Dass in Kitzbühel Ski gefahren wird und ein paar schicke Häuser stehen, dürfte inzwischen jeder Österreicher wissen. Wie es einem Zuagroasten mit Einheimischen und Gepflogenheiten so geht, ist kaum einmal Thema. Ein Erfahrungsbericht nach fast zwei Jahren in der Gamsstadt anlässlich der 80. Hahnenkammrennen.
Mir persönlich bereitet es Angst“, sagt Michael Huber, angesprochen auf seine Gefühle hinsichtlich des 80. Jubiläums des Hahnenkammrennens zwischen 24. und 26. Jänner. Der Respekt des Präsidenten des Kitzbüheler Ski Clubs (KSC), des Veranstalters des jährlichen Höhepunktes im Weltcup, rührt aus der Historie: „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Jubiläumsrennen schwierig sind – sei es witterungsbedingt oder aufgrund sonstiger Begleitumstände“, erinnert sich Huber.
Das 25. Hahnenkammrennen 1964 etwa musste mangels Schnee abgesagt werden, das 50. im Jahr 1990 ging nur mit Hängen und Würgen über die Bühne, so wenig Schnee war gelegen. Folglich fokussiert sich der KSC-Präsident auf das Wesentliche: „Das 80. Jubiläum ist nur eine Zahl und wir werden alles daransetzen, dass man ein Hahnenkammrennen durchbringt.“ Michael Huber zählt auf, was einem Abfahrt und Super-G auf der Streif sowie den Slalom auf dem Ganslern alles verderben kann: „Zu wenig Schnee, viel zu viel Schnee, Wind, Nebel, Regen, zu viel Sonne usw. Wir konzentrieren uns auf die Rennen, nicht aufs Rahmenprogramm.“ Für Michael Huber ist der Sport die Show und deshalb wird es auch zum 80er „keinen Konzertreigen internationaler Künstler, keine Zauberer und auch keine Bauchtänzerinnen geben. Im Vordergrund steht der Rennfahrer, denn was er leistet, ist unglaublich“, sagt der gebürtige Kitzbüheler.
Diese Bescheidenheit mag verwundern, angesichts der (immer gleichen) Bilder von Glanz und Glamour, die insbesondere während der Hahnenkammwoche aus Kitzbühel um die Welt gehen. Nur während es für die meisten Medien von fast staatstragender Bedeutung zu sein scheint, ob die „drei As“ (Andi, Arnie, Alaba) nun zur Abfahrt kommen oder nicht, ist das den rund 50.000 Fans im Zielraum ebenso egal wie den Einheimischen. Es stimmt schon, die Promidichte mag in der Gamsstadt, die 2021 übrigens ihren 750. Geburtstag feiert, höher sein als anderswo in Österreich – allerdings nur dreimal im Jahr: in den Weihnachts- und Semesterferien sowie zum Jahrmarkt im Sommer. Zum Hahnenkammrennen geben bis zu 90.000 Skifans den Ton an, während der Generali-Open rund 50.000 Tennisfreunde.
