Als „SPORTaktiv-Doc“ wird Sport- und Ernährungsmediziner Dr. Robert Fritz unsere Leser ab sofort in jeder Ausgabe medial coachen. Das Interview zum Serienstart.
von Alfred Brunner und Christof Domenig
Wie schaffst du es selbst, neben deinen Verpflichtungen als Sportmediziner auf dein Bewegungspensum zu kommen, das dir persönlich guttut?
Die Frage höre ich häufig und das ist auch nicht immer leicht mit vielen 14-, 15-Stunden-Tagen. Während der Woche, Montag bis Donnerstag, mache ich daher eher ein Training mit geringeren Umfängen. Wenn ich abends heimkomme, bin ich wie alle anderen auch ein bisschen müde und leer, dann setze ich mich auf meinen Ergometer. Da mache ich ein ganz niedrigintensives Grundlagentraining, um die Basis auszubilden, wirklich etwas für den Fettstoffwechsel zu tun, das ist super erholend.
Mit welcher Intensität fährst du mit dem Ergometer?
Ich bin ein sehr niedrigfrequenter Typ, mein Grundlagenbereich ist bei Herzfrequenz 90. Nach wenigen Minuten merkt man da, wie durch die Bewegung die Stresshormone verschwinden.
Und wenn dir nicht nach Grundlagentraining ist?
Wenn es nicht zu spät ist, mache ich am Abend auch ganz gern HIT-Intervalle, also ein High-Intensity-Training. Oder ein Krafttraining, das braucht hohe Intensität, sonst bringt es nichts. Donnerstagabend, spätestens Freitagabend geht es in eine Region: Mountainbiken, Skitouren, Langlaufen, Traillaufen, Wandern. Und dann habe ich noch meine Bewerbe, die ich mir vornehme. Da geht es darum, dass es Spaß macht, tolle Erfahrungen sind und es ist auch irgendwo die Karotte vor der Nase, weil ich dafür etwas machen will, um fit genug zu sein.
Du hast eingangs dieses gute Gefühl beim Sport erwähnt. Woher kommt das – sind das die oft zitierten Glückshormone?
Da muss man aufpassen: Das „Runner’s High“, die Endorphine oder Glückshormone sind eigentlich etwas Fälschliches. Es fühlt sich gut an, aber eigentlich ist es ein Zeichen, dass es den Körper schon überfordert. Wenn du das in jeder Trainingseinheit spürst, so richtig am Fliegen bist: Dann ist das ein Zeichen von Überforderung.
Warum fühlt es sich dann gut an?
Da muss man in die Steinzeit zurückschauen. Warum haben wir uns bewegt? Wir haben gejagt oder sind geflüchtet. Der Weg in eine hoch intensive Belastung war für den Menschen immer nur für diese Zwecke da. Da musst du performen und der Körper macht alles mobil. Das ist aber nicht gut. Wenn du immer zu intensiv trainierst, kann sich das kurzfristig gut anfühlen, langfristig geht es in die Hose. Drei- bis viermal in der Woche mit dem Runner’s High ist zu viel.
Was wäre stattdessen gefragt?
Das, was ich gemeint habe, ist der Abbau von Stresshormonen. Und da geht es nicht um Adrenalin und Noradrenalin, kurzfristige Stresshormone, die sind auch etwas Positives: Das ist zum Beispiel das Projekt, das bis zum Tag X fertig sein muss – kein Problem: Du wirst gepusht, bist leistungsfähig, kriegst es gut hin. Aber: Wenn das eine Projekt noch nicht vorbei ist und das nächste beginnt schon wieder, gleichzeitig sind die Kinder krank, die Oma kommt ins Krankenhaus: Das ist eine Form von Stress, der über Cortisol funktioniert. Ein ganz anderes Hormon. Das ist etwas, das sich langsam raufschleicht, der chronische Stress: Der ist gefährlich, du kriegst psychische Probleme davon, wirst krank. Genau das kannst du mit Bewegung abbauen. Mit einer niedrigen Intensität signalisierst du dem Körper: Entspann dich, es ist alles gut. Wieder in der Steinzeit: Die Flucht ist vorbei, wir gehen Richtung Höhle, zünden uns ein Feuerchen an, alles ist gut.
Also wäre es für viele besser, nach einem stressigen Tag spazieren zu gehen, als mit 140 Puls zu laufen?
Stimmt ganz genau mit Ausnahme der Aussage „Puls 140“: Ich habe einen Sportwissenschafter im Team: Wenn der seine lockere Runde läuft, hat er genau 140, 145 und das passt für ihn auch, weil er ein sehr hochfrequenter Typ ist. Frauen sind das oft auch, deswegen bitte keine pauschalen Puls-Aussagen, sondern nur auf Basis einer Leistungsdiagnostik. Aber sonst stimmt es total. Auch für die Ambitionierten. Es muss nicht spazieren gehen sein, aber habt den Mut zur niedrigen Intensität! Wenn man an das polarisierte Trainingsmodell denkt, das seit 7, 8 Jahren im Leistungssport angewandt wird: Jan Frodeno, die Bora-Jungs: Sie machen 80 Prozent als Sockel aus ganz niedrigen Intensitäten und 20 Prozent, wo sie so richtig draufhauen. Auch ein Kipchoge macht Einheiten mit 6:00 Minuten pro Kilometer.
Also bei fünf Einheiten in der Woche: vier im ganz niedrigen Intensitätsbereich?
