Max Riese ist Ultradistanz-Bikepacking-Athlet und Guide bei unserem SPORTaktiv Gravelcamp in der Region Wörthersee-Rosental (14. bis 17. September 2023). Ein Gespräch über Schnittmengen zwischen Gravel, Bikepacking und Ultracycling – und darüber, was die Lust auf kleine genauso wie auf epische Bike-Abenteuer befeuert.
Bei Ultracycling denken viele an Christoph Strasser oder das Race Across America. Dein Metier ist Self-Supported-Ultracycling und Bikepacking – erklär mal bitte diesen Teil der Ultracycling-Szene?
Das „Ultra“ haben wir gemeinsam – es geht um sehr lange Distanzen, die man nicht an einem Tag oder ohne Schlafen bewältigen kann. Dann gibt es Unsupported- und Supported-Rennen. Christoph macht ja jetzt zusätzlich auch Unsupported-Rennen, letztes Jahr sind wir erstmals gemeinsam ein Rennen mit dem Transcontinental Race gefahren – doch prinzipiell hat er meist ein Betreuerteam dabei, während wir alles selber mitschleppen und uns um alles selber kümmern: Navigation, Essen, Trinken, Schlafen oder wenn etwas am Rad kaputt geht. Wir müssen uns so verhalten, als würde das Rennen nicht existieren und als würden wir komplett alleine versuchen, die Route so schnell wie möglich zu bewältigen.
Diese Szene hat in den letzten Jahren anscheinend so richtig Fahrt aufgenommen.
Es ist stark gewachsen: Als ich vor, fünf, sechs Jahren damit angefangen habe, war es noch dünn, mittlerweile gibt es sehr viele Events und sehr viele, die mitmachen. Der Gravelbike-Boom spielt hier sicher mit rein. Wir haben generell einen Fahrradboom gehabt und die Leute schauen sich nach neuen Abenteuern um. Die Rennen sind zwar nicht einfach, von der physischen Beanspruchung her betrachtet; aber man kann sich einfach dort anmelden und gleich mit den Profis mitfahren.
Gibt es einen Klassiker-Event – oder einen definierten Startpunkt für diese Art von Rennen?
In Amerika hat sich schon früh viel im Offroad-Bereich entwickelt – mit der Tour Divide, einem Arizona Trailrace oder Colorado Trailrace. Rennen, die meist ehrenamtlich aufgestellt werden: Es wird eine Route zusammengestellt, es gibt eine Webseite mit einem Leaderboard und das war es schon. Das ist der echte Ursprung des Ganzen. Dann hat Mike Hall, einer der Fahrer, vor mittlerweile schon wieder zehn Jahren das Transcontinental Race gemacht: Ein Rennen quer durch Europa und das erste, das kommerziell erfolgreich wurde. Es war ganz anders aufgezogen und man konnte mitverfolgen, wie Leute 4000 Kilometer durch Europa fahren. Man kann es wohl also den Ursprung des modernen Unsupported Bikepackings nehmen.
Du hast beispielsweise auch zweimal ein Rennen in Kirgistan bestritten?
Das Silk Road Mountain Race, genau. Das ist sozusagen mein Lieblingsrennen. Kirgistan wird auch die Schweiz Zentralasiens genannt, über 80 Prozent der Landfläche sind hochalpines Gebirge. Die Kultur ist völlig anders für uns. Das erste Rennen ist viral gegangen, von knapp 200 Startern sind nur 24 ins Ziel gekommen. Vor allem waren die Bilder extrem: Endlose Landschaften, Straßen mit so vielen Kehren, wie man es bei uns nicht kennt; Schneestürme, Hochgebirge über 4000 Meter; die Jurten, die Menschen mit ihrer nomadischen Lebensweise. Ich bin zuvor schon lange Distanzen mit Freunden zum Spaß gefahren, aber diese Bilder zu sehen, hat bei mir einen starken Reiz ausgelöst: Einerseits zu probieren, ob ich das schaffen kann, und andererseits die Kultur und die Landschaft unbedingt zu erleben. 2019 hab ich das als erstes wirkliches Rennen gemacht und bin Zwanzigster geworden. Seitdem hat es sich zu einer Art Sucht entwickelt, jedes Jahr vier, fünf Rennen zu bestreiten.
Über Rennen wie dieses, mit großem Anteil losem Untergrund, erklärt sich dann vermutlich auch der Konnex zum Gravelbike?
Die Gravelbikes kamen damals schon ein bisschen auf und haben sich danach sehr stark entwickelt. Ich wollte für mich ein Fahrrad haben, das mich über multiple Untergründe schnell und zuverlässig transportiert, und habe damals ein Gravelbike aus Stahl mit starrer Vordergabel gewählt, mit extrem breiten Reifen aber mit Rennlenker. Generell war das Gravelbike der neue Schwung, nachdem im Mountainbiken ein bisschen Stagnation war, so habe ich es zumindest empfunden. Mit dem Gravelbike habe ich andere Möglichkeiten, extrem lange Distanzen zu machen, oder auch ein breiteres Spektrum an Untergründen zu fahren und dabei Spaß zu haben.
Gehört ein höherer Offroad-Anteil in der Szene generell dazu?
