sturzbedingt einen technischen Defekt und die Kiste war nur noch bedingt fahrbar. Auch an dieser Stelle nochmal „Sorry, Michi!“.
Von der Streckenbesichtigung wusste ich, dass nach diesem Anstieg eine schöne Abfahrt und ein langes Hochplateau folgte, auf dem man wieder Zeit gut machen konnte. Theoretisch, denn da war er wieder, der dichte Nebel. Ich dachte ja immer, dass es starken Wind und Nebel nicht zur selben Zeit geben kann. Aber Irland hat mich eines Besseren belehrt. Die Sichtweite am Hochplateau betrug rund acht Meter, schräg von vorne wehte starker Wind und für die Brille hätte ich Scheibenwischer gebraucht. War es Regen oder nur die Feuchtigkeit des Nebels, ich hatte keine Ahnung. Viel Tempo konnte so leider nicht gemacht werden, denn oft konnte man die Straße nicht richtig sehen und man lief auch immer Gefahr, andere Teilnehmer zu rammen oder eines der lustigen Schafe zu überfahren, die auf oder neben der Strecke ihre Runden zogen. Nach dem mühsamen Hochplateau ging es in der Tat auch mal bergab, aber nur kurz, denn schon ging es wieder gefühlt 27 Hügel nach oben. Wenigstens lichtete sich der Nebel und plötzlich hatte es auch schlagartig wieder zehn Grad mehr. Treten, treten, treten, liebes Einhorn, bald ist es geschafft. Auf den letzten 20 Kilometern fuhr ich sogar über dem Limit, getreu dem Motto: die letzten 100 der 1400 Höhenmeter schenk ich euch, ich ziehe das jetzt durch! Ich dachte nicht daran, dass danach vielleicht noch ein Halbmarathon folgt. In meiner Welt würde dieser ohnehin ein Fiasko werden, denn ich hatte ja keine Uhr mehr. Am Rad leitete mich der Radcomputer, der netterweise schon 85 Kilometer anzeigte, als ich wieder in Dún Laoghaire herumkurvte. Mit der Zeit hatte ich allerdings nicht gerechnet, ich war ganze 30 Minuten schneller als geplant. Im Moment des Realisierens, pannenfrei und schnell der Wechselzone entgegenzufahren, musste ich in der Tat ein wenig mit den Tränen kämpfen. Das konnte ich unmöglich geschafft haben? Doch, jedoch wurde es mit sturzfrei nochmal knapp, denn am Ende einer schnellen Passage kam ohne Vorankündigung die Linie für das Absteigen. Mein eben noch gelobter Radcomputer schien hinterherzuhinken. Während einer maximalen Bremsung zog ich mir irgendwie die Radschuhe aus, beim ersten ging es noch, beim zweiten Schuh war ich jedoch weit von elegant und souverän entfernt.
Lebensgefährt geparkt, Laufschuhe an und Speed ahoi. Irgendwie. Ich lief einfach los. Meine Puste sagte mir: japp, Kilometer eins war zu schnell, wenn du so weiterläufst, wirst du sterben. Es hatte sich gelohnt, dass ich im Training auch öfter mal ohne Uhr und nur nach Körpergefühl laufe, denn ich schaffte es, mein Tempo auf eine überlebbare Pace einzupendeln. Die Schilder, die auf der Radstrecke eingespart wurden, packte man scheinbar auf die Laufstrecke, es fanden sich viele Kilometerangaben, worüber ich sehr dankbar war. So wusste ich wenigstens, ob es noch weit war. Ich fühlte mich in der Tat sehr gut, zumindest als ich am Pier entlang ins Meer laufen durfte. Dort war es ja noch flach, aber dann kamen die leichten, schleichenden Anstiege. Die Laufstrecke hatte ich mir im Vorfeld natürlich NICHT vollständig angesehen, so war im Rennen die Freude über die 130 Höhenmeter umso größer. Haha, welch Spaß. Den hatte ich aber wirklich, denn irgendwie waren mir auch diese Anstiege egal und ich schob mich an immer mehr Athleten vorbei. War ich so schnell oder die anderen so langsam? Was weiß ich, es war aber Balsam für die Seele. Nur noch einmal zum Leuchtturm und dann bei den Leuten vorbei, die so laut schreien, und du darfst auf den roten Teppich abbiegen. Es war der befreiteste und zugleich aber auch unsicherste Halbmarathon bisher. Der rote Teppich war da und es macht keinen Unterschied, ob man ihn zum ersten oder zum neunten Mal betritt, es ist immer etwas Magisches und Besonderes. Hat man dann auch noch so ein hartes Rennen überlebt, ist man einfach überwältigt. Beim Blick auf den Zielbogen erblickte ich dann auch endlich meine Zielzeit von 05:16:15! Andere Athleten kamen auf mich zu und beglückwünschten mich zu meinem schnellen Lauf. Ich wusste nicht, wie mir geschieht und kämpfte wieder mal mädchenhaft mit den Tränen. Ich war einfach nur glücklich.
Einige Zeit später riskierte ich einen Blick auf die Ergebnisliste. Dort stand Platz drei in meiner Age Group und Overall in der Damenwertung Platz neun. Das konnte doch nicht stimmen?! Ich? Das österreichische Einhorn, das zwischen den irischen Schafherden ja fast nicht auffällt, soll da vorne mitmischen? Basierend auf meiner Ungläubigkeit (vielleicht hatte man ja was vertauscht oder mein Chip war kaputt oder ich hatte einen Teil der Strecke ausgelassen?) trottete ich zur Siegerehrung. Mein Zugang: ich glaube das erst, wenn ich so einen Topf in meinen Händen halte. Es wurde aber noch surrealer: da die Profis und 180 Altersklassenathleten vor dem Rennunterbruch die Standardlänge auf der Schwimmstrecke absolvierten, fast 1.500 Teilnehmer aber die verkürzte Strecke schwammen, entschloss man sich, zwei Wertungen zu machen. In meiner Altersklasse rückte ich daher sogar auf Platz zwei vor. Ich konnte mir doch nicht einfach den zweiten Platz auf dem Podium ertrabt haben? Overall dritte Dame auf der verkürzten Strecke! Unglaublich!
Der wohl größte Triumpf des Tages folgte aber im Rahmen der romantischen Wiedervereinigung mit meiner Uhr beim Bike-Check-Out! Ein Volunteer hatte sie eingesammelt und abgegeben! Was für ein Tag! Dieser hätte wohl nur noch mit einem Heiratsantrag von meinem Rad getoppt werden können. Und eines ist schon beschlossene Sache: bei meinem nächsten Rennen werde ich ohne Uhr an den Start gehen – scheinbar lohnt es sich!