Eine Vitamin-C-Tablette als Schutzschild vor bakteriellen Angriffen, ein Eisenpräparat vor dem Sonntagslauf und sicherheitshalber eine doppelte Ladung Magnesium in Brauseform: Viele Hobbysportler setzen auf sogenannte „Nahrungsergänzungsmittel". Kein schlechter Zug – aber nur, wenn man's braucht. Über Sinn und Unsinn der Nährstoffsupplementierung.
Von Sylvia Neubauer
Unzweifelhaft steht einmal fest: Der im Sport erhöhte Kalorienbedarf geht auch mit einem Mehrbedarf an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen einher. Denn einerseits knabbert die vermehrte Enzymaktivität an deinem Nährstoffkonto, andererseits scheidest du mit dem Schweiß auch Elektrolyte aus. Die dann klarerweise auch wieder ersetzt werden müssen. Und noch eine Ursache gibt es: Die für die Muskelaktivität benötigte Energie wird hauptsächlich aus dem aeroben Stoffwechsel herangezogen – und dabei kommt es zu einer erhöhten Bildung an „freien Radikalen".
Bei diesen freien Radikalen handelt es sich natürlich nicht um eine Gruppe politisch motivierter Extremisten – wobei die „Mentalität" der körpereigenen Radikale schon ein wenig in diese Richtung geht. De facto sind freie Radikale nämlich kleine, aus einer Sauerstoffverbindung aufgebaute Revoluzzer. Aus Sauerstoff bestehend? Zugegeben, das klingt jetzt nicht nach einem Stoff mit spektakulär hohem Gefahrenpotenzial. Der Haken: Im Gegensatz zum „normalen" Sauerstoff enthalten diese „Revoluzzer"-Radikale nur mindestens ein ungepaartes Elektron. Und weil sie sich damit nicht zufriedengeben, entreißen sie anderen Molekülverbindungen einfach deren Elektronen. Damit aber nicht genug: Diese gemopsten Elektronen werden ebenfalls in freie Radikale umgewandelt und so wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die unseren gesamten Organismus in Aufruhr versetzt und schließlich wichtige Stoffwechselfunktionen stört. Gierig nach Elektronen greifen die freien Radikale bei ihrer Diebestour nämlich wichtige Proteine und Zellwände an. Im worst case nagen sie sogar an der Erbsubstanz. Die Folgen: Schäden an den Körperzellen und damit verbunden ein erhöhtes Risiko für Krankheiten.
„ROSTSCHUTZ" FÜR DIE ZELLEN
Glücklicherweise gibt es gut gesinnte Oppositionelle, die diese permanente Schikane nicht so einfach hinnehmen und Protestaktionen in Form von Abwehrmechanismen starten. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Antioxidantien, die die Wirkung der freien Radikale neutralisieren. Zu diesen klassischen „Radikalfängern" gehören beispielsweise Vitamin C, E und Beta-Carotin sowie bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe. Diese Antioxidantien verhindern die Reaktion mit Sauerstoff, sie wirken also einer Oxidation entgegen. Übrigens: Auch das Verrosten von Metallen ist ein oxidativer Prozess. Antioxidantien machen also nichts anderes, als unsere Zellen vor dem „innerlichen Verrosten" zu bewahren.
ZU VIEL DES GUTEN
Aber heißt der daraus abgeleitete Umkehrschluss zwangsläufig: „Maximale Vitaminzufuhr für maximalen Schutz"? Nur bedingt – denn wenn der in Obst und Gemüse natürlicherweise enthaltene Antioxidationstrupp zusätzlich chemische Verstärkung in Pulverform erhält, dann kann es problematisch werden. Anders gesagt: Schaufelst du wahllos hoch dosierte Vitaminpräparate in dich hinein, läufst du Gefahr, dass dein Schutzsystem kippt und ein System-Error droht.
Dazu muss man auch wissen, dass gerade im Sport die Wirkung von freien Radikalen nicht per se schlecht ist. Im Gegenteil. Sie gleicht der einer Impfung. Dr. Oliver Neubauer, Forscher an der Queensland University of Technology mit Expertise in der molekularen Sportphysiologie und Sportimmunologie, erklärt das komplexe Prinzip dahinter: „Freie Radikale sind nur dann ein Problem, wenn sie chronisch und in hohen Konzentrationen gebildet werden. Das ist aber eher in pathophysiologischen Situationen der Fall, also bei der Entwicklung oder Manifestation von degenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel Gefäßerkrankungen."
Anders hingegen sieht es beim sportlichen Workout aus. „Die bei sportlichen Belastungen meist nur kurzfristig gebildeten freien Radikale sind im Prinzip nichts anderes als physiologische Stressoren, die bei regelmäßiger Belastung und entsprechender Regeneration zu Trainingsanpassungen führen", sagt Ernährungswissenschaftler Neubauer. Das entspricht genau genommen auch den Prinzipien der Trainingslehre: Der menschliche Körper bildet bei aerobem Ausdauertraining selbst vermehrt Enzyme und Hormone gegen oxidativen Stress und wird daher durch regelmäßiges aerobes Ausdauertraining deutlich widerstandsfähiger gegen alle möglichen Stressoren und Entzündungen.
