Bergsport boomt. Traurige Begleiterscheinung sind vermeidbare Unfälle, die oftmals der Selbstüberschätzung geschuldet sind. Wie fit man für alpine Wanderungen sein sollte, was man Kindern zutrauen kann und was sich in ungewohnten Höhen körperlich ändert – die Notfallmedizinerin der Naturfreunde hat es uns erklärt.

Christoph Lamprecht

Der Berg als sportliches Betätigungsfeld erlebt also, wie hier schon oft besprochen, eine nie dagewesene Beliebtheit. Während die einen Herausforderung und Abenteuer suchen, sich dafür auch gewissenhaft vorbereiten, nutzen andere das „Sportgerät Berg“, um beim Wandern ihre Fitness zu steigern und die Natur zu genießen. Berggehen ist wieder cool.

Weniger cool ist: Obwohl der Großteil der Bergsportler sich der Anforderungen und Risiken im alpinen Gelände durchaus bewusst ist, kommt es in den österreichischen Bergen in jeder Saison zu vielen, teils tragischen Unfällen. Fast paradox: Ausgerechnet die Wanderer führen diese Statistik sowohl insgesamt als auch bei den Todesfällen an – als Beispiel: Im Sommer 2014 kamen in Österreich 66 Wanderer ums Leben, insgesamt gab es 139 tödlich Verunfallte. Hinter Abstürzen (44 %) belegt bereits Herz-Kreislauf-Versagen mit 41 % Platz 2 der häufigsten alpinen Todesursachen. Und die Gründe für viele Unglücksfälle sind Selbstüberschätzung und Leichtsinn!

Dass Freiluft-Aktivitäten auch verhältnismäßig unfitten Personen einen gesundheitlichen Nutzen bringen, gilt als erwiesen. Andererseits gilt dabei aber auch, es nicht zu übertreiben, da Parameter wie Höhe, Luftdruck und Sauerstoffgehalt Untrainierte auch ganz schnell ans Ende ihrer Belastbarkeit führen können. Dr. Monika Fousek, Notärztin in Wien und selbst begeistere Bergsportlerin, führt aus: „Die richtige Vorbereitung auf den Bergsport ist gerade für Einsteiger nahezu überlebenswichtig. Dazu gehören natürlich eine sorgfältige Tourenplanung und die entsprechende Ausrüstung. Aber was viele nicht beachten: Ein solides Ausdauertraining, am besten längerfristig oder ganzjährig, ist als Sicherheitsfaktor einfach unerlässlich.“

KEIN SPAZIERGANG
Wer eine Wanderung als „längeren Spaziergang“ abtut, und die auftretenden Belastungen unterschätzt, läuft Gefahr, Teil der Unfallstatistik zu werden. Noch schlimmer: Ist man nicht in Form, riskiert man neben gesundheitlichen Schäden, dass auch andere in Gefahr gebracht werden. „Im Gebirge sind die Bedingungen einfach anders als im urbanen Raum. Das Wetter kann umschlagen, Erschöpfung eintreten und so weiter“, sagt Fousek, „und wenn plötzlich etwas nicht wie geplant läuft, kann der Weg zur nächsten Unterkunft und damit zur dringend notwendigen Hilfe weit sein.“

Als absolute Grundregeln für ein sicheres Bergerlebnis zählt die Notfallmedizinerin auf: „Niemals krank auf Tour gehen; immer genügend Trink- und Essvorräte mitführen, um der Erschöpfung vorzubeugen; eine gewissenhafte Routenplanung; Rücksicht auf die körperliche Verfassung aller Teilnehmenden; und vor allem: der Mut zur Umkehr, sollten sich die Verhältnisse ungeplant verschlechtern.“ So dramatisch sich die möglichen Gefahrenquellen auch anhören, so gilt es nicht Angst, sondern Bewusstsein für kritische Situationen zu schaffen. Prinzipiell kann man bis ins hohe Alter Gipfel stürmen, allerdings sind neben dem Trainingszustand auch Begleiterkrankungen sowie sportliche Fertigkeiten ein wichtiges Thema.

Die Frage, inwieweit man Kindern zutrauen kann, die Anforderungen einer Bergtour zu meistern, beantwortet Dr. Fousek so: „Kinder sind keine Mini-Erwachsenen! Man kann sicher auch schon Säuglinge in die Berge mitnehmen, muss sich dabei aber fragen, ob das für Kinder und Eltern auch das gewünschte Erlebnis ist. Gerade für die Kleinsten ist die spielerische Erlebniskomponente besonders wichtig.“ Für Wanderausflüge mit dem Nachwuchs empfiehlt sie kurze Etappen, viele Pausen und statt dem Gipfel lieber einfache Ziele zu wählen. „Aus medizinischer Sicht ist jedenfalls Fakt: Kleinkinder können leichter Unterkühlungen und lokale Erfrierungen erleiden. Außerdem sollten sie sich nicht ohne die notwendige Anpassung längere Zeit in Höhen über 2.500 m aufhalten“, rät die Ärztin.

