2020 wird wieder ein Rekordjahr für die österreichische Kinderradmarke Woom. Dabei hätte Corona auch eine Katastrophe bringen können. Die beiden Woom-Gründer Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld über die Expansion in China und den USA, warum das nächste Ziel Mars heißt, das Symbol der Rakete aber falsch ist.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Woom ist eine Erfolgsstory. Wenn jetzt Marcus Ihlenfeld sagt: „Das war das Warm-up vor den Play-offs. Jetzt geht es erst richtig los!“ Was kommt noch?
Marcus Ihlenfeld: Wir haben im Herbst neue Investoren mit frischem Kapital an Bord genommen. Es geht nicht darum, noch steiler zufliegen, in Richtung Gewinnmaximierung. Sondern wir wollen jetzt zum Mars! Also als Pioniere weiter innovatives Terrain erkunden.
Christian Bezdeka: Und wer weiß? Vielleicht wartet hinter dem Mars auch noch was Interessantes.

Wie schafft man ein gesundes Wachstum und wie bremst man sich ein, um nicht „gierig und unvernünftig“ zu handeln, wie es der neue Co-Geschäftsführer Guido Dohm formuliert?
Ihlenfeld: Wir laufen seit sieben Jahren immer im oberen Drehlzahlbereich, da muss man sensibel sein und aufpassen. Eine Firma kann auch am zu starken Wachstum leiden. Ja, manchmal schmerzt es auch bei uns. Wir nehmen laufend so viele neue Mitarbeiter auf, dass wir unser Organigramm mit den Verantwortlichkeiten und Prozessen ständig ändern müssen. Wenn wir ein neues Organigramm hochladen, ist es in dem Moment schon veraltet. Man kann am Wachstum auch zugrunde gehen. Die Frage, wo gehen wir in die Tiefe und wo bleiben wir an der Oberfläche, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Nur im D-A-CH-Raum zu sein, würde die Komplexität unseres Jobs sicher um 50 Prozent reduzieren.

Inwiefern hat euch Corona getroffen und wie beeinflusst es die Planung?
Ihlenfeld: Wir hatten drei Szenarios vorbereitet. Beim Worst Case hätten wir zugesperrt. Ich war schon auf der Bank und habe meiner Frau zu Hause gesagt, sie soll auch mit dem Allerschlimmsten rechnen. Wir sind von so vielen Zulieferern und Komponenten in Asien abhängig, wenn ein Teil fehlt, kannst du kein Rad zusammenbauen. Nach kurzer Zeit haben wir aber bemerkt, dass gar nichts wegbricht. Im Gegenteil. Es wurde das nächste Rekordjahr. Die Nachfrage ist explodiert, das arbeiten wir jetzt immer noch ab. Corona hat ja auch positive Seiten. Die Leute haben ihre Kinder zum Radeln rausgeschickt. Und wir verbringen mit Homeoffice und Co. jetzt fünfmal so viel Zeit mit unseren Kindern wie unsere Väter mit uns. Und klar, wir profitieren von den Megatrends Natur, Gesundheit, Nachhaltigkeit. Wir sind voll durchgesegelt.

Die Wertbeständigkeit der Räder ist besonders bemerkenswert.
Ihlenfeld: Das Modell Woom 2 hat 250 Euro im Jahr 2013 gekostet. Da mussten wir uns noch rechtfertigen, warum ein qualitativ hochwertiges Kinderrad eben mehr kostet. Jetzt sehe ich diese Räder gebraucht um 300 Euro! Die kenne ich gut, die habe ich ja noch selber in der Garage zusammengebaut. Da schreie ich fast: Kauft das nicht! Es gibt jetzt bei uns wesentlich bessere Modelle! Aber so gesehen sind wir mit der Entwicklung der Gesellschaft zufrieden. 

Wie lange wartet man aktuell auf ein neues Woom-Bike?
Ihlenfeld: Es wird besser, aber leider hatten wir zwei bis drei Monate Wartezeit, das ist für uns und unsere Kunden inakzeptabel. Wir mögen unsere Kunden, wir mögen Menschen (lacht). Deshalb holen wir auch Teile der Produktion bzw. Endmontage nach Europa zurück und bauen den Standort und die Kapazitäten in Polen massiv aus. 

