Die Kilos purzeln. Die E-Bikes werden immer leichter und schließen die Lücke zu den „normalen“ Rädern. Die neuen E-Bikes könnten eine neue Kundenschicht erschließen und lassen jetzt auch die Sportler unter den Bikern aufhorchen. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Cédric Gracia ist seit 20 Jahren ein Star in der Mountainbikeszene. Der stets gut gelaunte Franzose (41) war Downhiller, Freerider und Videostar. Wenn einer wie Gracia als Zugpferd beim Launch einer neuen E-Bike-Marke vorgespannt wird, schauen alle genau hin. Voilà, sagt der Franzose, und rollt aus der Bergregion Andorras das Forestal Syrion vor die Kameras. Alles komplett neu, auf 999 Räder limitiert, um 7499 Euro reservierbar, Liefertermine noch unklar. 

Wenn Gracia an Bord ist, entsteht natürlich ein Bike der Kategorie E-Enduro und die Eckdaten sind mit 170 mm Federweg und Stahlfeder geradezu logisch. Aber: Das Bike ist gewichtstechnisch kein Bomber, sondern schafft mit 17,4 kg eine Marke, die vor Kurzem bei E-Mountainbikes noch undenkbar war. Da musste man gut und gerne um die 25 kg einkalkulieren.

Aber heimlich, still und leise haben sich neben den bärenstarken Power-Antrieben auch ein paar Hersteller etabliert, die bewusst schwächere Konzepte vorantreiben und jetzt aus der Nische in die Breite treten. Kleinere Akkus, kleinere Motoren und weniger Power haben weniger Gewicht und ermöglichen leichtere Räder. Auffallend viele Modelle gibt es erst seit 2020, sie werden noch als „Minimal-Assist“ geführt, als „Light Support“ oder als „Light-E-Bike“. Eine einheitliche Sprachregelung muss erst gefunden werden. Vorreiter sind Räder mit dem Münchener Fazua-Antrieb und Specializeds Levo SL-Konzept (17,3 kg).

Bei Fazua ist es sogar möglich, den kompletten Antrieb samt Batterie mit einem Klick zu entnehmen und das „nackte“ Bike wie ein normales Rad zu pedalieren. Die Tiroler Spezialisten von Nox stellen damit ein Enduro mit 18 kg auf die Räder, ohne Motor und Akku hat es nur 15 kg. Damit unterscheiden sich E-Bikes von normalen Bikes kaum noch. Die Amerikaner von Trek werden diese Marke im leichten Cross-Country-Trimm dem Vernehmen nach mit einem neuen Modell im Frühjahr noch deutlich unterbieten. Noch leichter sind nur E-Rennräder: Mit einem Mahle-Nabenmotor (40 Nm, Akku 252 Wh) wiegt das E-Rennrad Addict eRide von Scott nur 10,75 Kilogramm.

Zurück zu den Mountainbikes, bei denen in letzter Zeit dank Radsport-Historie und Motorsport-Know-how viele Innovationen aus Spanien kommen. Orbea hat die Devise „weniger E, mehr Bike“ ausgerufen und ein Light-E-Bike aus den Lagern gerollt, und auch bei BH Bikes hat man zu Jahresbeginn den Vorhang vor dem neuen Modell weggezogen. Nur 16,8 Kilogramm wiegt das BH-Fully iLynx, das als „Race-Bike“ tituliert wird. Wie das? Die Spanier wollen damit die Sportler unter den E-Bikern ansprechen, die weniger mit voller Power auf den Berg gewuchtet werden wollen, sondern auf ein möglichst natürliches Fahrgefühl setzen, auf ein möglichst leichtes Rad, versehen nur mit dem „gewissen Etwas” an Punch. „Das Rennen in der Entwicklung eines optimalen E-MTBs ist einem Ziel untergeordnet: es den ,normalen‘ Bikes so ähnlich wie möglich zu machen“, heißt es in der Pressemeldung von BH. „Es lässt die Grenzen zwischen beiden verschwimmen.“

Auch optisch. Der Rahmen des iLynx Race Carbon ähnelt dem unmotorisierten Schwesternmodell, hat aber einen integrierten 540 Wattstunden (Wh) starken Akku im Unterrohr. Mit dem zusätzlichen Range Extender („Reichweitenerhöher“) im Flaschenhalter lässt sich die Kapazität um 180 Wh auf beachtliche 720 Wh erhöhen. Der spanische Motor „BH 2ESMAG“ wiegt 2,2 kg und liefert 65 Newtonmeter (Nm) maximales Drehmoment. Andere Light-Konzepte liegen noch darunter, wie Specialized mit 35 Nm und Fazua mit 55 Nm. Herkömmliche E-Antriebe der Marktführer sind in der Regel doppelt so stark, Bosch und Shimano als Benchmark mit 85 Nm, Haibikes Flyon sogar mit 120 Nm. 
 

