Vergesst das „Kuscheltraining“ im Studio – wer up to date sein will, bringt seinen Body auch in Wintertagen beim Freiluft-Work-out in Form. SPORTaktiv hat live miterlebt, wie auch ein eiskaltes Bootcamp für heiße Muskeln sorgen kann.

Von Christoph Lamprecht


Graz, Ende Januar. Eine dicke Wolkendecke hüllt den Schloßberg in ein ungemütliches Grau, die Temperatur liegt bei windigen 6 Grad. Traumwetter für ein Freiluftraining sieht definitiv anders aus. Den Gesichtern ringsum ist trotzdem eine gewisse Vorfreude nicht abzusprechen, das motiviert. Und ich warte gespannt auf die anstehende Trainingseinheit.
Bootcamp. Allein der Name dieses Trainingskonzepts sorgt mit all seinen martialischen Assoziationen für Respekt und spaltet die Sportlercommunity in zwei Gruppen: Auf der einen Seite die Abgeschreckten, die von militärischem Fit-Drill und metabolem Zirkeltraining nichts wissen wollen – auf der anderen Seite die Neugierigen und Aufgeschlossenen, die ihre körperliche Leistungsfähigkeit abseits von Wohlfühlbereichen und Studiogeräten steigern wollen. Auch hierzulande ist die Zahl derer, die der zweiten Gruppe zuzurechnen sind, kontinuierlich gestiegen.
Was ist also dran am scheinbar so effektiven Outdoor-Training? Ich werde es herausfinden, hier am windig-kalten Grazer Schlossberg.

RAUS AUS DER KOMFORTZONE
Trainingsgruppen mit vergleichbaren Ansätzen wie das ‚Vienna City Bootcamp‘ oder der ‚Outdoor Circuit Innsbruck‘ gibt es inzwischen in jeder größeren Stadt. Hinter Bezeichnungen wie ‚Bootcamp‘, ‚Freeletics‘ oder ‚Metabolic Outdoor Training‘ verbergen sich ähnliche Konzepte, die durch das Trainieren von großen Muskelgruppen und die Vermeidung von Isolationsübungen maximale Effekte für Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit erzielen sollen.
Diese Art von Training knüpft an das klassische Zirkeltraining an, findet aber eben meist abseits von Studios und deren Gerätepark statt und verspricht nicht nur Fitnessfreaks, sondern auch Abnehmwilligen tolle Erfolge durch den hohen Nachbrenneffekt. Soll heißen: Der Stoffwechsel
wird beim Drill dermaßen in Schwung gebracht, dass der Körper nicht nur währenddessen, sondern auch noch danach eine erhöhte Kalorienmenge verbrennt.

RAUS AUS DER ARMY
Ursprünglich wurde das Bootcamp-Konzept von der U.S. Army entwickelt, um Soldaten durch realitätsnahe Belastungen und harten Drill sowohl körperlich als auch mental auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Hierzulande verzichtet man im Normalfall auf solch raue Sitten, denn fordernd ist das Training, auch ohne dass man dabei angebrüllt wird.
Billy, der 2011 das ‚Vienna City Bootcamp‘ gründete, erklärt: „Eine gewisse Leidensfähigkeit oder besser gesagt Leidensbereitschaft gehört schon dazu. Von militärischen Umgangsformen distanziere ich mich aber grundsätzlich. Die gehören – wenn überhaupt – in die Armee und nicht in den Fitnessbereich. Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, die Teilnehmer aus ihrer Komfortzone zu führen und diese Erfahrung möglichst unterhaltsam zu gestalten.“

RAUS AUS AUS DEM TROTT
Ein weiterer Pluspunkt in den Augen der Draußen-Trainierer ist die Bewegung an der frischen Luft. Wer glaubt, dass Bootcamps bei Nieselregen ausfallen, irrt. In der Regel sind unpässliche Wetterbedingungen (Hagel oder starke Gewitter ausgenommen) kein Grund, die Einheit abzusagen. Mit dem Nebeneffekt, dass auch das Immunsystem gestärkt wird.
Zusätzliche Motivation schöpfen viele Teilnehmer von Outdoor-Trainingseinheiten aus der Gruppendynamik. „Man lernt neue Leute kennen und hat gemeinsam viel Spaß. Das Gruppengefühl schafft eine Art von positiver Abhängigkeit, die dich auch zum Training treibt, wenn einmal die Motivation nicht so groß ist“, meint etwa Phil vom 2013 gegründeten Outdoor Circuit Innsbruck.

