Dieser Mann brennt vor Ehrgeiz! Diskus-Haudegen Lukas Weißhaidinger erklärt, wie er die auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele in Tokio rocken und dort eine Medaille holen will. Er spricht aber auch über die Hürden, die die Corona-Zeit für ihn aufgestellt hat und welche Worst-Case-Szenarien in seinem Kopf herumschwirren.
Plötzlich traf Lukas Weißhaidinger die Selbsterkenntnis wie ein scharf geworfener Diskus am Kopf. Dabei hätte es im Herbst 2020 eigentlich ein gewöhnlicher Spieleabend mit Freunden werden sollen. „Normalerweise sind solche Abende unerträglich mit mir, weil ich immer der Erste sein will“, erzählt er ein paar Monate später mit einem Lachen. „Aber mir war auf einmal egal, ob ich gewinne oder verliere. Als ich das realisiert habe, war ich total schockiert!“ Fehlender Ehrgeiz – für einen ambitionierten Profisportler (und Hobbyfotografen) wie ihn wie ein Fotoapparat ohne Auslöser. Doch all die abgesagten Wettkämpfe, die verschobenen Highlights, die Trainingseinheiten, die ins Leere gingen, sorgten dafür, dass Körper und Geist in den Relaxmodus geschaltet haben. Und sich die Siegermentalität irgendwo zwischen den Mini-Meetings in Schwechat oder Rannersdorf aus dem Staub gemacht hat.
Die gute Nachricht: Der Zustand hielt nicht lange an. Als die Vorbereitung auf die Saison 2021 begann, raunte er seinem Trainer zu: „Gregor (Anm.: Högler), die Batterien sind bis zum Anschlag aufgeladen, das spüre ich. Ich bin bereit für neue Taten!“ Schlecht für seine 5-jährige Nichte, die beim UNO-Spielen wieder mit harten Bandagen zu kämpfen hat. Und hoffentlich schlecht für die internationale Diskus-Konkurrenz, die sich darauf einstellen muss, einen topmotivierten Gegner aus Österreich zu haben, der bei der Medaillenvergabe bei den verschobenen Spielen ein Wörtchen mitreden will.
Ein Absageszenario ist nach den Aussagen des wiedergewählten IOC-Präsidenten Thomas Bach mittlerweile höchst unwahrscheinlich – und es wäre für Weißhaidinger auch ein absolutes Armutszeugnis, wenn die Flamme am 23. Juli nicht entzündet würde. „Ganz ehrlich: Wenn die Bundesliga spielen kann ... Wenn Tennisturniere ausgetragen werden können ... Wenn diverse Welt- und Europameisterschaften über die Bühne gebracht werden ... Dann ist es für mich undenkbar, dass Olympia komplett gecancelt werden müsste. Dass es wohl leider ohne Zuschauer stattfinden wird – okay. Aber eine Absage? Das wäre ein Stich in den Rücken eines jeden Sportlers.“
Eine Absage? Das wäre ein Stich in den Rücken eines jeden Sportlers.
Der 29-Jährige ist ein Profi. Und bereitet sich als solcher ohnehin genauso vor, als ob die Spiele unumstößlich stattfinden würden. Was in Zeiten wie diesen eine richtig große Herausforderung ist. Zum Beispiel logistisch. Ursprünglich wäre geplant gewesen, im März ein Trainingslager in Lissabon zu absolvieren. Ohne Impfung nicht möglich, wurde ihm beschieden. Also switchte er auf Teneriffa um. Was für den sonnenhungrigen Urlauber wie ein Luxusproblem klingt, ist für einen Diskuswerfer eine echte Malaise. „In Portugal hätten wir rund um die Uhr trainieren können, auf Teneriffa sind wir in einem Komplex, wo es für uns einen Slot von eineinhalb Stunden am Tag gibt. Und den müssen wir uns noch mit anderen Athleten teilen.“
Dazu kommt, dass die Situation auch eine echte Challenge für den Kopf ist. Denn natürlich spukt dem Oberösterreicher zwischen den Ohren herum, was passiert, wenn ihn eine Woche vor den Spielen das Virus erwischt und er dem Flieger nach Japan nur hinterherwinken kann. Oder wenn er Ende Mai zum Diamond-League-Meeting nach Doha fliegt und dort zehn Tage in Quarantäne müsste – allein im Hotel. „Diese Worst-Case-Szenarien sind bei mir derzeit präsenter als der Plan, wie wir die Form Ende Juli auf den Höhepunkt bekommen“, gibt er zu.
Der Effekt der Kältekammer ist verblüffend. da nehme ich gerne in kauf, dass ich selbst drei Stunden später eine Decke brauche, weil mir immer noch kalt ist.
Die Lösung wäre natürlich eine Impfung, je früher, desto besser. Was für einen Olympiafahrer in einem Land wie Österreich ja auch machbar sein müsste. Eine These, zu der sich Weißhaidinger, ganz Diplomat, vornehm zurückhält. Und darauf verweist, dass der eine oder andere Konkurrent das Jaukerl bereits intus hat. „Man spricht immer von Chancengleichheit, die ja auch eine der Gründe war, warum Olympia verschoben wurde. Davon sind wir aktuell aber ein ganzes Stück weit entfernt.“ Vielleicht schreibt ihm ja der eine oder andere Gegner eine Ansichtskarte aus Lissabon ...
Weißhaidinger ist allerdings keiner, der jammert und sich auf verpasste Möglichkeiten oder ausgelassene Chancen konzentriert. Sein Fokus liegt darauf, das Optimum aus den gegebenen Umständen herauszuholen – und wenn möglich noch etwas mehr. Er weiß, dass er Defizite in Sachen Größe und Spannweite nur mit Technik wettmachen kann, und da kommt das Steckenpferd von ihm und seinem Trainer Gregor Högler ins Spiel: die Biomechanik. Der neueste Clou: Mit acht speziellen Kameras ist es seit Kurzem innerhalb weniger Minuten möglich, Würfe nach biomechanischen Gesichtspunkten (Drehmoment, Ellbogenwinkel usw.) zu analysieren und unmittelbar Schlüsse daraus zu ziehen. „Früher saß Gregor dafür nächtelang vor dem Computer und hat Tausende von Klicks gebraucht. Das ist ein großer Vorteil, von dem wir uns einiges versprechen.“
Genauso wie von der Kältekammer, die „Luki“ seit Ende Februar in der Südstadt nutzen kann – und das nach jedem Trainingstag tut, was bei minus 110 Grad nur bedingt ein Vergnügen ist, selbst wenn die Eiszeit nur drei Minuten dauert. Aber was tut man nicht alles, um auch den Bereich der Regeneration bestmöglich abzudecken. Denn: „Für Sportler wie mich ist das Problematischste, die durch die Reibung im Training in den Gelenken entstehende Wärme runterzukühlen. Der Effekt ist verblüffend. Da nehme ich gerne in Kauf, dass ich selbst drei Stunden später auf der Couch eine Decke brauche, weil mir immer noch kalt ist.“
Und das alles, um in Tokio das zu schaffen, wovon Weißhaidinger seit geraumer Zeit träumt: erstmals die 70-Meter-Marke zu übertreffen. Die wird wohl fallen müssen, um beim Medaillenkampf mittendrin statt nur dabei zu sein. Dass das Ziel realistisch ist, weiß Weißhaidinger. Und auch seine besten Freunde ahnen es. Spätestens, seitdem bei den Spieleabenden endlich wieder die Fetzen fliegen.