Die Kniebeuge ist die perfekte Universalübung, um fit durch einen sitzenden Alltag zu kommen: Davon ist der Sportwissenschaftler Gerhard Schiemer überzeugt. Kleiner Haken: Ein paar Wiederholungen zwischendurch sind eher wenig. Schiemer wirbt für 10.000 Kniebeugen – im Monat. Klingt viel, ist aber zu schaffen.
Die Kniebeuge: „Hat die nicht schon einen Bart?“ Ja, hat sie, zumindest die Grundidee zu „10.000 Kniebeugen im Monat“. Die stammt vom garantiert hippsten Bart in Österreichs Ausdauersportszene, dem Trailrunner Florian Grasel. Der als „Trailbeard“ auf Social Media bekannte Ultraläufer war 2018 Neunter beim weltweit wichtigsten Trailrunning-Event, dem Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB). „Flo absolviert neben seinem Lauftraining seit Langem die 10.000 Kniebeugen pro Monat in der UTMB-Vorbereitung“, weiß Grasels Trainer Gerhard Schiemer. Der Sportwissenschafter, den unsere Stammleser vor allem als Trailrunning-Experten kennen, fand die Idee ziemlich genial für jedermann, insbesondere für alle Menschen in sitzenden Berufen. Weil regelmäßiger Ausdauersport allein zu wenig ist: „Speziell der Bewegungsapparat wird durchs stundenlange Sitzen in seiner Funktion mit der Zeit immer stärker eingeschränkt.“
Warum gerade die Kniebeuge (man kann übrigens auch „Air Squat“ sagen, was gleich moderner klingt)? Das hat etliche gute Gründe: Man braucht null Equipment. Die Kniebeuge kräftigt und mobilisiert, kann dynamisch oder statisch (also in unterschiedlichen Geschwindigkeiten) ausgeführt werden. Korrekt absolviert, bewegt das In-die-Knie-Gehen die drei größten Gelenke im Körper im vollen Bewegungsumfang, wie ihn die Natur vorgesehen hat: das Hüftgelenk, die Knie und die Sprunggelenke. Das fördert den Austausch von Gewebsflüssigkeiten, schmiert und versorgt damit die Knorpel ideal. Die Übung hält geschmeidig, bei entsprechendem Fleiß auch langfristig jugendlich beweglich (wer kleinen Kindern zuschaut, weiß, wie Flexibilität ursprünglich ausschaut). Der Körper ist nämlich listig: Was nicht ausreichend bewegt wird, hält er für unnötig und schränkt es mit der Zeit immer mehr ein, man „erstarrt“ sozusagen. Umgekehrt lässt sich verlorene Beweglichkeit durch Fleiß wieder zurückgewinnen. Durch all das wirkt die Kniebeuge auch verletzungs- und überlastungsvorbeugend und macht bessere Sportler aus uns: Vielen Hobbyläufern und anderen Freizeitsportlern mangelt es eklatant an Hüft- und Sprungelenksbeweglichkeit.
Und es geht noch weiter mit den Benefits
Der Oberkörper lässt sich einfach miteinbeziehen. Der untere Rücken genauso wie der bei beruflich am Computer Arbeitenden so oft verspannte obere Rücken, der Nacken- und Schulterbereich. Und allein das korrekte, „übertrieben aufrechte“ Hinstellen für die Ausgangsposition wirkt in Summe dem „Verbuckeln“ des ständig in Bildschirme und aufs Smartphone-Display starrenden Homo Digitalis schon etwas entgegen.
Und wie geht sich das aus?
Womit noch die Erklärung fürs 10.000er-Ziel fehlt: 15, 20 oder auch 30 sorgfältig ausgeführte Kniebeugen sind im Alltag jederzeit einbaubar und in einer bis maximal zwei Minuten erledigt. Um wirklich zu profitieren, ist allerdings eine gewisse Regelmäßigkeit und Gewohnheit gefragt. Angelehnt an die oft empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag, rät Gerhard Schiemer zu 10.000 Kniebeugen – pro Monat. Das sind ungefähr 330 am Tag, bei 16 Wachstunden also rund 20 pro Stunde. Schiemer rät jedoch, zum Beispiel 4 x 20 jeweils morgens und abends mit kurzen Pausen durchzuführen, womit schon 160 erledigt sind. Den Rest dann über die Bürostunden verteilen.
So betrachtet nimmt das Projekt endgültig schaffbare Formen an. Ausdrücklich empfehlen wir auch das kostenlose Bücherl, das Gerhard Schiemer über die Kniebeuge geschrieben hat (Gratis-Download unter: www.iruntrails.at/die-kniebeuge/): Dort findet ihr neben allen Infos vor allem weitere Varianten. Und jetzt: aufstehen, hinstellen, Pobacken zusammenkneifen und runter mit dem Hintern ...
Die Kniebeuge („Air Squat“)
Ausgangsposition: Fußstellung hüftbreit, die Zehen zeigen leicht nach außen. Das Gewicht ruht gut verteilt auf den Fußballen, der Fußaußenkante und der Ferse – zur Kontrolle am besten barfuß oder in Socken üben. Die Brustwirbelsäule gut überstrecken, das Brustbein heben, man steht sozusagen übertrieben aufrecht. Gesäß anspannen und vor dem Absenken noch einmal kurz „zusammenkneifen“, sodass der große Gesäßmuskel voll angespannt ist. Auch die Hüfte gut strecken, eher sogar leicht überstrecken.
Ausführung: Das Gesäß langsam und kontrolliert absenken, nach hinten unten wie zum Hinsetzen auf einen Sessel. Die Spannung in der Brustwirbelsäule bleibt aufrecht, die Arme werden zugleich nach vorne geführt, der Blick ist stets geradeaus nach vorne gerichtet. So tief wie möglich in die Hocke gehen, um die gewünschte mobilisierende Wirkung zu erzielen. Die Oberschenkelrückseite muss zumindest nach hinten abfallen, das Gesäß also unters Knie abgesenkt werden. Fersen bleiben am Boden.