Daten sind die neue Währung. Auch im Freizeit­sport. Wer will, kann mit Sportuhren und Fitnessbändern jede Menge über sich und seinen Körper erfahren. Über das Sammeln von Daten und die Jagd nach Erkenntnis.

Von Christof Domenig und Christoph Heigl
 

Ein Seitenblick zum Profisport: Im Fußball etwa sind Daten längst eine äußerst wertvolle Währung. Dabei geht es nicht nur um im Match zurückgelegte Kilometer jedes einzelnen Spielers, um Ballberührungen, (Fehl-)Pässe und Prozentsätze gewonnener Zweikämpfe – also das, was Fans frei Haus geliefert bekommen. „Ich sitze ebenso lange am PC, wie ich am Platz stehe“, verriet etwa ÖFB-U21-Fitness­trainer Stefan Arvay zu Beginn des Jahres in unserem Magazin (SPORTaktiv 1/2021) über Daten im Profisport. Mit speziellen Shirts ließe sich zum Beispiel im Training aufzeichnen, welcher Spieler wann wie viele Sprints mit welcher Herzfrequenz absolviert habe. „Der gläserne Spieler, keiner kann sich im Mannschaftsgefüge verstecken“, hielt SPORTaktiv-Chefredakteur Klaus Molidor in dem Artikel fest. Andererseits motiviere die Datenauswertung die Spieler auch, in jedem Training ihre Werte zu verbessern.

Szenenwechsel: Im Alltag von Freizeit­sportlern und gesundheitsorientierten „Normalsterblichen“ ist das Datensammeln ebenfalls angekommen. Die Möglichkeiten, die aktuelle Sportuhren und Fitnessbänder bieten, sind jedenfalls erstaunlich und gehen weit über Herzfrequenzkurven und Trainingskilometer hinaus. Mit einer einfachen Uhr lässt sich die Alltagsaktivität lückenlos tracken. Es geht um Stress- und Energielevel, Regenerationszeiten und den Regenerationszustand, die Schlafqualität und vieles mehr. Wer morgens gerädert aufwacht, kann etwa auf der Uhr oder in der App nachprüfen, woran es in der Nacht gemangelt hat.

Das alles kommt anscheinend auch gut an: 400 Millionen Wearables, also Geräte, die Sport- und Gesundheitsdaten auswerten, wurden im Jahr 2020 weltweit verkauft, im Jahr davor waren es noch 345 Millionen, berichtete im Frühling der ORF. Corona hat anscheinend nochmals einen verstärkten Run auf die Wearables ausgelöst.

Wie funktioniert das technisch? GPS-Tracking, Bewegungssensoren sowie die optische Pulsmessung am Handgelenk spielen bei aktuellen Sportuhren zusammen. Vor allem die Pulsbestimmung am Handgelenk, die seit rund sechs Jahren möglich ist, hat zum Fortschritt beigetragen. Früher wurden Herzfrequenzdaten üblicherweise nur während des Sports bestimmt. Heute sind 24-Stunden-Messungen bei den Uhren voreingestellt. Wer den 24-Stunden-­Wächter nicht will, kann die Funktion für den Alltag natürlich ausschalten.

Doch damit entgeht einem möglicherweise einiger spannender Erkenntnisgewinn. Um die Fülle der Möglichkeiten auszuloten und aufzuzeigen, haben wir mit zwei aktuellen Sportuhren-Modellen von Polar und Suunto rund zwei Monate lang Daten gesammelt, Tag und Nacht. Und wir haben zwei Expertenmeinungen zum Trend zum Datensammeln im Hobbysport und Alltag eingeholt – und zwei interessante, unterschiedliche Meinungen erhalten.

Geräte können ­helfen, seinen Körper und seine Gefühlswelt kennenzulernen.

Sportpsychologe Alois Kogler

Dass der Mensch Daten sammelt, um sich und seine Umwelt besser zu verstehen, ist nichts Neues. Ganz im Gegenteil, sagt Sportpsychologe Alois Kogler: „Es ist eine urmenschliche Eigenschaft. Die evolutionäre Geschichte des Menschen ist eine Geschichte des Vermessens.“ Und dasselbe gilt auch für den Sport: Das Credo „Höher, Schneller, Weiter“ ist untrennbar mit dem Messen verbunden. „Was messbar ist, misst der Mensch.“ Gleichzeitig wisse er intuitiv, dass man nicht alles messen könne: „Je mehr wir messen, desto größer wird das Feld des Ungemessenen“, sagt Kogler.

