Wollte ich in diesem Jahr nicht die Reise nach Mittelerde resp. zur 70.3 WM in Neuseeland skizzieren? Sollte der erste Höhepunkt nicht der Ironman Austria im Juli sein? Wollte ich um diese Zeit nicht aufgeregte (oder verwirrte) Zeilen zu ersten Testrennen verfassen? Welch Schelm ich doch war, als ich annahm, dass dies ein tolles Sportjahr werden würde. Glitzerstaub-Level: Low.
Lange wartete ich auf ein offizielles Statement zum Ironman Austria, wobei mir eigentlich schon früh klar war, dass ein Stattfinden Anfang Juli einfach unrealistisch sein würde. Angesichts der sehr dürftigen Anzahl an gesammelten Kilometern im Wasser und auf der Straße, war mir ein Verschieben grundsätzlich gar nicht unrecht. Endlich kam die Information, dass der Ironman Austria auf den 20. September verschoben wird, wobei allen Athleten angeboten wurde, den Startplatz optional auch auf das kommende Jahr zu transferieren. Das Einhorn warf kurz das Gehirn an und überlegte: wenn so viele Rennen auf den Spätsommer und Herbst verschoben werden, dann wird doch auch bestimmt die 70.3 WM Ende November stattfinden. Denke ich an meinen ersten Ironman zurück, so brauchte ich rund vier bis fünf Wochen, um mich von diesem körperlichen Totalschaden namens Langdistanz voll zu erholen.
Aber sollte ich mich im Oktober nicht in der letzten Vorbereitungsphase für die WM befinden und eingemummt im Nebel am Rad festfrieren? Mir war schnell klar: mein Start wird auf 2021 verschoben und ich konzentriere mich voll auf die Mitteldistanz-Weltmeisterschaft. Diese Klarheit hinsichtlich der Ziele war sehr beruhigend, denn ich bin sicher nicht allein damit, wenn ich sage: diese Ungewissheit ob Corona, sei es beruflich, finanziell und auch sportlich, macht einem wirklich zu schaffen. Voller Euphorie bastelte ich mir eine neue Periodisierung und Trainingspläne für die nächsten Monate: Mittelerde, ich bügle noch schnell meinen Elbenumhang und mach mich wieder auf den Weg!
Die positiv gestimmte Prinzessin in mir hielt schon immer an einem Stattfinden der Weltmeisterschaft Ende November fest. Vielleicht lebe ich aber generell zu viel in einer Märchenwelt, immerhin warte ich morgens ja auch darauf, dass blaue Vögelchen in mein Schlafzimmer fliegen und mir euphorisch in mein wallendes Kleid helfen. So wie das Fliegengitter an meinem Schlafzimmerfenster dieses morgendliche Ritual verbockt (mir fällt sonst keine plausible Erklärung ein), so zerstörte ein Mail von Ironman in einer Donnerstagnacht meine Träume für dieses Jahr. Die 70.3 Weltmeisterschaft wird nicht stattfinden und auf unbestimmte Zeit verschoben. Rums. Da fiel dem Einhorn jeglicher Glitzerstaub aus der Hand und das Horn aus dem Gesicht. Auch der nächste Plan für dieses Jahr wanderte sogleich in den Altpapiercontainer. Danke, Corona! Gott sei Dank hatte ich den Ironman Austria ja eine Woche zuvor explizit auf 2021 verschoben, um genug Zeit für die Vorbereitung auf die WM zu haben. Welch erbauliches Gefühl, stets die richtigen Entscheidungen zu treffen #sarcasmoff.
