Wo beginnt Outdoor? Im Hochgebirge oder schon vor der eigenen Tür? Eine subjektive Annäherung.
Wer die Frage „Wo beginnt Outdoor“ mittels Google-Suche startet (versuchen Sie es gern), bekommt als Erstes eine ganze Reihe von Ergebnissen zum Thema Hanfanbau. Warum? Ich weiß es nicht. Jedenfalls kann es nicht nur mit der Personalisierung meiner Suchergebnisse zu tun haben, bei zwei Kollegen führte der Google-Versuch auf den gleichen Irrweg.
Wo beginnt Outdoor nun also? Erst in den Bergen oder schon vor der Wohnungstür? Kommt darauf an, würde ich sagen. Outdoor beginnt bei mir jedenfalls, wie wahrscheinlich bei vielen anderen auch, in der eigenen Kindheit. Wobei das mit prägenden Kindheitserlebnissen nicht anders ist als mit einer Google-Suche – es kommt zu „personalisierten“ Ergebnissen. Das daraus Abgeleitete ist also höchst subjektiv. Bei mir war es in den frühen 1980er-Jahren, was mich hinsichtlich Outdoor prägte. Man sagte damals natürlich nicht Outdoor: Bei uns daheim hieß es Wandern und es war für mich wie Urlaub im Kleinen.
Wandern begann mit dem Richten der Jause und die Jausenpausen irgendwo an einem Bach unter Bäumen gehören auch mit zum in meiner Erinnerung Abgespeicherten. Aber auch die Gerüche draußen in der Natur: Ein Nadelwald, der Duft eines Steinpilzes oder auch der Geruch in einer Berghütte: Das weckt heute noch nostalgische Gefühle.
Outdoor hat für mich mit dem Gefühl zu tun, etwas aus eigener Leistung geschafft zu haben.
Wandern begann für mich damals aber nicht erst in den Bergen, sondern für uns Flachländer mit der Anfahrt. 34 PS eines Renault 4 reichten aus, um eine ganze Familie zu Ausgangspunkten auf 1500 bis 1700 Höhenmeter zu bringen. Der motorisierte Vortrieb erfolgte an den steileren Passagen der Straße vermutlich im Kriechtempo. Zumindest aus heutiger Perspektive. Aber mit der Langsamkeit ist es wie mit der Einfachheit: Beides wird als solches nicht erkannt und schon gar nicht als Mangel empfunden, wenn man es nicht anders kennt. Damals habe ich es jedenfalls nicht anders gekannt.
Outdoor ist für mich deshalb heute noch stets mit einer Form von Langsamkeit und Reduktion verbunden. Im Gegensatz zu einem getakteten Alltag ist Zeit beim Outdoor-Erlebnis zur Genüge vorhanden. Zumindest beim gelungenen Erlebnis. Wenn Zeitdruck entsteht, dann allenfalls als Notfallprogramm (wenn zum Beispiel ein Gewitter naht). Ähnlich ist es in meinem Empfinden heute noch mit dem Einfachen: Eine noch nicht renovierte Hütte, die den Charme meiner Kindheit versprüht, entlockt mir ein Lächeln. Und eine selbst im Familienverband hergerichtete und unter Bäumen verzehrte Jause kann besser schmecken, als ein mehrgängiges Menü auf einer supermodernen Hütte mit Gipfelblick es könnte.
Natürlich lässt sich keine Seehöhengrenze benennen, ab der Outdoor beginnt: In den Bergen herrschen jedoch Bedingungen, die ein Outdoor-Erlebnis, so wie ich es verstehe, zumindest begünstigen: eine dünne Besiedelungsdichte, wenig Infrastruktur. Und tendenziell steinige, unebene und, ja, auch mitunter steile Wege.
Outdoor beginnt für mich jedenfalls stets mit dem ersten Schritt und benötigt eine Vielzahl weiterer, geduldig und beharrlich absolvierter Schritte, um mich an ein selbst gewähltes Ziel zu bringen. Um dieses sicher zu erreichen, braucht es Planung und ein Sicherheitspolster. Eigenverantwortung ist nötig: In den Bergen bin ich selbst für mein Tun und meine Sicherheit verantwortlich. Es gibt zum Erreichen meines Zieles keine Abkürzung. Wenn ich es dann erreicht habe, erfüllt mich das mit umso größerer Freude.