Trotzdem: Mittels Datensammeln über Sportuhren und Fitnesstracker würden sich erstaunliche Möglichkeiten ergeben, sieht der Sportpsychologe die Geräte überaus positiv. Wobei man unterscheiden müsse zwischen Daten, die zur Veröffentlichung bestimmt sind, etwa Trainingskilometer und Laufzeiten auf Strava. Und solchen, die man für den eigenen Erkenntnisgewinn sammelt, wie Fitness- und Gesundheitsdaten. „Beides hängt mit menschlichen Grundbedürfnissen zusammen“, sagt Kogler – die Gesundheitsdaten mit dem Bedürfnis nach Kontrolle. Ursache und Wirkung lassen sich kontrollieren und in einen Zusammenhang bringen. Man trainiert gezielt statt ins Blaue hinein. Die Präsentation eigener Leistung nach außen wie auf Strava sei nicht minder menschlich, jedoch anders gelagert: „Dabei geht es um den sozialen Vergleich.“ Der Wunsch, besser sein zu wollen als andere, sei ein wesentlicher Antrieb für Fortschritt und uns Menschen angeboren. Jeder Wettkampf im Sport fußt darauf.

Die Uhren helfen auch bei der Zielsetzung, sagt Alois Kogler – den meisten Hobbysportlern mangle es an einem konkreten Ziel. Eine Sportuhr könne auch Ersatz für einen Trainingspartner sein, wenn keiner vorhanden ist (aber umgekehrt auch zur Vereinsamung führen). Entscheidend ist für den Psychologen, wie man das Gerät nutzt. Daten zu sammeln und seinen Körper damit besser kennenzulernen, sei nur der erste Schritt. „Entscheidender ist, über den Erkenntnisgewinn auch seinen Körper besser kennen, und letztlich spüren zu lernen. Der ideale Leistungszustand für den Freizeitsportler sollte nämlich der ideale Emotionszustand sein: Wann und wie geht es mir am besten?“, sagt Kogler. Diesen zu finden, dafür kann die Sport­uhr ein wertvolles Werkzeug sein. 
Was nicht sein soll: dass die Uhr und die scheinbare Objektivität der Daten das Gefühl für den Körper überlagern. Wenn der Blick auf Daten wichtiger wird als das Spüren, solle man die Uhr einmal eine Zeit lang weglassen und wieder in sich selbst hineinhören. Wer jedoch die Daten dazu nutzt, um sein Körpergefühl besser einschätzen zu können, und dabei im Kopf behält, dass jede Messbarkeit auch Grenzen hat, der könne sich mit dem elektronischen Helfer auf der körperlichen wie der Gefühlsebene weiterentwickeln. „Das wäre der Idealfall und eine echte Persönlichkeitsentwicklung“, bilanziert Kogler.

Eine nette Spielerei mit technischen Grenzen

Schlafmediziner Wolfgang Mallin

Fitnesstracker und Sportuhren sind nicht nur beim Sport fleißige Datensammler, sondern auch dann, wenn wir vermeintlich inaktiv sind, im Schlaf zum Beispiel. Unsere Polar-Testuhr wertet nach einer Nacht aus: 6:57 Stunden Schlaf, davon 3:42 h leicht, 1:09 h tief, 1:42 h REM-Schlaf, 25 Minuten Unterbrechungen. Bewertung: mäßige Schlafmenge, gute Stabilität, gute Regeneration, 77 von 100 Punkten. Ein Blick auf die Suunto-Uhr beim Redaktionskollegen und deren Analyse der letzten Nacht ergibt ähnliche Resultate: 8:28 Stunden Schlaf, Schlafqualität 94 Prozent („gut“), Wachzustand 9 Minuten, Tiefschlaf 2:19 Stunden, Durchschnittspuls 56 Schläge pro Minute.

Wir fragen uns: Sind das technische Spielereien der Uhrenhersteller oder realistische, wertvolle Informationen, die einer medizinischen Überprüfung standhalten? Schlafmediziner Wolfgang Mallin hat dazu eine klare Meinung: „Pulsuh­ren und Tracker am Handgelenk können die Schlafqualität nicht messen, dazu sind sie technisch schlichtweg nicht in der Lage.“ Mallin, Facharzt für Lungenerkrankungen, langjähriger Präsident der österreichischen Gesellschaft der Schlafmedizin und Experte für Schlafapnoe, hatte selbst auch schon Fitnesstracker am Handgelenk. „Eine nette Spielerei.“ Lieber vertraut er den Erkenntnissen eines professionellen Schlaflabors, in dem mittels aufwendiger Verkabelung die Augenbewegungen im Schlaf (EOG, Elektrookulogramm) und per EEG (Elektroenzephalografie) die Hirnströme gemessen werden. Damit können Mediziner exakt die Schlafphasen wie Leicht-, Tief- oder REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) erkennen. „Das kann eine Uhr nicht“, urteilt Mallin. Was die Uhren hingegen können, ist über die sinkende Pulsfrequenz und die Bewegungen der Hand die Einschlafzeit, Schlafdauer und Schlafphasen ungefähr zu schätzen. Im Tiefschlaf ist der Puls 5 bis 8 Prozent niedriger, in der REM-Phase sehr unregelmäßig, weil Hirn und autonomes Nervensystem sehr aktiv sind. 