Dass Kitzbühel eine sehr beschauliche Stadt ist, in der die Bewohner etwa im Mai und November regelrecht unter sich sind, stellt man erst fest, wenn man längere Zeit hier verbracht hat. Und hier nicht nur Urlaub zu machen, sondern sich niederzulassen, ist auch kein Ding der Unmöglichkeit, wie es gerne kolportiert wird. Ja, Immobilien zu kaufen oder zu bauen mag in erster Linie Besserverdienern vorbehalten sein, aber auch in Kitzbühel kann man mieten. Nicht nur zu Preisen, wie man sie aus anderen Städten Österreichs kennt, sondern in einer neuen Wohnanlage sogar ab fünf Euro pro Quadratmeter: „Von einer Landflucht oder Abwanderung sind wir in Kitzbühel weit entfernt“, sagt Bürgermeister Klaus Winkler und verweist auf die Siedlungspolitik: „Es ist für eine Stadt wie Kitzbühel mit rund 8300 Einwohnern wohl sensationell, dass in den vergangenen Jahren ca. 380 Wohnungen und Siedlungsgrundstücke geschaffen und damit für knapp 1000 Menschen Wohnraum realisiert worden ist.“
Sieht man von den teils astronomischen Immobilienpreisen ab, entspricht die Außenwahrnehmung Kitzbühels häufig einem Zerrbild. Es ändert nichts am ländlichen und urigen Charakter der stets blitzsauberen Innenstadt, nur weil Louis Vuitton, Aigner, Woolrich und Co. eigene Läden haben. Das Leben der Bewohner spielt sich nämlich gleich nebenan ab: beim Praxmair, dem Huberbräu-Stüberl, im Centro oder im Café Ursprung. Die rustikalen Lokale werden nicht nur von Einheimischen betrieben, die Preise sind identisch mit jenen in Kufstein, Klagenfurt oder Kapfenberg. Urig sind nicht nur die alteingesessenen Kaffeehäuser und Gaststätten, sondern auch die Kitzbüheler selbst: Herzlichkeit wird nicht nur den Gästen entgegengebracht, sondern auch denjenigen, die gekommen sind, um zu bleiben. Zumindest, solange man sich im Mikrokosmos Kitzbühels halbwegs konstruktiv und unaufdringlich einbringt. Das schnelle Geld macht hier kein Zuagroaster. Und nur weil jemand „Griaß di“ zu dir sagt, ist er noch lange nicht dein Bekannter oder gar Freund. „Griaß di“ heißt es nämlich zu jedem, es sei denn, es geht zum Notar, Steuerberater oder Arzt.
Die Sprache ist es auch, was die Nicht-Kitzbüheler von den Einheimischen auf immer trennt. Denn ob du jetzt Steirer, Kärntner, Wiener oder Deutscher bist, „Schönen Urlaub“ wünschen einem die Kitzbüheler nur zu gerne – selbst, wenn dein Hauptwohnsitz schon Jahre zwischen Hahnenkamm und Kitzbüheler Horn liegt. Die gemeinsame Sprache trennt nicht nur Österreich und Deutschland (© Karl Kraus), sondern auch die Österreicher untereinander. Daran zu knabbern ist allerdings Zeitverschwendung, denn „Einheimischer wird man hier frühestens ab der vierten Generation“, sagt der Kitzbüheler Arzt und Historiker Werner Hengl, wenn auch mit Augenzwinkern.
„Impulse von außen sind immer wichtig, natürlich auch in Kitzbühel“, betont Bürgermeister Klaus Winkler und liefert ein Beispiel: „Auch unser Skipionier Franz Reisch kam Ende des 19. Jahrhunderts von außerhalb und versetzte der Stadt die nötigen Impulse für einen touristischen Aufschwung.“ Franz Reisch, dessen Tod sich am 6. Jänner zum 100. Mal jährt, verdankt die Stadt wirklich unschätzbare visionäre Schritte – und Schwünge: Er fuhr als erster mit Ski die Hänge bergab, war Impulsgeber für den entstehenden Tourismus, schuf Hotels und Almhütten, holte die ersten Skilehrer in den Ort und war nicht nur Wegbereiter für Eishockey und Curling, sondern auch für ein großes Skirennen, das regelmäßig abgehalten werden soll (und elf Jahre nach seinem Ableben auch Realität wurde). Franz Reischs Denkmal am Eingang ins Kitzbüheler Rathaus ist also wohlverdient – auch wenn er 1863 in Kufstein zur Welt gekommen ist.
Für Michael Huber ist seine Heimatstadt Kitzbühel „a little melting pot“ – in Anlehnung an New York. „Ich finde es schön, wenn man nicht im eigenen Saft brät, sondern wenn man weltoffen ist und das große Gemeinsame immer vor das individuell Abgrenzende stellt“, sagt der KSC-Präsident und Veranstalter des Hahnenkammrennens und ergänzt: „Ob das viele Kitzbüheler unterschreiben würden, weiß ich nicht, ich aber liebe diesen Gedanken.“ Solange diesen Gedanken zumindest ein paar Kitzbüheler teilen, darf sich hier jeder willkommen fühlen. Nicht nur Touristen.