Spaßmacher, Frequenzbringer – sinnlos oder gar eine Gefahr? Klettersteige mit hohen und höchsten Schwierigkeitsgraden scheiden die Geister. Sie finden aber ihr Publikum.

Christof Domenig
Christof Domenig

Mit einem Griff über Kopf hängt sich Andreas Jentzsch ins fast waagrecht verlaufende Stahlseil ein, zieht sich per Klimmzug hoch und hantelt sich an Seil und Griffklammern den meterlangen Überhang entlang. Der Kraftakt im Kampf gegen die Schwerkraft ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Der Überhang ist bloß die Einstiegspassage des Ferrata Extraplomix auf Gran Canaria, der mit Schwierigkeitsgrad G als schwerster Klettersteig der Welt gilt. 

Axel Jentzsch-Rabl

Andreas Jentzsch und sein Bruder Axel Jentzsch-Rabl haben im Frühling den Extrem-Klettersteig getestet. Die Brüder betreiben das Portal Bergsteigen.com und geben im Alpinverlag die umfangreichsten Klettersteigführer im deutschsprachigen Raum heraus. Andreas ­Jentzschs Kommentar beim Ausstieg: „Da können sich unsere F-Steigerl verstecken."

Tipp: Das Video dazu gibts am Portal www.bergsteigen.com

„Mehr als extrem schwierig“
Die Klettersteig-Bewertungsskala war ursprünglich fünfteilig und „E“ der maximale Schwierigkeitsgrad, der folglich bereits als „extrem schwierig“ umschrieben ist. Mittlerweile gibt es auch in Österreich eine Reihe von F-Klettersteigen – und eben den G-Steig auf Gran Canaria. Eine Zeit lang schien es ein regelrechter Wettlauf zu sein, den extremsten Klettersteig zu bauen. Nach Ansicht von Axel Jentzsch-Rabl hat dieser Run zuletzt etwas nachgelassen. Dennoch: Gebaut werden neue Eisenwege oft spektakulär – und schwierig.
In Österreich gilt der Bürgeralm-Klettersteig bei Aflenz in der Steiermark für viele Kenner als schwierigster Klettersteig. Dank der „Arena-Variante“, mit F, ohne Zwischenrast mit F/G bewertet, gilt der Steig laut einem aktuellen Ranking als drittschwerster Eisenweg der Welt. Gebaut hat ihn ein Team um den Klettersteigbauer Stefan Gatt 2009. Andreas Schenk war schon in die Planung involviert, hält den Klettersteig instand und erklärt: „Die F-Variante kann man ja auch umgehen und sie ist sehr deutlich und warnend beschildert. Viele Leute schauen sich die Passage von der einfacheren Umgehungsstelle aus an, tatsächlich geklettert wird sie aber nur von wenigen.“

Gibt es überhaupt eine Zielgruppe für die Extrem-Klettersteige? Die Frage scheint nicht ganz unberechtigt: Für F- oder G-Passagen muss man sehr gutes klettertechnisches Können mitbringen.
Aber gerade die „echten“ Kletterergehören nicht gerade zu den Fans der Eisenwege. Es gibt auch Stimmen, extraschwere Klettersteige seien vorrangig eine Marketingmaßnahme, um als Region ins Gespräch zu kommen. Die Zielgruppe für die Steige gibt es aber, weiß Jentzsch-Rabl: „Ich hab mich einmal beim Ausstieg eines F-Klettersteigs hingesetzt und mit den Leuten geplaudert. Die Frequenz war erstaunlich. Viele waren auch Sportkletterer, die die Ferrata zum Training nutzten.“ 

Selbsteinschätzung gefragt
Sicher ist: Ohne sehr gutes Kletterkönnen wird es auf den extremen Passagen schnell gefährlich. Ein Sturz ins Klettersteigset ist immer mit hohem Verletzungsrisiko verbunden. Das bestätigt auch Martin Edlinger von den Naturfreunden Österreich. Wirft man zunächst generell einen Blick auf den körperlichen Anspruch auf Klettersteigen, dann zeige sich zunächst ein deutlicher Sprung zwischen Schwierigkeitsgrad C und D: „Bis C ist es überwiegend eine Ausdauer- und Technikfrage – ab D steigt der Anspruch an die Oberkörper- und Armkraft sowie an die Kraftausdauer deutlich“, erklärt Edlinger. Für den Naturfreunde-Experten steht auch fest: „Für F-Passagen muss man sehr gutes Felskletterniveau mitbringen.“ 

Die Schwierigkeit­sgrade am Klettersteig

  • wenig schwierig: A
    Gelände flach bis steil, Voraussetzungen: Trittsicherheit und Schwindelfreiheit empfohlen
     
  • mäßig schwierig: B
    einfach bis mäßig schwierig, Voraussetzungen: bessere Kondition und etwas Kraft und Ausdauer in Armen und Beinen
     