Die Ex-Garagenfirma will jetzt die beliebteste Kinderradmarke der Welt werden. Wann hat man das erreicht? 
Ihlenfeld: Wir definieren uns bewusst nicht über Stückzahlen, sondern über Kundenfeedback. Stückzahlen kann man erreichen, Liebe ist undefinierbar groß. Das Ziel ist wie das Nordlicht, an dem man sich orientiert. Das perfekte Fahrrad wird es nie geben, aber die Ambition, es zu machen. Wir wollen die beliebteste Marke sein, nicht die mit den meisten Stückzahlen.

Wer von euch hätte das damals in der Garage gedacht?
Bezdeka:
Wir haben damals einen Businessplan geschrieben und den haben wir uns selbst nicht geglaubt (lacht). Und wer weiß, wo uns das noch hinbringt?
Ihlenfeld: In Wirklichkeit wächst alles langsam, deshalb stimmt das Bild mit dem Aufstieg und der Rakete gar nicht. Es waren Treppen und Stufen aus dem Basislager bis auf den Mount Everest. Alle haben gesagt, ihr seid Idioten, das ist das Bescheuertste, was wir je gehört haben. 

Wie präsent sind die Erinnerungen an diese Anfangstage?
Ihlenfeld: Wir hatten die Rahmen in der Garage. Februar, null Grad. Wir stehen mit Schals da und bekleben die Rahmen, immer fünf auf einmal. Du drehst dich um und schon fallen die Sticker wieder vom Rad, weil es so kalt war. So’n Scheiß.
Bezdeka: Manchmal sind wir geistig noch in der Garage und sind überrascht, wie professionell unsere Teams und Experten arbeiten. Was wir in einem Monat machen, machen andere in einem Jahr. 
Ihlenfeld: Manchmal fühlt es sich an, als wäre unser Start erst gestern gewesen, und manchmal wie in einem früheren Leben.

Aus der Garage in die ganze Welt. Wie wird das internationale Geschäft ausgerichtet?
Ihlenfeld: Der Ausbau in den USA und in Europa ist der nächste Schritt. In Österreich haben wir einen guten Bekanntheitsgrad. Da kommt man an uns nicht vorbei, wenn man seinen Kindern Qualität kaufen will. Das steht uns in Deutschland und in der Schweiz noch bevor. Die Onlineforen und unser guter Job im Onlinebereich helfen uns aber enorm.

Manchmal fühlt es sich an, als wäre unser Start erst gestern gewesen. Und manchmal wie in einem früheren Leben.

Marcus Ihlenfeld

Viele wissen gar nicht, dass Woom längst in den USA ist.
Ihlenfeld: In den USA sind wir schon im fünften Jahr und mit 35 Mitarbeitern gut aufgestellt. Wir sitzen in Austin, Texas, und sind – da lehne ich mich ganz komfortabel aus dem Fenster – im Bereich Premium-Kinderräder ziemlich sicher schon Marktführer. Ein Drittel unserer Räder verkaufen wir in den USA. 
Bezdeka: Wobei wir da auf eine andere Marktsituation stoßen. Da gab es doch tatsächlich die offizielle Empfehlung des Radverbandes, Kinder erst mit sechs Jahren aufs Rad zu setzen, davor sei es zu gefährlich. Viele Kinder lernen gar nicht Rad fahren. Deren Motorik ist nicht auf dem Stand von europäischen Kindern, dafür spielen sie früh Baseball und Basketball.
Ihlenfeld: Amerikaner gehen zum Supermarkt und kaufen um 60 Dollar irgendeinen Plastikbomber, als Rad völliger Schrott. Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten.

Wie verlief die Startphase heuer in China?
Bezdeka: Wir sind Freunde davon, schnell Prototypen zu bauen und schnell Erfahrungen zu machen. In China sind wir seit Februar 2020 am Markt. China funktioniert ganz anders, neue Plattformen, viel Social Media, andere Gewichtung von Produkten. Je stärker wir in den asiatischen Markt vordringen, umso stärker werden wir auf die unterschiedlichen ergonomischen Voraussetzungen wie Körperproportionen und Kopfformen eingehen. Mit steigendem Volumen werden wir mehr Anpassungen in den Details brauchen. Da wird uns nicht fad.
Ihlenfeld: Bislang läuft das über eine chinesische Marketingagentur. Wir verkaufen erstmal weniger Räder, gehen aber auf Social Media und machen Aware­ness. Dann sollten wir wissen, wie die Marke dort ankommt. 