In der Grundlagenphase: Ja! Was dem Hobbysportler meist passiert: Er macht die langsamen Einheiten zu schnell, dafür keine schnellen Einheiten und immer den Einheitsbrei – und das ist relativ sinnlos. Es ist besser als nichts, aber nicht zeiteffizient, es entwickelt sich nichts. Das heißt: Mut in beide Richtungen: Mach die langsamen Einheiten wirklich langsam und die schnellen wirklich schnell. Da hast du nicht nur viel mehr Spaß, sondern es tut sich auch gesundheitlich viel mehr. Wenn die Blutfette runtergehen, der Blutzucker schön wird, der Blutdruck sich normalisiert: Das ist ja ein Hammer, was dieses Medikament Bewegung alles kann, aber man muss es auch richtig dosieren.
Die Message: vom Ehrgeiz runtersteigen, auch wenn es schwerfällt?
Ein Pärchen, er erzählt: Zwei-, dreimal in der Woche geh ich laufen und einmal tu ich halt ein bisserl mit ihr mit, sogar Nordic Walking hin und wieder. Und weißt du, was die einzige sinnvolle Einheit war? Die mit seiner Frau! Die gehen mit so großen Augen raus, weil sie sehen, dass ihre Frau die bessere Grundlagenausdauer und die viel besseren Blutwerte hat.
Auch ein Kipchoge macht Einheiten mit 6:00 Minuten pro Kilometer.
Also Leistungsdiagnostik für alle?
Ich hab mir manchmal schon gedacht, ob nicht auch die Empfehlung reicht: Macht’s die langsamen Einheiten unangenehm langsam und die anderen total hart. Aber das geht nicht. Dieses Körpergefühl hinzukriegen, was langsam genug ist, funktioniert nicht. Das ist sicher ein Problem unserer Zeit, dass wir durch die Geschwindigkeit, mit der wir leben, immer ein wenig zu viel getrieben sind. Aber ist es an meinem Körper gemessen, dann weißt du wirklich, das bin ich. Und du spürst, wenn du dich daran hältst, schnell den Erfolg.
Sowohl bei der Bewegung als auch bei der Ernährung wird allgemein oft viel über Gesundheit kommuniziert – und wenig über das Schöne, den Genuss. Siehst du das auch so?
Absolut. Verbote funktionieren doch nicht. Wenn du Stress hast, isst du deine Schokolade. Warum? Das Gehirn arbeitet nur mit Zucker, wenn du viel denken musst, brauchst du Kohlenhydrate. Ich hatte gestern eine Patientin, eine schlanke Sportlerin, die sagte, sie braucht täglich um elf bei der Arbeit einen Schokoriegel, weil sie es sonst sogar körperlich spürt, ihr schwindlig wird. Die Ursache war rasch gefunden – sie frühstückt ein Marmelade- oder Honigbrot. Was macht das? Es haut ihr den Blutzuckerspiegel in kürzester Zeit ganz weit rauf und im Laufe des Vormittags geht sie mit dem Insulin runter in eine Unterzuckerung. Wenn du das Marmeladebrot gegen eines mit Topfenaufstrich austauschst, ist das schon erledigt.
Wie ist also dein Zugang zum Genuss in der Ernährung?
Ich selbst esse im Alltag keinen Zucker. Aber natürlich gönne ich mir auf einer Feier oder nach einem guten Essen auch einmal ein Stück Kuchen. Das heißt: die schönen, guten Sachen zelebrieren, und den Blödsinn, der auch in Wahrheit nichts mit Genießen zu tun hat, sein lassen. Sich stattdessen Alternativen suchen: eine Handvoll Nüsse, einen Sportriegel. Genießen, sinnvolle Ergänzungen nutzen, Fehler ausbessern und wenn man sie nicht kennt, das Wissen von Spezialisten nutzen: Mit der Analyse eines Ernährungsprotokolls und entsprechenden Empfehlungen.
Abschließend: dein Tipp an die Leser fürs Sportjahr 2022?
Mehr Bewegung ins Leben zu bringen. Wie bei der Ernährung: Ich kann entweder mit Verzichten leben oder ich gebe etwas dazu. Wenn es gerade um Gewichtsreduktion geht und ich glaube, das betrifft sehr viele Menschen jetzt nach zwei Jahren Pandemie, kann ich weniger essen oder ich bewege mich mehr. Nur ist die Bewegung ein Zusatzgewinn. Also: Mehr Bewegung, keine Angst vor niedrigen Intensitäten, macht das, was euch Spaß macht. Und wenn ihr nicht weiterkommt, lasst euch helfen. Die 150 Minuten wöchentliche Bewegung, die die WHO empfiehlt, sind ein Mindestmaß, wenn ihr das erreicht, ist das schon gut. Wenn es nicht klappt: Es gibt genug Institute quer durchs Land, die helfen euch dabei. So wird 2022 dein Jahr!
ZUR PERSON
Dr. Robert Fritz
Der Sport- und Ernährungsmediziner ist einer der Gründer und medizinischer Leiter einer Unit der „Sportordination“ in Wien und einer der bekanntesten Sportärzte in Österreich. Als begeisterter Freizeitsportler hat er unter anderem die Crocodile Trophy bestritten, als Leiter des Medical Centers des Vienna City Marathons war Fritz im vergangenen Oktober Gast beim Ö3-„Frühstück bei mir“.
Schon bisher war Dr. Robert Fritz einer der regelmäßigen SPORTaktiv-Experten. Ab sofort wird er als „SPORTaktiv-Doc“ in jeder Ausgabe ein sport- oder ernährungsmedizinisches Thema kompetent beleuchten.