Outdoor beginnt auch bei den richtigen Menschen, beim Teilen von Erlebnissen.
Es gibt also keine Abkürzung, aber zum Glück gibt es „Back-ups“. Wie die Möglichkeit, die Bergrettung rufen zu können, wenn ich mich verletzen oder verirren sollte. Eine Schutzhütte, die ich zum Schutz aufsuchen kann, wenn ich sie brauche, oder die ich mir zum Ziel aussuche. Oder auch eine Seilbahn, mit der ich eine Tour abkürzen oder sie überhaupt erst ermöglichen kann. Zu berücksichtigen sind jeweils die unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen, die jeder mitbringt. Aber Outdoor geht für mich jedenfalls über einen reinen Erlebnis-Konsum hinaus.
Outdoor hat für mich auf jeden Fall auch mit dem Gefühl zu tun, etwas aus eigener Leistung geschafft zu haben. Vielleicht auch zum ersten Mal. Das Setzen von oder Greifen nach ständig höheren Zielen empfinde ich als kein Muss, aber ich kann es dennoch nachvollziehen. Auf jeden Fall sollte auch hier gelten: Ich kann nur Schritt für Schritt vorgehen, nicht zwei oder hundert auf einmal. Ich kann nur das anstreben, was in meiner realistischen Reichweite liegt. Wenn es nicht in Reichweite ist, muss ich dafür trainieren oder darauf verzichten.
Outdoor beginnt, so finde ich zumindest, auch beim Respekt voreinander. Nein, früher war nicht alles besser (ganz und gar nicht): Aber früher, als man mit dem „Du“-Wort noch sparsamer umgegangen ist, hat es geheißen, dass man in den Bergen mit jedem per Du ist. Ich vermute, dass damit vielleicht ein gewisser Respekt, eine Art von Gleichsein zum Ausdruck kam, das Teilen eines gemeinsamen Gefühls in einer nicht ganz einfach zu erreichenden Ausnahmesituation. Woran es auch liegt, scheint mir heute in der Outdoor-Community mit dem Glück der Vielfalt an Möglichkeiten irgendwo auch das Verständnis füreinander auf der Strecke geblieben zu sein. Schade, finde ich. Wanderer gegen Mountainbiker, Mountainbiker gegen E-Mountainbiker, Kletterer gegen Klettersteiggeher oder alle gegen „Mount-Everest-Touristen“? Die Reihe ließe sich lange fortsetzen.
Meinem Gefühl nach entsteht Unverständnis oft aus der mangelnden Bereitschaft, sich mit der Lebenswelt und -realität anderer auseinanderzusetzen. Urteile sind schnell gefällt, ein Posting noch schneller abgesetzt – doch die von mir so empfundene Langsamkeit der Bergwelt täte hier vielleicht ganz gut. Sich mit Meinungen und Empfindungen, die nicht den eigenen entsprechen, auseinanderzusetzen, ist vergleichbar mit einer Gipfeltour: Oft mit Mühe verbunden, aber es sorgt für einen weiteren Blickwinkel und hinterlässt am Ende des Tages ein gutes Gefühl.
Outdoor beginnt, und davon bin ich vollends überzeugt, natürlich auch beim Respekt vor der Natur. Wer sich gern und oft inmitten von Flora und Fauna aufhält, entwickelt automatisch eine andere Beziehung dazu. Einen krabbelnden Käfer sieht man nur aus der Nähe und beim genauen Hinschauen. Und wenn man im Jahre 2050 noch auf Skitouren gehen will (ich bin dann übrigens 75), dann startet man mit der Veränderung am besten bei sich selbst und wählt zur Anfahrt zur nächsten Tour vielleicht die Öffis statt dem Auto.
Outdoor beginnt auch bei den richtigen Menschen, beim Teilen von Erlebnissen. Mit einem Menschen, der zum Beispiel auch nach vielen Jahren nicht damit aufhört, dem Banausen beim gemeinsamen Naturerlebnis Blumen zu zeigen und zu benennen. Oder mit Kindern, die in einem Bach vor Freude von Stein zu Stein hüpfen. Bach, Blumen, Bäume: Alles findet man locker auch in urbaner Öffi-Reichweite. Wenn also einige der genannten Bedingungen erfüllt sind: Dann kann Outdoor tatsächlich manchmal sogar im Betongrau vor einer städtischen Wohnungstür beginnen.