Ohne Schwitzen geht es nicht. Im Alltag nicht und beim Sport schon gar nicht. Wie wichtig diese klare Flüssigkeit für die Menschheit ist und warum wir auch aus gutem Grund bei Angst schwitzen.
Der Schweiß bräuchte dringend einen Imageberater. Seine Beliebtheitswerte sind im Keller, dabei ist seine Leistung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Allenthalben wird er mit gerümpften Nasen begrüßt anstatt mit offenen Armen, so wie es ihm gebühren würde. Und er ist das Opfer von Trittbrettfahrern auf der Haut, die ihn von der geruchslosen Flüssigkeit zum stinkenden Sekret machen. Weil der arme Tropf weder Lobby noch Stimme hat, geben wir ihm eine und versuchen aufzuklären, dass er ganz bestimmt nicht per se pfui ist, sondern super.
An unserer Seite: Dermatologin Dr. Kerstin Ortlechner, die wissenschaftliche Beraterin der porentiefen Charmeoffensive quasi. Sie bestätigt gleich einmal, dass wir – und damit ist in dem Fall nicht weniger gemeint als die Menschheit – nicht dort wären, wo wir sind, ohne den Schweiß. Er gibt uns nämlich die Fähigkeit zur Thermoregulierung. Wird uns heiß, weil wir uns anstrengen oder weil die Temperaturen steigen, tritt die farb- und geruchlose Flüssigkeit aus den Poren der Haut und kühlt uns via Verdunstung. Viele Tiere können das nicht. Diesen Vorteil haben sich schon die Steinzeitmenschen zunutze gemacht und die Gnuherde von einem schattigen Platzerl zum nächsten gejagt. Irgendwann sind die Tiere heißgelaufen und konnten nicht mehr. Unsere Vorfahren aber konnten schwitzen, sind handlungsfähig geblieben und brauchten den Tieren irgendwann nur noch die Nüstern zuzuhalten und die Ernährung der Sippe war wieder für eine zeitlang sichergestellt.
Was Kerstin Ortlechner auch klarstellt: „Es gibt eine genetische Vorbestimmung, an welchen Stellen wir schwitzen und wie stark wir schwitzen.“ So schwitzen Männer definitiv stärker als Frauen. „Das hat sicher auch mit der Evolution zu tun“, sagt Ortlechner. „Schweißdrüsen sitzen oft dort, wo Talgdrüsen sitzen und die wiederum hängen mit der Verteilung der Haarwurzeln zusammen. Männer waren von jeher stärker behaart als Frauen, also schwitzen sie auch mehr.“ Vor allem hängt das aber mit dem Hormon Testosteron zusammen, von dem Männer bekanntermaßen deutlich mehr haben als Frauen.
Ein weiterer Vorteil des Schweißes: Er schützt unsere Haut und damit auch uns. „Auf unserer Haut sitzen Bakterien, bei jedem“, erklärt die Expertin. Dadurch entsteht zwar auch überhaupt erst der unangenehme Geruch. Die Bakterien sind der oben erwähnte Trittbrettfahrer. Sie reagieren mit dem Schweiß und verwandeln ihn zu Ameisen- oder Buttersäure – und fertig ist der Auslöser des Nasenrümpfens. „Andererseits ist der Schweiß aber sauer, hat also einen niedrigeren pH-Wert als die Haut und tötet damit diese Viren und Bakterien ab. Man spricht vom Säureschutzmantel.“ Schwitzen ist also durchaus auch wichtig. Den Schluss zu ziehen, man könne mit Sport und dem daraus entstehenden Schweiß auch dem Coronavirus den Garaus machen, ist aber nicht zulässig. „Sport hilft uns generell, weil er unsere Grundkonstitution verbessert“, sagt Ortlechner. Wäre der Schweiß ein Mittel gegen Corona, bedürfte es wiederum des Sports nicht. „Denn wir schwitzen auch ohne Sport. Das passiert weitgehend unbemerkt. Über Tag und Nacht verteilt kommt da rund ein halber Liter pro 24 Stunden zusammen“, erklärt Ortlechner.
Abgesondert wird er aus zwei unterschiedlichen Drüsen: den ekkrinen und den apokrinen Schweißdrüsen. Der „normale“ Schweiß kommt aus den ekkrinen Drüsen, aus den apokrinen wiederum kommen hauptsächlich Pheromone, also Lockstoffe, die uns beim anderen Geschlecht interessant machen sollen. Sie befinden sich unter den Achseln, im Genitalbereich, bei manchen auch um die Brustwarzen. Dieser Schweiß ist auch milchiger als der ‚normale‘ und wird auch erst ab der Pubertät produziert. „Ob wir einander riechen können, hängt von diesem Schweiß ab“, sagt Ortlechner.
Während wir also keine Möglichkeit haben, das Schwitzen an bestimmten Stellen zur Kühlung zu lernen (am Kopf beispielsweise), so lässt sich die genetische Prädisposition, was die Intensität betrifft, sehr wohl ein wenig verändern. Dafür hat die Hautärztin Ortlechner ein Beispiel: „Als ich noch wenig trainiert war und mit meinem Mann in die Sauna gegangen bin, war er schon waschelnass, während ich noch gar nicht geschwitzt habe. Durch mehr Sport hat sich das verändert.“
Bleibt noch die Frage, warum wir unter Stress schnell schwitzen. Man kennt das ja. Vor einer Prüfung oder einem wichtigen Termin hat man oft rasch unansehnliche Schweißflecken am Hemd. „Bei Stress werden Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet – wir schwitzen“, sagt Ortlechner. Den Grund dafür findet man wiederum ganz ganz früh in der Steinzeit. „Das Schwitzen dient auch dazu Gewicht zu verlieren, damit man im Ernstfall leichter und damit auch schneller war, wenn man flüchten musste.“ Heute wartet zwar kein Säbelzahntiger mehr ums Eck, die genetische Prägung ist aber so enorm stark, dass uns das Schwitzen als Relikt aus dieser Zeit geblieben ist. „Darum“, erklärt Ortlechner auch, „müssen wir bei Nervosität wie zum Beispiel vor einem Wettbewerb oder einer Prüfung auch immer so oft aufs WC – um leichter zu werden und schneller davonlaufen zu können.“
Flüssige Fakten
Ekkrine Drüsen: befinden sich am ganzen Körper, besonders an Stirn, Hand- und Fußsohlen. Sie produzieren eine klare, salzhaltige Flüssigkeit, die zu 99 Prozent aus Wasser besteht. Dieser Schweiß ist an sich geruchlos und entsteht vor allem beim Sport und durch Überhitzung des Körpers und dient der Kühlung.
Apokrine Drüsen: Kommen nur an bestimmten Stellen vor, wie z. B. Leistengegend, Achseln, Kopfhaut, Brustwarzen. Sie produzieren ein milchiges, öliges Sekret, das Proteine und Fettsäuren enthält. Sie produzieren Schweiß vor allem bei Erregung und emotionalem Stress und sind verantwortlich für den individuellen Eigengeruch. Dadurch spielen sie bei der Partnerwahl eine entscheidende Rolle.
Kalter Schweiß: „Tritt der in Zusammenhang etwa mit Blässe oder blauen Lippen auf, kann das ein Hinweis auf einen bevorstehenden Herzinfarkt oder eine Lungenembolie sein“, warnt Ortlechner.