Schreibblockade? Nein, es passierte einfach nicht viel. Entgegen der Lebensgestaltung der meisten Mitmenschen in meinem Alter kann ich weder eine Verlobung, Heirat oder diversen Familienzuwachs verkünden.

Nicole Weiss
Nicole Weiss / unicorn-racing.com

Nein, ich habe mir nicht schon wieder ein Rad gekauft, auch wenn Gravelbikes jetzt so hip sind. In der Tat kann ich auch nicht mal von Rennen im beliebten Dreikampf berichten, denn ich habe in dieser Saison keinen einzigen Triathlon absolviert, auch wenn es vielleicht doch noch den einen oder anderen Bewerb irgendwo gegeben hätte. Dieser Sommer war für uns alle einfach anders und ich massiv off the grid.

Ab und zu tauchte ich dann aber doch wieder auf. Damit es nicht völlig langweilig wurde, streute ich Bergläufe oder meine traditionellen Radrennen mit vielen Höhenmetern ein. Immerhin musste man sich krampfhaft an die paar stattfindenden Events klammern, eben in jener Form, wie es viele Menschen neuerdings mit Toilettenpapier praktizieren. Dann lief sich auch noch der Halbmarathon bei „Kärnten Läuft“ entgegen jeder Erwartung sehr gut, denn wer rechnet schon mit Damen-Gesamtrang sechs und dem glorreichen Titel der zweitschnellsten Österreicherin, wenn man seit März nur im Grundlagenbereich aus Jux und Tollerei herumgedümpelt ist? Das Einhorn hatte damit nicht gerechnet. Aber dennoch wurde das Highlight dieser No-Season auf zwei Rädern absolviert.

In meinem Anfall von Wahnsinn ließ ich mich dazu überreden, an einem schönen Tag im Juni mit einer illustren Runde Gleichgesinnter vom Großglockner quer durch Kärnten bis auf die Koralpe zu fahren. Um mögliche Unklarheiten zu vermeiden: mit dem Rad (nicht Auto, Moped, Einhorn-Vierspänner oder E-Bike). Meine Zusage zu diesem Vorhaben basierte zum einen auf Langeweile und zum anderen auf der fehlenden Herausforderung ob der Absenz von tatsächlichen Triathlonbewerben.

So stand ich dann da, um fünf Uhr morgens (oder wie ich es nenne: mitten in der Nacht) und schaute zu, wie mein heiliges S-Works Gott sei Dank mit viel Liebe in den Bus verfrachtet wurde. Die Anreise auf den Glockner erfolgte zunächst gemeinsam mit dem Bus, man musste es ja wirklich nicht übertreiben. An dieser Stelle sei schon vorausgeschickt: die Organisation des privaten Events war überragend: Transfer mit dem Bus zum Start des Abenteuers und vom Ziel auch wieder retour, ein Begleitfahrzeug über die gesamte Distanz, Labestationen und ganz wichtig: genug Kuchen! Als wir komplett waren, mein Blick von Teilnehmer zu Teilnehmer schweifte, wurde mir auch endgültig klar: ich bin wohl wieder mal die Quotenfrau. Aber gut, irgendwer musste diesen Job ja auch machen. Der Trip allein unter Männern begann.

In der Tat war ich an diesem Tag zum ersten Mal in meinem Leben am Großglockner. Darf man das als Kärntnerin überhaupt kundtun, ohne dass Meldezettel und Geburtsurkunde in Flammen aufgehen? Wahrscheinlich nicht. Obwohl der Ausblick wirklich atemberaubend war, wurde er vom ständigen Gedanken „Werde ich diesen Spaß überhaupt überleben?“ ein wenig getrübt. Meine Hoffnung ruhte auf dem Vertrauen in das Begleitfahrzeug und auch auf meinem Dasein als Quotenfrau. Sollte die einzige Frau eingehen, würde ich eiskalt und antiquiert die Genderkarte spielen. Die Gruppe von insgesamt 12 Verrückten setzte sich in Bewegung.

So grotesk es klingt, ich war recht froh, als die Abfahrt vom Glockner bis in flachere Gefilde vorüber war. Ich könnte jetzt natürlich behaupten, dass ich mich einfach nur um die Sicherheit der kreuzenden Murmeltiere sorgte (in der Tat lief eines vor mir über die Straße – entzückend!), aber eigentlich bin ich nur eine Tussi, die sich bei kurvenreichen und schnellen Abfahrten fürchtet und stets kupplungs- und bremsbereit hofft, heil anzukommen. Ich warte hier weiterhin auf meinen jugendlichen Leichtsinn und die Abfahrskills von Julian Alaphilippe. Diszipliniert und mit hohem Tempo ging es zwischen schönsten Bergkulissen vom äußersten Westen Kärntens weiter Richtung Spittal an der Drau und im Anschluss nach Villach. Erstmals in diesem Sommer war es aber so richtig heiß, als wäre die Distanz nicht schon belastend genug. Gott sei Dank konnten wir uns aber stets auf die Labestationen verlassen. Im Kuchen lag die Kraft!