Womit wir wieder beim eigentlichen Thema angelangt sind: Die unkontrollierte Zufuhr von antioxidativen Supplemente können dieses körperliche Schutz- und Anpassungsmechanismen lahmlegen! Sprich: Zu viel künstlicher Schutz deaktiviert das Eigenschutzsystem! „Von übernatürlich hohen Dosierungen von Antioxidantiensupplementen ist dringend abzuraten", sagt Neubauer und belegt das mit einem Praxisbeispiel: „Selbst ambitionierte Sportler mit einer Wochennettotrainingszeit von knapp elf Stunden können ihren Bedarf an Antioxidantien und auch anderen Nährstoffen weitgehend über eine vielfältige, ausgewogene und in der Energiebilanz angeglichene Ernährung decken." Freilich immer unter der Voraussetzung, dass du dich bester Gesundheit erfreust und deine Nährstoffspeicher grundsätzlich gut gefüllt sind.
FEHLDOSIERUNGEN
Antioxidanzien sind ein exemplarisches Beispiel dafür, dass es in vielen Fällen kontraproduktiv ist, Nährstoffpräparate in Eigenregie zu schlucken. Das hat neben den genannten Erklärungen auch noch einen anderen Grund: Die große Mikronährstofffamilie ist mitunter etwas „zickig". Konkret bedeutet das: Nährstoffe be- oder verhindern die Resorption anderer – manche arbeiten kooperierend im „Team", andere stellen einander das Haxl. „Die Funktionsweise von Nährstoffen gleicht einem Zahnradeffekt", erklärt Oliver Neubauer, „erst, wenn alle Stoffe in der richtigen Dosierung vorhanden sind, bewegen sich die Räder störungsfrei. Kommt es zu einem Ungleichgewicht – beispielsweise, indem einzelne Nährstoffe durch Substitution im Überangebot vorhanden sind – können die Räder im Nährstoffgetriebe blockieren. Mit entsprechend unvorteilhaften Auswirkungen auf den Körper."
WANN MACHT ES DOCH SINN?
Die Quintessenz lautet: gesunde Ernährung statt Nährstoffpillen! Als Sportskanone solltest du auf einen Speiseplan setzen, der reich an Obst, Gemüse, Nüssen, Vitamin-E-reichen Ölen (z. B. Olivenöl oder Rapsöl) und Vollkornprodukten ist. Allesamt Lebensmittel, die eine Vielzahl an schützenden Substanzen enthalten.
In bestimmten Fällen aber kann aus dem „statt" jedoch ein „und" werden. Denn trotz aller Empfehlungen, den Nährstoffbedarf auf natürliche Weise abzudecken, können Nährstoffsupplemente durchaus Sinn machen. Bei nachgewiesenen Mangelerscheinungen, wie sie beispielsweise
bei einseitigen Diäten, bei Resorptionsstörungen oder nach größeren operativen Eingriffen vorkommen, sowie für Sportler mit hohen Trainingsumfängen ist eine gezielte Nahrungsergänzung durchaus ratsam.
Dr. Robert Fritz, leitender Sport- und Ernährungsmediziner in der „Sportordination" in Wien, empfiehlt in diesem Kontext, dem eigenen Körperempfinden etwas genauer nachzuspüren: „Müdigkeit, Leistungsschwäche oder häufige grippale Infekte können viele Gründe haben – oft sind
es die ersten Anzeichen einer Unterversorgung."
ERST TESTEN, DANN SCHLUCKEN
Der Rat des Experten: Erst testen lassen, dann schlucken! Wenn du den Eindruck hast, dass dein physischer Motor nicht mehr rund läuft, solltest du dem Onkel Doc einen Besuch abstatten: „Durch eine spezielle Blutuntersuchung lässt sich ein Mangel aufdecken und entsprechend korrigieren", sagt Dr. Fritz. „In der richtigen Dosierung und bei der Verwendung von hochwertigen Produkten können Nahrungsergänzungsmittel absolut sinnvoll sein. Aber trotz allem gilt: Vor einer wahllosen Einnahme ohne vorherige medizinische Beratung und Abklärung ist in jedem Fall abzuraten."
DIE EXPERTEN | |
Dr. Oliver Neubauer, aus Wien, ist Ernährungswissenschafter, forscht derzeit an der Queensland University for Technology in Australien; Expertise in der molekularen Sportphysiologie und Sportimmunologie. KONTAKT: per E-Mail: oliver.neubauer@gut.edu.au | |
Dr. Robert Fritz, Sport- und Ernährungsmediziner in der „Sportordination" Wien. KONTAKT: per E-Mail: office@sportordination.com WEB: sportordination.com |
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