Die neue Formel E: Die neuen E-Bikes lassen auch sportliche Biker aufhorchen

Der E-Biker der Saison 2021 kann also entscheiden: starke Motoren, (fast) keine Kompromisse bei Power, Akkugröße und Reichweiten im Tagestourenbereich, dafür schwere Räder zwischen 21 bis 27 kg. Oder schwächere, leichtere Antriebe und Räder ab 15 kg, die sich mitunter auch ohne Motor entkoppelt und friktionsfrei pedalieren lassen. Dafür muss man eben mehr aufs Akku-Management achten. Die Vielfalt wird immer größer, der Preisbereich explodiert. Ab etwa 2500 Euro bekommt man E-Hardtails, für E-Fullys muss man mindestens 3500 Euro einkalkulieren. Innovative, leichte Sonderlösungen sind exklusiver: Zwischen 5999 und 8999 Euro siedelt BH seine neue iLynx-Serie an, bei Specialized und Co. wird es bei den Topmodellen fünfstellig.

Technisch ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. In den Entwicklungsbüros wird längst an neuen Ideen getüftelt. Auch da gibt es News: Forestal hat als Bedien­einheit einen 3,2 Zoll großen Touchscreen im Oberrohr integriert, eine Internetverbindung lässt Spielereien bei Navigation und Connectivity zu. Die Kroaten von Greyp haben sogar Kameras mit Crash-Detektoren an Bord, nach der Fahrt bekommt man automatisch einen Videoclip der Highlights.

Wichtige Anmerkung zum Schluss: Es geht beim E-Biken nicht nur um Zahlen wie das absolute Gewicht, Akkugrößen und Newtonmeter. Entscheidend für den Fahrspaß bleiben immer noch „altmodische“ Faktoren wie das eigene Körpergewicht und die individuelle Fahrweise sowie der clevere Umgang mit den Unterstützungsstufen und wie sensibel die Software den Antrieb regelt.

Motoren-Übersicht
Die Marktführer
Variante „Light“

  • Fazua Evation: Motor 1,9 kg, 55 Nm, Akku 252 Wh, Range Extender zusätzlich 252 Wh (Summe 504 Wh)
  • Specialized SL 1.1.: Motor 1,9 kg, 35 Nm, Akku 320 Wh, Range Extender zusätzlich 160 Wh (Summe 480 Wh)
  • Forestal EonDrive (Bafang): Motor 1,95 kg, 60 Nm, Akku 350 Wh
  • BH 2ESMAG: Motor 2,2 kg, 65 Nm, Akku 540 Wh, zusätzlich 180 Wh Range Extender (Summe 720 Wh)

Variante „Power“:

  • Bosch Performance Line CX: Motor 2,9 kg, 85 Nm, Powertube-Akku 625 Wh, mit Dual-Battery 1250 Wh möglich
  • Shimano Steps E8000 (alt): Motor 2,9 kg, 70 Nm, Akku 504 Wh 
  • Shimano EP8 (neu): Motor 2,6 kg, 85 Nm, Akku 630 Wh 
  • Brose Drive S Mag: Motor 2,9 kg, 90 Nm, Akku 630 bis 725 Wh
  • Haibike Flyon TQ: Motor 3,9 kg, 120 Nm, Akku 630 Wh

Quelle: Herstellerangaben, bei einigen Anbietern sind größere Nachrüstakkus erhältlich.

Die STVO
Die gesetzlichen Bestimmungen sind für alle gleich: Motorunterstützung nur, wenn getreten wird und nur bis 25 km/h. 250 Watt ist die Nenndauerleistung (Durchschnitt über 30 Minuten), die Maximalspitzen dürfen höher sein und gehen bis ca. 560 Watt.