Stefan Schlie kennt man als „Mr. Uphill Flow“. Mit Claus Fleischer, dem CEO von „Bosch eBike Systems“, hat er den Begriff erfunden und die Fahrtechnik dazu entwickelt. Und so dem E-MTB maßgeblich zum Erfolg verholfen. Heuer wird „10 Jahre Uphill Flow“ gefeiert.
Die akrobatische Beherrschung von Zweirädern und Motoren – beides hat Stefan Schlie schon mit 8, 9 Jahren fasziniert. Nach einem Umzug der Eltern beobachtete der kleine Stefan eine Gruppe Motorrad-Trialer in einem Steinbruch nahe seinem neuen Heimathaus und begann bald, mit Freunden auf umgebauten Fahrrädern Trial nachzuspielen und fahrtechnische Kunststücke zu probieren. Bike-Trial wurde sein Sport, in dem er es bis zum Vizeweltmeister und Teamweltmeister brachte. Ab Ende der 1980er-Jahre kam zudem der Mountainbike-Boom auf – als professioneller Trial-Show-Fahrer war er auch einer der ersten, der mit einem Mountainbike ein Autodach erklomm.
Zeitsprung: In den frühen 2010er-Jahren verbrachte Schlie seine Winter als Mountainbike-Guide und Fahrtechnik-Trainer auf La Palma. Dort hatte er in einem Kurs einen Kunden namens Claus, mit dem verstand er sich auf Anhieb gut. „Wir waren mit dem Jeep unterwegs und ich fragte: ‚Was machst du so?‘ – ‚Ich bin auch in der Fahrradindustrie. Bei Bosch.‘ Er hat schon gedacht: ‚Oh Gott‘, weil es damals saupeinlich war, mit einem E-Bike anzukommen. Ich fragte: ‚Und was machst du da so?‘ Er: ‚Kaffee kochen.‘ Ganz klar, der war der schwerst fahrradinteressierte Chef.“
Zurück in Deutschland, lud Claus Fleischer, damals noch nicht lange CEO bei Bosch eBike Systems, Schlie zum Ausprobieren eines E-Bikes ein. „Zwei Hardtails mit Bosch-Motoren der 1. Generation. Damit sind wir im Stuttgarter Wald spielen gegangen. Ich hab alles Mögliche ausprobiert und es ging so viel! Wir haben in dem an sich unspektakulären Gelände so einen unglaublichen Spielspaß gehabt. Und so viele neue Möglichkeiten.“
Am Abend jenes Tages im Jahr 2013 saßen Fleischer und Schlie in einem Lokal und ließen den Tag Revue passieren. „Wir hatten Flow! Warum? Weil wir in einer Art und Weise den Berg hochfahren und mit Dingen spielen konnten, während wir weniger überfordert waren. ‚Uphill Flow‘. Dann hat Claus das Wort auf einen Bierdeckel geschrieben.“
Zwei Dimensionen Uphill Flow
So weit die Geschichte von der Geburtsstunde des Uphill Flow. 2014 mündete das Erlebnis in die erste so bezeichnete Kampagne von Bosch eBike Systems. Bikes mit E-Motoren hatten bis dahin nicht gerade einen sportlichen Ruf (Schlie spricht etwa rückblickend vom „Elektrobett“). Der „Uphill Flow“ half dem E-MTB, als Spaßgerät wahrgenommen wie als Sportgerät ernst genommen zu werden – und den heute bekannten E-MTB-Höhenflug mit zu ermöglichen.
Als Flow gilt bekanntlich der Idealbereich zwischen Unter- und Überforderung. Die erste Uphill Flow-Dimension ist die konditionelle: Bergauf ist die körperliche Verfassung oft der limitierende Faktor. „Der Uphill Flow in seinem Urgedanken begann auf der (steilen, Anm.) Asphaltstraße. Wenn ich überfordert bin, aus welchen Gründen auch immer: Dann habe ich jetzt mit dem E-Bike die Möglichkeit, diese Überforderung abzubauen“, sagt Schlie.
Die zweite Dimension ist die fahrtechnische. „Meine Beine geben das Signal und der Motor macht, was ich will“, sagt Schlie, der auch das „Pedalmanagement“ als wesentliche Komponente der E-Mountainbike-Fahrtechnik er- kannte und prägte. Die entscheidende Erkenntnis dabei: „Wenn ich meine fahrtechnischen Fähigkeiten entwickle, führt das zu noch mehr Flow.“
Wir haben in dem unspektakulären Gelände so einen unglaublichen Spaß gehabt. Und so viele neue Möglichkeiten.
Ein Pflänzchen schlägt Wurzeln
Als Stefan Schlie im ersten Uphill Flow-Film im Jahre 2014 den technisch anspruchsvollen „Bongo Bongo“-Trail in Leogang bergauf bewältigte, war das aus seiner Sicht im Rückblick ein ebenso wichtiges Signal wie die jeweiligen Botschaften der weiteren Uphill Flow-Filme. Im zweiten wurden die Themen Respekt und Etikette auf den Trails thematisiert, „damit die tolle Pflanze, die wir da gezüchtet hatten, Wurzeln kriegt und weiterwachsen kann.“ In „Uphill Flow 3“ wurden Bike-Persönlichkeiten unterschiedlicher Länder – Nicolas Vouilloz, Rene Wildhaber, Greta Weithaler und vor allem Gary Fisher – als „E-nthusiasten“ versammelt, was weltweit ausstrahlte.
Die passende Fahrtechnik für das neue, junge Sportgerät E-Mountainbike hat Schlie entwickelt, geprägt und stetig verfeinert. Seit 2016 ist er auch in die technische Entwicklung bei Bosch maßgeblich eingebunden. Wobei Technik und Fahrtechnik oft Hand in Hand gehen – so war er bei der Entwicklung des „Extended Boost“ im eMTB-Modus der aktuellen Bosch-Motoren maßgeblich involviert: Ein kurzes Nachschieben des Motors, das es ermöglicht, Steilstufen zu überwinden, die sonst unweigerlich zu Pedalaufsetzern führen würden.
Das ist freilich eine Feinheit für Spezialisten und Könner. Die Hauptmessage, die bleibt: Ein E-MTB erweitert den Kreis jener, die bergauf im Flow biken können, enorm. Und wenn man zudem an seiner Fahrtechnik arbeitet, erweitert das den Flow-Bereich noch einmal ganz deutlich. Egal, auf welchem Level man sich gerade befindet.
Noch lange nicht am Zenit
Die Reise des E-Mountainbikes und damit des Uphill Flows ist noch nicht annähernd am Zenit, dessen ist sich Schlie sicher. „Wir sind jetzt so weit, dass das E-MTB sexy wird für die jüngeren Fahrer, auch durch die Race-Formate, was ja noch in den Kinderschuhen steckt. Ob Full Power eMTB oder Light eMTB: Der Uphill Flow bietet ihnen viele neue Möglichkeiten – und ein klares Plus an Fahrspaß.“
Zurück zu jenem Moment im Jahr 2013, als der Uphill Flow auf dem Bierdeckel verewigt wurde. Es gab wenige Momente, wo ein Begriff die Fahrradgeschichte so verändert hat, ist Stefan Schlie überzeugt: „Weil es für einen enormen Aufschwung in der Fahrradindustrie gesorgt und letztlich auch das Verhältnis der Menschen zur Mikromobilität entscheidend geprägt hat. Dadurch wurde das E-Bike cool, Scheu abgebaut. Das ist tatsächlich mit diesem ersten Meilenstein passiert.“