Die Rennen, die ich mir rauspicke, sind meistens sehr hart offroad, wo man auch viel schieben und tragen muss. Viele Höhenmeter gehören ebenfalls zu meinem bevorzugten Terrain. Aber es gibt große Unterschiede: Man kann auch ein Race Around The Netherlands fahren, wo es darum geht, 2000 Kilometer extrem aerodynamisch auf Asphalt zu fahren. Das Transcontinental Race hat ein paar Gravel-Abschnitte drin, aber das bin ich auch auf einem Endurance-Rennrad gefahren. Es gibt alles „von bis“.
Was ist dein Antrieb zu solchen Rennen?
Ich war schon immer sehr naturverbunden. Salzburg ist für mich ein Traum-Lebensstandort mit den Alpen und den Seen. Ich liebe hochalpines Gelände und ich liebe auch, wenn ich in der Natur komplett für mich allein sein kann. Diese Einfachheit vom Leben in der absoluten Natur reizt mich und gibt mir einen extremen Ausgleich zum Alltagsleben – wo viel Sitzen am Schreibtisch, dann wieder Events mit vielen Leuten, Social Media und alles dazugehören. Dann ist man auf einmal wirklich zehn Tage komplett allein.
Allein in der Natur heißt auch: Man muss sich selbst helfen können, wenn es darauf ankommt.
Das ist auch ein Teil davon. Es hilft dir keiner und auf der anderen Seite pfuscht dir auch keiner rein. Die Abgeschiedenheit macht für mich einen extremen Reiz aus. Auch das Planen: Wie viel Essen und Trinken habe ich noch bis zum nächsten Ort, in dem ich wieder was kaufen kann? Und ich muss ein bisschen konservativer fahren – wenn etwas kaputt geht, muss ich es ja noch reparieren können. Dann die Zusatzchallenge mit dem Wetter im Hochgebirge; die unerwarteten Dinge, die passieren können; Tiere, die dir das Essen stehlen können. All das unterscheidet es vom etwas sturen, auf reine Leistung und Effektivität ausgerichteten Straßenradfahren.
Du berätst auch Tourismusregionen zum Gravelbiken. Wie siehst du Österreich und seine Regionen aufgestellt?
Ich habe während der Pandemie für mich festgestellt, dass mich mein Job für ein großes österreichisches Unternehmen nicht erfüllt und ich gern etwas machen möchte, wo ich einen höheren Wert dabei habe. Deshalb habe ich die Plattform gravgrav.cc gegründet, wo wir touristische Destinationen beraten – und auch, um die Gravel-Infrastruktur regionsübergreifend in Europa zu gestalten. Das Interesse ist groß und das ist super, weil es eine Riesenchance ist. Legal Offroadfahren in Österreich ist ja immer noch ein Problem. Aber wir haben landschaftlich alles, wir sind ein touristisches Land und haben alles an Untergründen. Es gibt also viel Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. Und es gibt Regionen, die das schon sehr gut machen: das Salzkammergut, die Kitzbüheler Alpen oder der Wörthersee, die Pioniere bei dem Thema waren.
Wie muss eine Gravelstrecke beschaffen sein?
Es geht viel um eine gute Abwechslung. Im Endeffekt sind wir viel auf Radwegen oder auch auf kleineren Straßen, die in keinem perfekten Zustand sind, unterwegs; dann gibt es Forststraßen, es kann auch einmal ein kleinerer Weg mit drin sein, soweit er reinpasst. Wenn ich ein Bild von einem Mountainbiker auf einem perfekten Singletrail mit einem Lächeln im Gesicht sehe und zugleich lese, die Route ist 60 Kilometer lang: Da weiß ich, dass der Singletrail wahrscheinlich ein paar Prozent der Strecke ausmacht. Der Mountainbiker muss auch wo hochfahren, damit er sich den Singletrail erarbeitet und beim Gravel ist es dasselbe. Wir halten die Gravelbiker von Hochverkehrsstraßen oder gefährlichen Punkten fern, führen sie in schöne Landschaften und schauen, dass sich ein guter Mix ergibt: aus Offroad, Allroad – also dieses etwas verfallen alten Straßen –, bis hin zu wirklich leichten, flowigen Singletrails, die für Experten ebenfalls mit drin sein sollen.
In der Region Wörthersee, wo du bei unserem Camp auch Guide bist, gibt es als Zusatz noch das „Lost-Places-Thema“. Gedanke dahinter?
Das ist ein cooler Ansatz, um ein bisschen mehr dazu zu geben als nur eine Route. Es ist wie beim Bikepacking – die Leute suchen ein Abenteuer. Nicht einfach nur wo entlangfahren, ohne dass Rundherum etwas passiert, sondern ein gewisses Mehr-Erlebnis: Ein Lost Place, wo im Prinzip keiner hinkommt, wo weiß keiner, dass er existiert: Das ist etwas Geheimnisvolles, da ist eine Geschichte dahinter und das gibt einfach ein Extra- Erlebnis bei einer Erfahrung, die mir von sich aus schon taugt. Da ist der Wörthersee ganz vorn mit dabei und das ist auch definitiv, wohin der Weg geht.