RAUF AUF DEN BERG
So viel zur Theorie, jetzt aber ab in den Praxistest. Der fängt gleich gut an: Als Aufwärmprogramm hat unser Trainer Mario Nerad von Vibes Fitness in Graz die rund 260 Stufen vom Schloßbergplatz rauf zum Uhrturm gewählt. „Das Warm-up erfolgt bei uns immer
dynamisch und geht zum Teil direkt ins Work-out über“, hat mir Mario vor der Einheit erzählt. Oben will der Trainer wissen, ob noch jemandem kalt ist ...
Wir verteilen uns auf einer Wiese neben dem Uhrturm und bleiben in Bewegung. Auf meine Frage, wie er es mit dem Dehnen halte, sagt Mario: „Ich bin kein großer Fan von statischem Stretching, schon gar nicht bei diesen Temperaturen.“
Unter seiner Anleitung beginnen wir mit der ‚Movement Prep‘, also Übungen, mit denen zunächst Gelenke mobilisiert und Muskeln durchblutet werden sollen, sowie mit dynamischen Dehnübungen wie dem ‚Straight Leg Kick March‘, bei dem die Beine abwechselnd in die Luft geworfen werden. Danach folgen Schnellkraft-Übungen (Plyos) sowie kurze Sprints, um den Puls nach oben zu treiben.
Die Variation der Pulsrate während der Einheit ist wichtiger Bestandteil des ‚Metabolic Trainings‘ und führt zum viel zitierten Nachbrenneffekt, der nach intensiver Belastung bis zu 72 Stunden anhalten kann. Im Anschluss geht es an die Bänke. Nein, keine Hantelbänke, sondern ganz normale Sitzbänke. Auf dem Programm stehen nun Liegestütze, Dips und einbeinige Kniebeugen, die dank der erhöhten Bank-Position weder jahrelange Erfahrung noch Muskelberge voraussetzen.

RAUF MIT DEM PULS
Der Wind pfeift uns um die Ohren, Pausen gibt es nicht, schließlich wollen wir nicht auskühlen. Für heute hat Mario ein relativ humanes Programm zusammengestellt, das für Hobbysportler zwar Anstrengung, aber keine Qualen bedeutet. Für Fortgeschrittene hat er allerdings auch immer wieder verschärfte Varianten parat.
Zwischenbilanz: Kräftemäßig kann ich mithalten, koordinativ hapert es noch zeitweise. Ich warte auf die Übung, die mir den Rest geben wird, doch sie kommt nicht. Spaß, Anstrengung und Abwechslung haben die Einheit wie im Flug vergehen lassen, mit fröhlichen Mienen machen sich die Teilnehmer wieder an den Abstieg. Körperteile werden ausgeschüttelt, es wird gescherzt und gelacht. „Viele Trainer verwenden den Begriff ‚Metabolic Training‘ als Vorwand, um Leute fertigzumachen. Wir wollen aber aufbauen, nicht zerstören. Die Effekte sind mit unserer Methode auf jeden Fall die besseren, weil man zwar spürt, dass man etwas getan hat, aber sich auch am nächsten Tag noch bewegen kann“, verrät mir Mario nach dem Training.

DIY-OUTDOOR-WORK-OUT
Jetzt bist du an der Reihe. Die besten Übungen für dein Outdoor-Workout hat Trainer Mario hier zusammengestellt ...

Das Outdoor-Workout zum Selbermachen / Bilder: Thomas Polzer


MEIN FAZIT
Die Vorurteile der breiten Masse kann man getrost vergessen. Motivierte Hobbysportler können ohne Zweifel von Bootcamps profitieren und müssen sich dabei weder anschreien lassen, noch durch den Schlamm robben. Beim Outdoortraining werden im Gegensatz zum Krafttraining an Studiogeräten die Muskeln nicht isoliert, was wiederum die Stützmuskulatur in die Übungen einbezieht und muskulären Dysbalancen entgegenwirkt.
Auch reine Ausdauersportler können aus dieser Trainingsform enorme Vorteile ziehen. So spricht nichts dagegen, eine klassische Lauf- oder Trailrunningeinheit mit Kraftübungen (siehe: Das Outdoor-Workout zum Selbermachen), die gleichzeitig die Koordination schulen, zu ergänzen. Einerseits kann die Abwechslung helfen, hartnäckige Leistungsplateaus zu überwinden, und andererseits beugt eine gestärkte Muskulatur kleinen Wehwechen sowie größeren Verletzungen vor. Aber Vorsicht: Mit der falschen Ausführung kann im schlimmsten Fall sogar das Gegenteil bewirkt werden. Wer sich bei Übungen unsicher ist, sucht am besten qualifizierte Hilfe.
Der abwechslungsreiche Mix aus Ausdauer-, Kraft- und Koordinationstraining hat es mir jedenfalls angetan. Auf dem Heimweg durch die Innenstadt mustere ich Handläufe, Mauern und vor allem Sitzbänke. Denn wie ich kurz zuvor erfahren durfte, kann man diese nicht nur zum Faulenzen verwenden ...


Mario Nerad ist Mitbegründer, Geschäftsführer und Trainer bei Vibes Fitness in Graz / Bild: Thomas PolzerDER COACH
Mario Nerad ist Mitbegründer, Geschäftsführer und Trainer bei Vibes Fitness in Graz – seit 2011 das erste funktionelle Fitnessstudio in Österreich.

Web: www.vibes-fitness.at


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