Claudia Müller aus Stainz (Steiermark) distanziert als Extremschwimmerin mitunter die besten Männer. Und sie ist als Sportlerin der beste Beweis, dass ein allzu oft gebrauchter Spruch ja doch stimmen muss: „Geht nicht, gibt’s nicht“.
Aufgefallen ist uns Claudia Müller beim 24-Stunden-Schwimmen in Bad Radkersburg, dem jährlichen Event zu Gunsten von Licht ins Dunkel. 2017 hat sie mit 69,7 Kilometern, und 2016 mit 64,8 Kilometern gewonnen und dabei jeweils den besten Mann distanziert. 2015 hatte Müller mit 58,2 Kilometern bereits „normal“ die Damenklasse für sich entschieden. Dass Frauen in sportlichen Wettbewerben die besten Männer hinter sich lassen, kommt schon selten vor. Doch welche sportliche Geschichte – und vor allem auch: welche Lebensgeschichte sich hinter der Leistung der 48-Jährigen Kinderbetreuerin und Hobby-Leistungssportlerin steckt, das ahnt man zunächst nicht.
Schon der Start ins sportliche Leben verlief für Müller ungewöhnlich: „Mit sechs Jahren hab ich mir das Schwimmen selbst beigebracht. Wir waren fünf Kinder, ich das dritte und die beiden älteren Geschwister sollten im Schwimmbad auf mich aufpassen. Doch das hat sie nicht wirklich interessiert“, erzählt Müller schmunzelnd. „Auch das Kraulschwimmen hab ich dann etwas später selbst erlernt, durch Abschauen und Nachahmen.“ Das Schwimmbad war der Treffpunkt der Stainzer Kinder – und die kleine Claudia offenbar talentiert. Ihre Schwimmleistungen fielen auf, es stand sogar im Raum, nach der Volksschule von Stainz ins 30 Kilometer entfernte Graz zu pendeln, und die Schule mit Leistungssport zu verbinden. „Das war finanziell bei fünf Kindern aber dann doch nicht drin.“
Lange Zeit auf Krücken
Mit 16 änderte sich Claudia Müllers Leben: Eine Hüftdysplasie, eine Fehlbildung beider Hüftgelenkspfannen, zwang die Jugendliche zu beidseitigen Operationen. Dabei wird der Hüftkopf durchtrennt, der Heilungsverlauf danach ist langwierig. Nach jeder der beiden Operationen konnte sich die Steirerin sechs Monate lang nur mit Hilfe von Krücken fortbewegen. Sport war sogar bis zum Alter von 20 unmöglich. Und der Gang blieb auch danach „auffällig“. „Mehr als drei Kilometer wirst du nie laufen können“, sagte ihr Arzt. Mit 21 kam ihr Sohn auf die Welt – was andere wohl noch weiter von jeder sportlichen Betätigung wegbringen würde. „Aber ich habe mich immer gern bewegt. Ich bin viel Rad gefahren, habe meinen Sohn hinten aufs Rad raufgesetzt.“ Auch geschwommen ist sie wieder viel. „Und das Laufen hat mich, trotz ärztlicher Warnung, auch nie losgelassen.“ Mit 27 Jahren fiel sie aufgrund ihres Gangbilds einem anderen Arzt auf, „der hat mir ein Übungsprogramm gegeben, und mich zu weiterer Bewegung ermutigt. Und ich habe gemerkt: Je mehr ich mich bewege, desto besser geht es mir.
„Profi“ – unter Anführungszeichen
2007, mittlerweile 36-jährig, schloss sich Müller dem Hobby-Ausdauersportverein Greisdorfer Wurzelhupfer an. 2008 schrieb ihr der damalige Vereinsobmann einen ersten Triathlon-Trainingsplan. Über vier Jahre hinweg hantelte sie sich vom ersten Sprinttriathlon bis zur ersten Ironman-Teilnahme 2012 mit 42 Jahren weiter. Und das alles bei immer besseren Platzierungen …
In der Triathlon- und in der Extremschwimm-Szene kennt man Claudia Müller längst. Mit Aqua Sphere hat sie mittlerweile sogar einen Sponsor. Wenn sie von sich spricht, rutscht ihr schon mal das Wort „Profi“ über die Lippen – dabei arbeitet sie volle 40 Stunden pro Woche als Kinderbetreuerin, neben 10 bis 15 Stunden Training. Doch wenn sie bei einem Wettkampf mitschwimmt, oder bei einem Triathlon am Start ist, gehört sie heute zu den Favoritinnen, zumindest in ihrer Altersklasse.