Die Sportuhrenanalyse kann im Einzelfall ganz gut hinkommen, wie unsere Erfahrungen zeigen, aber natürlich auch sehr ungenau ausfallen. „Grob gesagt könnte die Uhr urteilen, dass ich wach bin, weil sich die Hand bewegt und der Puls hoch ist. In Wirklichkeit schlafe ich, habe einen Albtraum und bewege die Arme.“ Oder in unserem Test: Fußball-EM, Abendspiel, die Uhr sagt „eingeschlafen“, dabei sitzen wir nur seit 75 Minuten regungslos am Sofa und der Puls ist beim 0:0 ganz unten. Mallin kennt auch Fälle, wo Tracker, Uhren und vor allem das grüne Licht zur optischen Messung des Pulses die Schlafqualität negativ beeinflussen. Da gibt es nur einen Tipp des Mediziners: „Runter damit.“ 

Unser Fazit: Die Sportuhren und Fit-Tracker können nicht zaubern und die Schlafphasen nicht medizinisch genau bestimmen. Sie liefern aber erste Anhaltspunkte und wecken zumindest das Interesse, das eigene Schlafverhalten im Auge zu behalten oder sich näher damit zu beschäftigen.

Selbsterfahrung: Das Rätsel von 3:21 Uhr
Testgerät ist eine aktuelle POLAR Vantage M2, eine Multisportuhr der mittleren Preiskategorie (UVP € 279,90), die uns Polar zum Test zur Verfügung gestellt hat. Zwei Monate lang bin ich zum Datensammler geworden, habe fleißig mit der „Polar Flow App“ synchronisiert, Werte, Grafiken und Farbbalken studiert. Menüpunkt eins in der App ist die Alltagsaktivität. Ausschnitt aus der Langzeitauswertung: Ich habe im Juni durchschnittlich 14.814 Schritte oder 10,5 Kilometer täglich zurückgelegt. 3309 verbrauchte Kilokalorien pro Tag sind mehr als angenommen. Die Kehrseite: Offenbar schaufle ich auch mehr Energie in mich hinein als gedacht, sonst würde nicht seit Jahren der Hosenbund tendenziell enger werden.

Menüpunkt zwei zeigt die Trainingsauswertung. Auch bei langen Einheiten im (gefühlt) langsamen Tempo liegt meine Durchschnittsherzfrequenz dennoch kaum unter 140 Schlägen. Uff, das ist zu viel. Es besteht also Luft nach oben. Dass ich zu unregelmäßig trainiere, weiß ich, bestätigt mir aber auch die Uhr: Zu oft verstreicht der Zeitraum, der den idealen nächsten Trainingszeitpunkt markiert, ungenützt, was das schlechte ­Gewissen nährt. 

Wir Jäger und Sammler


Ein Blick auf den Schlaf: letzte Nacht „gute Schlafmenge, gute Stabilität, gute Regeneration“ – 94 von 100 Punkten. Endlich! Nach den heißen Nächten im Juni eine Wohltat. Nach unruhigen Nächten bescheinigte die Uhr auch öfters eine schlechte „Nightly Recharge“: Dieser Erholungswert ergibt sich bei Polar aus der Kombination von Schlafauswertung und dem ebenfalls nachts gemessenen bzw. errechneten Status des autonomen Nervensystems („ANS-Status“). Zwei Bier am Abend (Fußball-EM): Die Durchschnitts-Herzfrequenz ist gleich höher. 

Wer will, kann mit der Polar-Uhr in noch deutlich tiefere Datensphären vordringen: Etwa seine Herzfrequenz-, Herzfrequenz-Variabilität und Atemfrequenz, Nacht für Nacht und Minute für Minute nachvollziehen. Um 3:21 Uhr der letzten Nacht zeigt sich ein äußerst markantes Ausschlagen aller drei Kurven. Ein Albtraum? Ein Messfehler? Trotz der gut gemeinten Erklärungen in der App ist für mich der Punkt erreicht, wo mein Erkenntnisgewinn endet. Man könnte auch sagen: wo die Uhr endgültig gescheiter ist als ich.

Alois Kogler
Dr. Alois Kogler

Sportpsychologe in Graz, betreut viele Spitzen- und Freizeitsportler.

Web: www.teamspirit.at

Wolfgang Mallin
Dr. Wolfgang Mallin

pensionierter Lungenfacharzt, ehemaliger Präsident der österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin.

Web: www.schlafmedizin.at