Wie gestaltet sich die Preispolitik in China?
Bezdeka: Hochwertige Laufräder sind dort schon lange ein Thema, etwa Carbonlaufräder um 1000 Dollar. Aber hochwertige Kinderfahrräder mit Pedalen für jüngere Kinder sind dort unbekannt, da können wir ansetzen.
Ihlenfeld: China ist für uns auch superrisky. Du kannst leicht fünf Millionen Euro versenken, ohne dass irgendwas herauskommt. Deshalb bleiben wir vorsichtig. Im Februar 2020 haben wir begonnen und sehen das als zwölfmonatige Testphase. Die Zeichen sind sehr positiv und ermutigend. Es fahren viele Kinder Laufrad, aber wenige Fahrrad. Wobei: „Wenige“ ist relativ, in Summe sind es natürlich Megazahlen. 

Wir sprechen hier in der Zentrale in Klosterneuburg über USA, China und den Mars. Wie oft habt ihr Zeit, euch zu zwicken? Nur ein Traum?
Bezdeka: Wir sind nicht die Typen, die ihre Erfolge groß feiern.
Ihlenfeld: Das ist ein Schwachpunkt von uns.
Bezdeka: Manchmal wäre es gut, innezuhalten. Aber wir sind Getriebene. 
Ihlenfeld: Ich freue mich über jedes Kind mit einem Woomkleber auf dem Rad. Aber ich kann nicht jeden Tag mit Prosecco ins Büro kommen. Wir denken immer schon an das next Level.

Es heißt, Woom hat 80 Entwicklungen in der Pipeline?
Bezdeka: Mehr als 80. Nicht alles wird auf den Markt kommen. Wir forschen wie wild, da sind ein paar ganz revolutionäre Sachen dabei. 

Wie groß ist der Reiz, auch Räder für Erwachsene zu produzieren?
Bezdeka: Wir haben Top-Ingenieure an der Hand, die wir nur loslassen müssten. Ein richtig geiles Rennrad oder so. Aber es wäre kontraproduktiv. Zu Dingen Nein zu sagen, ist auch Teil des Erfolges. Wir wollen so wenig wie möglich so gut wie möglich machen: Woom wird immer Kinderräder machen.
Ihlenfeld: Wir wissen, was wir tun und können, und wir wissen, was wir nicht tun und nicht können. Aber Bock drauf hätten wir schon (lacht.)

Es wird auch eine digitale Offensive geben?
Bezdeka: Wir können eine sinnvolle digitale Ergänzung zum Rad bieten, da haben wir einen Haufen Ideen, z.B. einen „Riders Club“ oder eine Art Tracking. Wir werden einiges ausprobieren, auch scheitern, aber schnell lernen und weiter­entwickeln. Man darf nicht den ganzen Bus an die Wand fahren, aber die Seitenspiegel dürfen ab und zu streifen. 

Einfachste Frage zum Schluss: Was bedeutet eigentlich der Markenname „Woom“?
Bezdeka: Woom ist das Geräusch, das kleine Kinder machen, wenn etwas schnell ist, z.B. ein Dreijähriger mit einem Matchboxauto. Wooooooooooom. Laut­malerisch für Geschwindigkeit.

Woom
Christian Bezdeka ist gelernter Biomedizintechniker und Industriedesigner, Marcus Ihlenfeld war Marketingmanager, u.a. bei Opel Austria. Weil sie mit den Kinderbikes am Markt nicht zufrieden waren, haben sie 2012 begonnen, für ihre Kinder selbst Räder zu bauen – in einer Garage im 14. Wiener Gemeindebezirk. Zuerst 4, dann 50, dann 2000. Als Marke Woom verkaufte man 2019 weltweit 142.000 Räder. Im Jahr 2020 werden es wahrscheinlich doppelt so viele sein. 

  • Hauptsitz in Klosterneuburg
  • 110 Mitarbeiter in ­Österreich, 35 in den USA.

Web: www.woombikes.at