Ihr sportliches Motto: „Ich muss nichts machen – sondern ich darf. Jedes Training und jeden Wettkampf genieße ich.“ Ihr Ziel: „Meine Grenzen verschieben.“ Das gelingt ihr offenbar herausragend gut. Den Triple-Sieg 2015, 16 und 17 beim 24-Stunden-Schwimmen bezeichnet sie als ihren größten Erfolg – der einzige ist es bei Weitem nicht. An den Extremschwimm-Event tastete sie sich über die Staffel heran. Ihre Taktik im Einzel: 24 Stunden nie aus dem Wasser gehen – auch wenn Pausen erlaubt wären. Abgesehen von kurzen Ess- und Trinkpausen am Beckenrand schwamm Müller jedes Mal von 11 bis 11 Uhr durch. „Ich bin langsam, aber ausdauernd“, erklärt sie verschmitzt. Wobei: Ihre „optische Langsamkeit“ im Schwimmbecken ist auch ihrer hervorragenden Technik geschuldet. „Schwimmen ist zu 80 Prozent Technik.“ Heißt: Vergleichsweise sparsame Bewegungen reichen Müller zum ökonomischen Dahingleiten. Die einstige Schwimm-Autodidaktin ist heute auch Lehrwartin für Schwimmen und hilft in Kursen von Ex-Triathlonprofi Markus Strini auch anderen technisch auf die Sprünge. Claudia Müllers persönlicher Betreuer ist übrigens ihr Ehemann Günter: „Er unterstützt mich bei jedem Abenteuer und ist immer mit dabei.“
670 Kilometer Anreise mit dem Rad
2017 stieg die Steirerin erfolgreich in die Freischwimmerszene ein: Schon im ersten Jahr beendete sie jedes Rennen der „Open Water Cup“-Serie, bei dem sie am Start war, unter den ersten Drei. Und sie ist immer für eine lässige sportliche Aktion gut: Zum Open Water-Bewerb am Bodensee reiste sie 670 Kilometer mit dem Rad an, auf vier Tagesetappen verteilt; vom Grundlsee radelte sie 220 Kilometer am Stück heim. Im Bodensee schwamm sie 16 Kilometer, mit Start um 5:30 Uhr: „Mein Ziel war, die Sonne im See schwimmend aufgehen zu sehen“. Eine Längsdurchquerung des Sees im Dreiländereck Vorarlberg-Deutschland-Schweiz steht übrigens noch auf ihrer To-do-Liste. Ein 65 Kilometer langes Unterfangen, das allerdings aufgrund der Strömungen und Wellen nur sehr selten gelingt.
Ebenfalls im Vorjahr debütierte Müller im Eisschwimmen. Zur Vorbereitung watete sie im winterlichen Stainzbach, duschte kalt und holte sich Tipps vom Vorsitzenden des heimischen Eisschwimmer-Verbands Josef Köberl. „Tief in den Bauch einatmen, langsam ins Wasser gehen. Es funktioniert wirklich: 40, 45 Sekunden tut es weh, dann nicht mehr. Mit dem Startpfiff schießt sowieso das Adrenalin“, erklärt Müller. Bei der Eisschwimm-Premiere gelang ihr auch gleich ein Sieg: Die 1:23 min auf 100 m im Eiswasser wären für sie als Langdistanz-Spezialistin auch bei idealer Wassertemperatur eine sehr gute Zeit. Heuer war Claudia Müller Ende Mai – nach Redaktionsschluss – beim Glocknerman-Radrennen dabei. Sie rechnete mit einer 48-stündigen Nonstop-Fahrt, „auch für mich eine neue Erfahrung“. Für eine solche ist sie immer offen. Ein Fernziel hat sie sich schon gesetzt: 2020 findet in Bled in Slowenien die „Winterschwimm“-Weltmeisterschaft statt. Spätestens da will sie sich dann in einer Disziplin auch zur Weltmeisterin krönen. Keine Frage, dass der sportlichen Frohnatur auch das noch gelingen wird.