Tischtennis? Kann ja jeder! Wer das glaubt, sollte sich auf ein Match gegen Österreichs Nummer 1 Daniel Habesohn einlassen. Dann erfährt man, wie physikalische Grenzen versetzt werden und Kopf und Bälle rotieren können.

Markus Geisler

Netz. Out. Netz. Netz. Out. „Dein nächster Ball landet wieder im Netz“, ruft mir Daniel Habesohn mit einem verschmitzten Lächeln zu. Na warte, denke ich mir, jetzt schieße ich ihn zu Fleiß ins Out. Und dresche die Kugel kläglich in die Maschen. Ein Tischtennismatch gegen den derzeit besten Spieler Österreichs ist nicht nur das erwartet chancenlose Unterfangen, sondern auch eine beeindruckende Lektion darin, wie komplex diese Sportart wirklich ist. Mit welchem Schnitt kommt der Ball auf mich zu? Wie halte ich meinen Schläger, damit die Kugel nicht dauernd meinen Finger malträtiert? Wo genau an der Platte positioniere ich mich, um auf möglichst viele Aktionen des Gegners reagieren zu können? „Das Faszinierende an unserem Sport ist, dass es auf unendlich viele Details ankommt, die große Auswirkungen haben“, sagt Habesohn. Faszinierend, ja. Und nach meinem zehnten Ball ins Nirwana auch ein wenig frustrierend. 

Dabei hatte ich eigentlich vor, es nach meiner Box-Challenge in der vergangenen Ausgabe diesmal etwas ruhiger angehen zu lassen. Schließlich stehe ich seit meiner Kindheit immer wieder mal an der Platte und schupfe die Zelluloid-Kugel über das Netz. „Zelluloid war einmal, mittlerweile sind die Bälle komplett aus Plastik“, korrigiert mich Habesohn, während er eine Schere hervorkramt, um seinen frisch aufgetragenen Schlägerbelag auszuschneiden. Spätestens jeden dritten Tag wechselt er die Oberfläche, um wieder den besten Drive in seinen Schlägen zu haben. Wobei das Material ohnehin eine ganz entscheidende Rolle spielt. „Du wirst sehen, mit einem Profischläger sind deine ersten Bälle alle zu lang“, prophezeit Habesohn. Und in der Tat fühlt es sich zu Beginn so an, als würden wir mit einem Flummi spielen, aber der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewöhnungstier.
 

Mit Daniel Habesohn habe ich mir natürlich auch gleich den gefährlichsten Schläger-Typen des Landes an die Platte geholt. Europameister mit der Mannschaft, zweimal und amtierender Europameister im Doppel mit Robert Gardos, dreifacher und amtierender Staatsmeister im Einzel, um nur die wichtigsten Titel zu nennen. „Ich spiele derzeit das beste Jahr meines Lebens“, sagt der 32-Jährige, der in der deutschen Bundesliga beim Post SV Mühlhausen unter Vertrag steht. Und im Einzelranking der stärksten Liga Europas auf Platz drei geführt wird. „Mit meinem Wechsel nach Deutschland bin ich noch einmal gereift, weil du dort permanent auf allerhöchstem Niveau gefordert wirst“, sagt der zweifache Familienvater, der ob seiner Klubverpflichtungen und Turnierteilnahmen ein prall gefülltes Miles-­and-More-Konto hat.

Heute ist ein Trainingstag in seiner Homebase im Sportzentrum Stockerau angesetzt, wo um neun Uhr in der Früh schon vier der sechs Tische besetzt sind. Das Aufwärmprogramm besteht aus Dehn- und Stabilisationsübungen, ehe ein Koordinations-Parcours aufgebaut wird. Sprünge über Hindernisse mit verschiedenen Höhen, Trippelschritte nach rechts und links und zwischendurch Tischtennisbälle fangen, die unangekündigt hineingeworfen werden. „Dadurch lernt man, sich auf viele Dinge gleichzeitig zu konzentrieren und trotzdem seine Übungen exakt auszuführen“, erklärt Daniel und schlägt vor, so langsam mal ein paar Bälle zu spielen. 