Am Südufer des Wörthersees begann ich jedoch erstmals am Entertainmentlevel der Gruppe zu zweifeln, denn das Tempo wurde so scharf angezogen, dass ich mir nicht sicher war, was zuerst explodieren würde: Lunge, Herz oder die Oberschenkel. Nebenbei drohten auch die Augen aus den Höhlen zu springen, denn der panisch-fragende Blick im Sinne von „Ist das euer Ernst? Um die 40 km/h kann ich für ca. 2,5 Kilometer fahren?! Wer ist denn das vorne im Wind und macht das Tempo?! Weg mit ihm!“ wurde immer starrer. Andererseits musste ich aber auch dankbar sein (zugegeben kam mir dieser Gedanke erst bei der nächsten roten Ampel und nach Abschluss des Hyperventilierens), denn die ersten 180 Kilometer schafften wir in genialen 05:08:30. Diese glorreiche Zeit werde ich mir einrahmen, denn das schaffe ich wohl nie wieder. Nope, nie.

Von Klagenfurt führte die Route weiter Richtung Völkermarkt und über den Griffner Berg. Diesen ersten nennenswerten Anstieg fand ich trotz der bereits absolvierten 210 Kilometer und der gefühlt 7000 Grad Hitze eigentlich noch recht lustig. Oben angekommen war ich auch noch bester Laune und dachte mir „Ach, wie schlimm kann denn diese Koralpe noch werden. Alles cool.“ Welch Schelm ich doch war, da war er plötzlich, der zuvor ersehnte jugendliche Leichtsinn. Weiter ging es in das Lavanttal nach St. Andrä, am Fuße der Koralpe wurde eine letzte Labestation installiert. Ein letzter Kuchen. Ich war noch voller Zuversicht und völlig entspannt: Mein Tempo – meine Regeln, ich fahre so rauf, wie es die Gehfäden eben noch erlauben. Außerdem war es 2020 und somit ja automatisch nicht das beste Jahr, außerdem war ich die Quotenfrau und außerdem und überhaupt. Man merkt: die Selbstbeschwichtigung wurde in exzessivem Ausmaß betrieben. Nach zurückgelegten 240 Kilometern kam nun eben das große Finale: 11 Kilometer und 1.100 Höhenmeter des Sterbens.

Das Begleitfahrzeug fuhr mit offenen Scheiben und Heckklappe voraus, um uns mit Musik zu motivieren. Ich behaupte an dieser Stelle, dass ich mich aufgrund der schallenden Schlagermusik am Ende des Feldes positionierte, um den größtmöglichen Abstand zu diesem akustischen Verbrechen zu generieren. Es hatte somit absolut nichts mit meinen verbliebenden Skills im Überlebenskampf zu tun. Die ersten zwei oder drei Kilometer strampelte ich noch recht souverän, aber die Anstiege wurden immer gemeiner, meine Kräfte immer weniger. Irgendwann schaute ich auf meinen Garmin Edge: krasse 7 km/h Tempo und keine Aussicht auf eine flachere Passage. Ich versuchte, von Kehre zu Kehre zu denken, dabei hatte ich keine Ahnung, wie viele es eigentlich gab. Ja, auch auf der Koralpe war ich zuvor noch nie gewesen. Bis zu diesem Tag im Juni hielt ich mich aber auch für eine passionierte Bergfahrerin, mit jedem absolvierten Höhenmeter stürzte ich hier aber auch in eine Identitätskrise. Ich hasste den Berg ab Kilometer fünf mit jeder Pore meines Körpers, aber es gab kein Aufgeben. Ein Dankeschön an all jene, die mir vor Antreten dieses Trips prophezeit hatten, dass sich es nicht schaffen würde, denn diese Worte motivierten mich mit jedem Tritt. Tatsächlich zählte ich irgendwann jede Kurbelumdrehung und redete mir ein „Yes, mit jedem Tritt, mit jedem Meter kommst du dem Gipfel ein Stück näher. You got this! Egal, was passiert, du kommst an und wirst nicht absteigen!“

Das Begleitfahrzeug kam immer wieder auf Besuch vorbei, unser Betreuer fragte, ob ich denn noch könne oder ob ich mitfahren wolle. Zu Beginn quittierte ich noch freundlich mit einem „Nö, danke, alles gut!“, gegen Ende hin war ich aber, so befürchte ich, nicht mehr ultimativ freundlich und artikulierte mich über spärliche Gesten. Es tut mir leid, Glitter und Feenstaub waren da wohl aus.

Irgendwann war es dann laut Zuruf angeblich nicht mehr weit (oh, das hieß es ja öfter mal) und weil ich zum einen generell nicht mehr so viel mitbekam und mir zum anderen ja auch die Gegend unbekannt war, kam ich dann plötzlich im Ziel an. Durch meine geistige Umnachtung fragte ich aber verzweifelt: „Ist es noch weit? Wo ist denn aus?“. Japp, ich wollte noch weiterfahren. Ein klares Indiz dafür, dass ich wirklich nicht behirnt hatte, dass mein heiliges Rad und ich es geschafft hatten. We made it – in your face! In Zahlen bedeutete diese Tour quer durch Kärnten 253 Kilometer, 2.500 Höhenmeter, 8 Stunden und 55 Minuten. Nie wieder würde ich mir so einen Wahnsinn erneut antun! Meine Gehfäden waren aus Gummi, trugen mich aber noch brav zu Kärntner Käsnudeln im Gipfelgasthaus. Beim gemeinsamen Essen wurden schon Pläne für das nächste Jahr geschmiedet und ich wurde gefragt, ob ich denn wieder mitfahren wolle. Meine Antwort? „Na klar! Wann?“

Nicole Weiss
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