Trotz meines Daseins als passionierte Kamillentee-Trinkerin tauschte ich das Heißgetränk in dieser Situation tatsächlich gegen das eine oder andere hochprozentige Elixier zur Frustbewältigung. Not pro, I know – aber das war ich ja generell noch nie. Dafür, dass mein Kopf sonst unglaublich voll ist (meist mit Sinnlosem oder Blödsinn), war er plötzlich völlig leer. Für mich war der Traum, zur WM zu fahren, in diesen Minuten geplatzt. Wie sollte ich das logistisch und angesichts der herausfordernden, beruflichen Situation finanziell noch hinbekommen? Würde die WM in Neuseeland denn überhaupt noch stattfinden (man hoffe laut Ironman ja auf einen Ersatztermin Anfang des kommenden Jahres … aber ich mache ja keine Pläne mehr)? Kann ich Hotels und Flüge ohne Ruin umbuchen – aber ich weiß ja nicht mal, auf welches neue Datum?! Wird der Startplatz schlussendlich vielleicht doch gleich auf die 70.3 WM 2021 in St. George/Utah transferiert? Aber dort will ich doch nicht hin (ich habe mir die Gegend angesehen, an den Highways dieser Gefilde beginnen viele Folgen von Criminal Minds)! Ja, der vermeintlich leere Kopf driftete zügig in die „Erste-Welt-Probleme“-Thematik ab. Aber was soll ich tun? Abwarten und (wieder) Tee trinken.
Nach einer erneuten Phase des „Warum, wozu und wer bin ich überhaupt?“-Wirrwarrs, einem frustrierten „Beinahe-in-den-Müll-Werfen“ der neuen Kassette für mein Lebensgefährt (warum kam das Paket auch genau einen Tag nach der Absage an?) und gänzlicher Lustlosigkeit, begann ich mich wieder zu bewegen. Meine Räder haben es nicht verdient, zu verstauben, sie sehen mich sonst auch sehr traurig an. Außerdem brauche ich die Bewegung für mein Wohlbefinden und zur Vermeidung von adipösen Tendenzen. Einen Plan habe ich aktuell nicht, Performance-Spitzen sucht man auch vergeblich und ich trainiere einfach nur um des Sports Willen. Vogelwild, fast wie ein Hippie! Jedoch nur fast, denn wenn ich mich während der längeren Einheiten in Gedanken an die vergangenen Zeiten verliere und mich erinnere, welche Leistungen ich zu erbringen vermochte und wie ich aktuell herumgurke, frage ich mich schon immer wieder, ob es sich noch um den gleichen Körper handelt. Noch schlimmer macht es dann auch die Community!
Ich boykottiere bekanntlich seit Längerem das Garmin Connect Newsfeed, aber dank der sozialen Medien wird mir schonungslos präsentiert, welche Umfänge in der zumindest hinsichtlich des Renngeschehens stillstehenden Triathlonwelt abgespult werden. Radausfahrten unter 100 Kilometer werden scheinbar gar nicht mehr gepostet, ohne Koppelläufe von ein bis zwei Stunden oder einem wöchentlichen Triathlon in Eigenregie ist man aktuell ohnehin raus und automatisch kein richtiger Sportler mehr. Die Kurzarbeit scheint eben spezielle Früchte zu treiben. Neben einem Kopfschütteln (natürlich, ich brauche in dieser Saison im Juli einfach eine Topform! Das ist substanziell! Vielleicht verliert man sonst ja seine diversen Strava und Zwift-Accounts mit getürkten Gewichtsangaben!) fragt man sich aber dennoch, wie weit man selbst in der fernen, mit Rennen gespickten Zukunft zurückfällt, wenn andere wie wahnsinnig weitertrainieren und man selbst dem Leben eines sportlichen Teilzeit-Hippies frönt. Just dieser Hippie in mir greift dann aber wieder beschwichtigend ein und versichert mir, dass a) jeder Kilometer, den man fährt/läuft/badet, ein guter und wichtiger ist und b) das Glitzerstaub-Level schon wieder aufgefüllt wird, wenn sich Rennen konkretisieren. Chille und trinke Kamillentee, liebes Einhorn!
Ja, ich genieße diese neue Freiheit. Natürlich bedeutet dies nicht, dass ich nackt Rad fahre oder in einem Blümchenkleid meine Laufkilometer absolviere (das kann man immer noch danach anziehen), aber der Fokus liegt am Spaßfaktor, ohne Druck und ohne Wettkampfgedanken. Ein krasses Gefühl muss ich sagen, aber auch ein gutes. Vielleicht ist es ja gerade diese Entspanntheit, aus der man neue Kraft für später schöpfen kann. Ohne Muss, dafür mit mehr Blumen.