Auch wenn Ausdauer und körperliche Kraft im Schulalter kontinuierlich steigen, gilt es auch bei größeren Kindern die Koordinationsfähigkeiten zu beachten. Bis zum fünfzehnten Lebensjahr sollten die Gehzeit jedenfalls nicht mehr als sechs bis sieben Stunden betragen. Wichtigster Leitspruch der Expertin: „Kinder gehen nicht mit ihren Eltern, sondern Eltern mit ihren Kindern.“

HÖHENANPASSUNG
Kommen wir zum Thema Höhe. Zuerst ein kurzer Ausflug in die Trainingslehre: Höhentraining ist eine wirksame Methode für gut trainierte Sportler, um ihre Leistungsfähigkeit weiter zu steigern. Aufgrund des in größerer Höhe abnehmenden Luftdrucks entsteht bei unangepassten Sportlern ein Sauerstoffmangel (Hypoxie), der den Körper zur Akklimatisation zwingt. Richtig ausgeführt, bringt diese Anpassung eine Leistungssteigerung mit sich.

Sollte man also als Hobbysportler tatsächlich die positiven Effekte des Höhentrainings nutzen wollen, so ist aufgrund der bestehenden Gefahren die Betreuung durch Experten jedenfalls zu empfehlen. Als Grundlagentraining, wie manche Hobbysportler glauben, eignet sich Höhentraining definitiv nicht!

Aber zurück zum Bergsport – und zum Aufstieg in lichte Höhen: Auf mittlere Höhen (1.500 bis 2.500 m) reagiert der Körper mit Sofortanpassung, auf großen Höhen (2.500 bis 5.300 m) allerdings ist bereits eine Akklimatisation erforderlich. Und in extremen Höhen (5.300 bis 8.000 und mehr Meter ist keine vollständige, sondern nur eine kurzzeitige Anpassung der Atmung möglich.

Die Notärztin erklärt: „Bei ungewohntem Aufenthalt in einer Höhe ab 1.500 m erfolgt zuerst eine akute Sofortanpassung: Herz- und Atemfrequenz sowie -tiefe steigen innerhalb von Sekunden, um dem Sauerstoffmangel entgegenzuwirken. Stimulanzien wie Koffein beschleunigen den Vorgang, Schlafmittel und Alkohol verlangsamen diesen. Außerdem wird in dieser Phase vermehrt Harn ausgeschieden, was zu einer Eindickung des Bluts führt.“ Eine plötzliche Exposition auf große Höhe ist für Untrainierte stets akut lebensbedrohlich. „Je langsamer der Aufstieg, desto eher kann sich der Organismus anpassen.“

Für eine dauerhafte Anpassung benötigt der Körper Zeit: Erst nach rund 14 Tagen hat sich die Atmung optimal auf die herrschenden Verhältnisse eingestellt. Nun sind auch wieder Höchstleistungen möglich. Nach zwei bis drei Wochen bilden sich neue rote Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport zuständig sind. Diesen Effekt machen sich eben die Spitzensportler zu eigen, um dann bei Wettkämpfen auf niedriger Seehöhe durch die verbesserte Zufuhr von Sauerstoff leistungsfähiger zu sein.

KAMPF DEM KOLLAPS
Die Gründe, warum am Berg nichts mehr geht, sind vielseitig und individuell verschieden. So können unter anderem niedriger Blutdruck, Flüssigkeitsmangel oder auch ein Sonnenstich zu einem Kreislaufkollaps führen. Sind Vorerkrankungen bekannt, gilt es diese bei der Tourenplanung entsprechend zu bedenken. „Ist man sich im Vorfeld einer größeren Tour trotz aller Vorsicht unsicher,“ sagt die Medizinerin, „ist es in jedem Fall ratsam, ärztlichen Rat einzuholen“.

Damit sich der positive Effekt der körperlichen Anstrengung nicht ins Gegenteil umkehrt, gilt es vor allem die richtige Dosis zu finden. Dr. Fousek meint dazu: „Wenn jemand übergewichtig ist und vielleicht unbemerkt auch noch einen hohen Blutdruck hat, dann ist er beim Bergaufgehen einer ungewohnt heftigen Belastung ausgesetzt. Und das kann im Extremfall zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Andererseits wissen wir auch, dass gerade moderate Wanderungen in der Natur ein perfektes Training für Herz-Kreislauf-Patienten sind.“

Bei allem Spaß sollten auch gut trainierte Sportler, die sich in die Berge wagen, an die Regeln halten, die beim Training unten im Tal gelten: Und das betrifft in diesem Fall die rechtzeitige und ausreichende Zufuhr von „Treibstoff“! Gerade zum Thema Flüssigkeitszufuhr weiß die Expertin: „Manche Leute verlassen sich noch immer auf ihren Durst, um zu bestimmen, wann sie trinken müssen. Dieses Gefühl stimmt aber oft nicht mehr mit dem realen Bedarf überein. Ein guter Rat an die Erwachsenen, die mit Kindern unterwegs sind: „Hört auf eure Kids – sie spüren schneller ihren Durst und fordern die notwendigen Trinkpausen auch ein.“
 

Dr. Monika Fousek / Bild: privat

Die Ärztin
DR. MONIKA FOUSEK ist Notärztin bei der Berufsrettung Wien, Mitglied der Wiener Naturfreunde und ausgebildete Alpin-Lehrwartin.

Kontakt: monika.fousek@wien.gv.at