Wobei langsam ein sehr dehnbarer Begriff ist. Die ersten Bälle kommen mit wenig Schnitt auf meine Vorhand und trotzdem bringe ich kaum einen Ball retour. „Schlägerwinkel verkleinern, mehr durchziehen“, korrigiert mich Habesohn und siehe da: Ist das System erst einmal eingestellt, kommen sogar ein paar Bälle auf die Platte zurück. Was allerdings in erster Linie daran liegt, dass Daniel jeden Ball auf die exakt gleiche Stelle spielt, sodass unsereiner mechanisch immer den gleichen Bewegungsablauf üben kann. Was sich bei zunehmendem Speed fast so anfühlt, als wäre man wirklich Teil eines echten Tischtennismatches.

Dass dem nicht so ist, wird spätestens klar, als Daniel anregt, jetzt ein paar Angaben zu servieren. Netz. Out. Netz. „Na gut“, zeigt mein Gegenüber Mitleid. „Ich spiele den Ball jetzt so, dass, wenn du mit der Vorhand auf die linke Seite zielst, der Ball auf der rechten ankommt. “Während ich nach physikalischen Erklärungen fahnde, kommt es tatsächlich genau so, wie vom Profi prophezeit. Was bei mir zu dem merkwürdigen Gefühl führt, überhaupt keine Kontrolle darüber zu haben, wohin es die Kugel verschlägt, nachdem ich sie berührt habe. Ist Tischtennis deswegen ein Rückschlagsport, weil sich für den Ungeübten ein Rückschlag an den nächsten reiht?

„Das meine ich mit komplex“, durchbricht Habesohn meine Gedanken. „Du musst erkennen, wie dein Gegner den Ball spielt und selbst eine Gegenstrategie entwickeln. Das Ganze bei irrsinnig hohem Tempo und, je nach Halle, auch immer unterschiedlichen Bedingungen.“ Beim Lesen des Balles spielt übrigens auch das Gehör eine Rolle, weil die Intensität des „Plocks“ Auskunft darüber gibt, wie viel Effet und dementsprechende Umdrehungen der Ball mitbringt. Ein Umstand, der bei TV-Übertragungen nur schwer vermittelt werden kann, weswegen es derzeit Überlegungen gibt, mit einem zweifärbigen Ball zu spielen, um die Rotation für den Zuschauer sichtbar zu machen.

Ich gebe zu: Das hätte mir bei dieser Challenge auch nichts geholfen. Immerhin verlasse ich die Platte mit dem Gefühl, bei der nächsten Partie gegen meinen bis dahin überlegenen Schwiegervater mit einem Vorteil rechnen zu können. Doch da bremst mich Habesohn ein. „Mit einem handelsüblichen Schläger wirst du den Schnitt, den wir jetzt gelernt haben, nicht anbringen können.“ Seine nächste Challenge ist übrigens ein ganz anderes Kaliber. Denn ab dem 21. April werden in Budapest die Weltmeisterschaften ausgetragen. „Im Einzel ist mein Ziel, unter die Top 16 zu kommen, dann kommt es auch ein wenig auf das Glück bei der Auslosung an.“ Im Doppel mit Robert Gardos sind die Ambitionen des Weltranglisten-35. sogar noch etwas höher, schließlich ist das ­Gespann aktueller Europameister. Aber Tischtennis ist unberechenbar, das macht Prognosen schwierig. Wie ich am eigenen Leib erfahren habe.

Daniel Habesohn
Daniel Habesohn

Als Sohn der Tischtennisspielerin Sonita Habesohn ist der heute 32-Jährige mit Schläger und Zelluloid-Kugel aufgewachsen.

Der dreifache Staatsmeister wurde mit dem SVS Niederösterreich Champions-­League-Sieger und gewann mit der SG Weinviertel den ETTU-­Cup, ehe er 2016 in die deutsche Bundesliga zur SV Post Mühlhausen wechselte. Mit seinem Partner Robert Gardos wurde der 35. der Weltrangliste zweimal Europameister, im Einzel feierte er 2014 in Ungarn einen ­World-Tour-Sieg. „Mein großes Ziel sind die Olympischen Spiele 2020 in Tokio“, sagt der Mannschafts-­Europameister von 2015.