19 Klettersteige gibt es auf der steirischen Seite des Dachsteins. Erbaut hat sie allesamt der Ramsauer Bergführer Hans Prugger. Wie das vor sich geht, wollten wir von dem „Mr. Klettersteig" wissen. Und er hat uns gleich noch einiges mehr erzählt ...
Das erste Mal stand er mit 13 ganz oben. Seither hat ihn der Dachstein nicht mehr losgelassen. Wie oft er schon am Gipfel war, hat Hans Prugger nicht dokumentiert. Die Spuren, die er am Berg hinterlassen hat, sind aber deutlich sichtbar. 19 Klettersteige in allen Schwierigkeitsgraden zieren die Südseite des Kalksteinmassivs – allesamt erbaut vom 52-jährigen Ramsauer.
Sieben Wochen hatte er 1999 für das Installieren der ersten Route durch die Dachstein-Südwand gebraucht. „Es war ein Versuchsprojekt", erinnert er sich. Der „Johann"-Steig gilt heute als Klassiker: 540 Höhenmeter, kniffliger Einstieg, als Schwierigkeitsgrad „E" (sehr schwierig) kategorisiert, führt er bis auf 2.740 Meter zur Seetalerhütte.
ZUGÄNGE UND ABSTIEGE
Nach und nach wurden seither von Prugger zusätzliche Touren angelegt. Ein Prozedere, das sich über mehrere Monate zieht. Zunächst wird die Wand ausgesucht, dann eine machbare Route festgelegt. „Es müssen taugliche Zugänge und Abstiegsvarianten gefunden werden, damit man nicht am Gipfel endet und dann womöglich nicht mehr zurück hinunter kommt", erklärt Prugger. Das ausgesuchte Areal wird über den Winter in Sachen Schnee- und Eisbelastungen beobachtet.
Im Frühjahr beginnt die Feinplanung direkt am Fels. Die Arbeitsrichtung folgt dabei der Schwerkraft: von oben nach unten. Die Inspektion des Gesteins geschieht mittels Abseilen. „Weil die Steige abseits klassischer Kletterrouten verlaufen, ist auch der Fels dort nicht immer der beste", erklärt Prugger. Da ist beim Ausmessen Vorsicht geboten. Steht die Route entgültig fest, wird das dafür benötigte Material an- und herbeigeschafft. Mittels Hubschrauber werden entlang der gesamten Route Depots mit Ankerpolzen, Seilen, Klebstoff, Trittklammern usw. angelegt. Dabei muss es manchmal schnell gehen. Bei der „Anna", dem Nachbarklettersteig des „Johann", überraschte ein Kälteeinbruch im Oktober bei der Arbeit. „Ich musste mich beeilen, alles winterfest zu lagern, während der Fels unter mir zufror."
LIFTSEIL-RECYCLING
Die Arbeiten im Frühjahr gehen an einem Fixseil weiter. An ihm steigt Prugger immer wieder in die Route ein, auch Geräte werden daran abgeseilt, unter anderem eine Bohrmaschine und ein Aggregat zur Stromversorgung. Mindestens zwanzig Zentimeter werden die Tritt- und Ankerpolzen im Fels versenkt und dort – fixiert – früher mit einem Spezialzement, heute mit einem Zweikomponentenkleber. „Das hält bis zu zehn Tonnen aus", beruhigt Prugger.
Verwendet wird eigens geschmiedeter Baustahl, auf dem dann die Seile eingehängt werden. „Früher, beispielsweise beim ‚Johann', haben wir alte Seile von Schleppliften verwendet", sagt der routinierte Bergfex. Das Seil war mit 19 Millimetern Durchmesser entsprechend dick, schwer und steif. „Aber zum Festhalten ist es besser." Mittlerweile gibt es fast keine Schlepplifte mehr, damit ist auch die Recyclingseil-Quelle vertrocknet. Daher werden heute eigene Klettersteigseile verbaut. Für kurze Sicherungspassagen kommt dabei ein zwölf Millimeter dünnes Seil zum Einsatz, für die Kletterpassagen meist eines mit 16 Millimetern.
Dem Gewicht der Bergsteiger hält es locker stand – der Kraft eines Blitzes dagegen nicht zwingend. Im Fall eines Einschlags wird die Energie abgeleitet und kann am Ende das Seil samt Bolzen und sogar Teilen des Felsens geradezu heraussprengen. Keine erbauliche Vorstellung, in so einem Augenblick in der Wand zu hängen ... Und das Bewusstsein für derartige alpine Gefahren vermisst Prugger zeitweise: „Die meisten sind zwar topausgerüstet, das Risiko bezüglich Länge, hochalpiner Umgebung und aktuellen Witterungsbedingungen wird aber häufig nicht berücksichtigt", wundert sich der Bergführer und ärgert sich über eine andere populäre Unfallquelle: Selbstüberschätzung.
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DER NEUE „IRG"
Um den Steig selbst möglichst sicher zu halten, sind jährlich Sanierungarbeiten notwendig. Jedes Frühjahr, an schneereichen Stellen erst im Sommer, wird der Weg von losem Gestein gesäubert, Trittstellen werden kontrolliert und nachgebessert. „Aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es im alpinen Gelände nicht", warnt Prugger, der selbst an bis zu 250 Tagen pro Jahr am Berg unterwegs ist. „Ich kenne in den Aufstiegsrouten jeden Stein am Dachstein", scherzt er.
Erst einmal war Pruggers Arbeit umsonst. Zumindest kurzfristig. Die nach dem Erstbesteiger der Südwand, Georg „Irg" Steiner, benannte Route auf dem Koppenkarstein wurde 2004 von den steirischen Behörden genehmigt und von Prugger angelegt. Zwei Jahre später wurde aber mehr oder minder zufällig festgestellt, dass sich der Klettersteig gar nicht auf steirischer Seite, sondern auf oberösterreichischem Hoheitsgebiet befindet – noch dazu in einem Natura-2000-Schutzgebiet. Das Land Oberösterreich forderte daher den Abriss des Steigs. Die beiden Länder einigten sich schließlich auf eine Verlegung. Prugger rückte wieder aus und binnen zwei Monaten war die Transplantation auf steirischen Fels vollzogen. Der „Irg" ist jetzt zwar etwas länger, aber noch immer ungefähr im gleichen Schwierigkeitsgrad (C/D). 15.000 Euro kostete die kuriose Operation ...
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