  • schwierig: C
    größtenteils schwierig, anstrengend und kräfteraubend, Voraussetzungen: gute Kondition
     
  • sehr schwierig: D
    sehr anstrengend und kräfteraubend, senkrechtes, oft auch überhängendes Gelände; meist sehr ausgesetzt
     
  • extrem schwierig: E
    äußerst kräfteraubend, Gelände senkrecht bis überhängend; durchwegs ausgesetzt; sehr kleine Tritte oder Reibungskletterei
     
  • mehr als extrem schwierig: F
    Gelände primär überhängend; ausgesetzt; sehr kleine Tritte oder Reibungskletterei
     
  • höchste Schwierigkeit: G
    Gelände oft auf langen Passagen ­überhängend, sehr gutes Sport­kletterkönnen obligatorisch

Der angegebene Schwierigkeitsgrad allein sei aber nur bedingt aussagekräftig, betont Edlinger auch: „Der Gesamtanspruch ist auch davon abhängig, ob es sich um eine einzelne extrem schwere Passage handelt oder ob die Schwierigkeiten über längere Distanzen bestehen“, sagt Edlinger.
Unterschätzen sollte man die schwierigen Klettersteige mit E- oder F-Anspruch aber keinesfalls – egal, ob sie bloß eine schwierige Variante beinhalten oder von oben bis unten gespickt sind mit kniffligen Passagen. Wie die Praxis aber zeigt, passiert so ein Unterschätzen auf diesem Niveau kaum. Wer sich an E und mehr herantraut, kann sich dem Anschein nach gut selbst einschätzen – im Gegensatz zu vielen, die auf einfacheren Klettersteige unterwegs sind: „Die meisten Unfälle passieren in den leichten bis mittleren Schwierigkeitsgraden“, weiß Edlinger, der nicht nur Bergführer ist, sondern als Bergretter auch immer wieder mit Bergungen aus Klettersteigen konfrontiert ist. „Das zeigt auch die Unfallstatistik des Kuriatoriums für Alpine Sicherheit.“ 

Die Gefahrenlage sieht Jentzsch-­Rabl ähnlich: Stimme der angegebene Schwierigkeitsgrad mit dem tatsächlichen Anspruch überein, dann fänden sehr heftige Klettersteige das richtige Publikum. Manchmal werde die Bewertung aber auch unterschätzt. In Griffen (Kärnten) musste beispielsweise die Bergrettung nach der Eröffnung des Klettersteiges so oft ausrücken, dass der Erbauer den Schwierigkeitsgrad durch das Anbringen von zusätzlichen Klammern und Tritten senken musste und einen Notausstieg anlegte.

Was ist Genuss?
Bleibt noch die Frage, ob es einen hohen Schwierigkeitsgrad für Spaß beim Klettersteiggehen eigentlich braucht: „Ab C beginnt es Spaß zu machen. A/B hat eher Wandercharakter und eignet sich zum Lernen und Herantasten“, meint Axel Jentzsch-Rabl. Der insgesamt die Attraktivität von vielen Faktoren, nicht bloß vom Schwierigkeitsgrad beeinflusst sieht. Und: „Über den Sinn von Extremvarianten kann man natürlich diskutieren.“
Auch Martin Edlinger würde die Attraktivität eines Klettersteigs lieber losgelöst vom Schwierigkeitsgrad betrachten: „Für mich haben manche alten Dolomitenklassiker, die nicht allzu schwer sind, eine logische Linienführung verfolgen und oft große Wände durchlaufen, viel mehr Erlebnisfaktor, als ein Sportklettersteig, an dem man sich mit reiner Körperkraft an einem Stahlseil hochzieht. Da fehlt mir der Genussfaktor.“

Andreas Schenk begeht „seinen“ Bürgeralm-Klettersteig inklusive der heftigen Arena-Variante regelmäßig – auch, um den Zustand der Anlage zu prüfen. „Der Abschnitt ist schon eine Besonderheit, die speziellen Mut, Kraft und eine eigene Technik erfodert.“ Die praktische Erfahrung nach rund neun Jahren Bürgeralm-Klettersteig bestätigt jedenfalls  die Gesamteinschätzung all unserer Experten – Schenk: „Es hat zwar insgesamt ein paar wenige Unfälle in unserem Klettersteig gegeben. Aber noch keinen einzigen in der Arena-Variante.“

Tipps zum sicheren Klettersteiggehen
Das rät Naturfreunde-Experte Martin Edlinger
 

Martin Edlinger
  • Mit leichten Klettersteigen beginnen und langsam Richtung höherer Schwierigkeiten steigern
  • Immer mit dem Gefühl von Reserven klettern, um auch unerwartete Schwierigkeiten meistern zu können
  • Klettersteigtouren gut planen und dabei die Gesamttour betrachten: Dazu gehören auch Zustieg und Abstieg