Christof Domenig
Christof Domenig

Bike ins Auto und ab in die Berge. Das Mountainbike als Urlaubsthema erfährt gerade einen tiefgreifenden Wandel, dessen Ende noch lange nicht abzusehen ist. Manche sehen angesichts der Klimaproblematik im Mountainbiken sogar schon das „neue Skifahren".


Das Bild aus den Weihnachtsfeiertagen 2015 hat sich eingeprägt: Ein schmales Kunstschneeband, eine Familie, die 15 Meter daneben im Skigewand auf 2.000 Metern Seehöhe auf grünem Almboden sitzt und picknickt. Nicht erst seit dem neuerlich verspäteten Winterstart fragen viele nach einem „Plan B" für den Tourismus in den heimischen Bergen, dessen Zugpferd der Volkssport Skifahren nun einmal nach wie vor ist.

Und mittlerweile mehren sich die Stimmen, die vor allem im Mountainbiken das „Skifahren der Zukunft" erkennen. Es liegt auch auf der Hand: Die Bergbahnen-Infrastruktur ist vorhanden – was also läge näher, als sie übers Jahr noch viel stärker als bisher dazu zu verwenden, um Biker in die Berge zu transportieren? Fakt ist in jedem Fall: Es tut sich was, wenn es ums Mountainbiken im österreichischen Tourismus geht! Touren und Trails werden angelegt, Regionen spezialisieren sich in der schneelosen Zeit auf den Bikesport, es gibt immer mehr maßgeschneiderte Bikehotels und -unterkünfte, in denen verdreckte Mountainbiker sich nicht mehr verschämt „durch den Keller reinschleichen" müssen.
 

Gesichert scheint aber auch: Es wird sich in naher Zukunft noch viel mehr tun als bisher. Das meinen unisono auch die Tourismusexperten, die wir für unseren Bikeguide um ihre Einschätzung der aktuellen und künftigen Lage gebeten haben. „Wir können von einem tiefgreifenden Wandel sprechen, der in Bezug auf das Freizeitverhalten längst eingesetzt hat", meint etwa Paco Wrolich, Radbeauftragter der Kärnten Werbung. Und Wrolich sagt auch: „Was den Mountainbike-Tourismus betrifft, stehen wir erst ganz am Anfang einer Entwicklung. Biken wird weltweit gesehen sicher bedeutender werden als Skifahren. Man braucht sich nur einmal die mögliche Wertschöpfung anschauen: Schneekanonen, Pistengeräte, Speicherteiche, Wasser – all das benötigt der Biker im Zusammenspiel mit der Bergbahn nicht."

Dino Gerns, Betreiber des Saalbacher Hotels Sonnleiten aus der SPORTaktiv-Hotelfamilie, der sich im Sommer auf Bike- und im Winter auf Skigäste spezialisiert hat, sieht es ähnlich: „Radfahren ist Volkssport, wie es das Skifahren in Österreich früher war, wird aber in viel mehr Ländern ausgeübt. Das Potenzial an Bikern ist also riesig. Und angefangen von den Weiterentwicklungen der Bikes über den stetigen Ausbau des Biketransports mit Seilbahnen und Liften bis hin zum Bau neuer Trails und Parks wird das Mountainbiken immer mehr zum Breitensport."

„NACHHALTIGER" BIKETOURISMUS
Beträchtliches Wachstumspotenzial durchs Mountainbiken ortet auch Harald Maier. Der Salzburger, selbst seit den 1980er-Jahren aktiver Biker, arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, den „1. Österreichischen Mountainbike-Tourismus-Kongress" im September 2016 auf die Beine zu stellen, um hierzulande einen „nachhaltigen Biketourismus" zu etablieren (siehe Kasten unten).

Was die aktuelle Lage betrifft, zeigt sich der Salzburger derzeit noch weniger euphorisch: „Man kann das Mountainbiken als Trend bezeichnen – von einem Boom würde ich aber nicht sprechen. Fakt ist, dass die Zuwachsraten vor allem in jenen Regionen stattfinden, die aktiv an einem attraktiven Angebot für diese Zielgruppe arbeiten." Dem Vergleich mit dem Skifahren kann aber auch Maier etwas abgewinnen. „Der Skitourismus hat schließlich auch Jahrzehnte benötigt, um sich zu entwickeln. Im Vergleich dazu ist das Mountainbiken derzeit etwas, das gerade aus einer Nische herauskommt und sich zu einem Trendsport entwickelt."

„BOOST" DURCHS E-MTB
Was braucht es nach Experten-Einschätzung, um das Urlaubsthema Mountainbiken demnächst noch massentauglicher zu machen? Ein Hoffnungsträger, da sind sich die von uns Befragten ebenfalls einig, ist das E-Mountainbike: „Damit kommt derzeit ein Boost in den Markt, der die Zielgruppe massiv verbreitert – alters- und konditionsbedingt. Gleichzeitig ist auch für sportliche Fahrer das E-MTB in Zukunft ein ‚Must-have'", formuliert es Harald Maier.

Auch Helga Beermeister vom Tourismusverband im Tiroler Wipptal, wo man ebenfalls vermehrt auf das Mountainbike setzt, hält große Stücke auf das elektrisch angetriebene Bergrad: „Seit letztem Jahr haben wir eine Verleihstation für E-Bikes, die sehr gut angenommen wird. Radeln von Alm zu Alm, die Möglichkeit, auch ohne großen Kraftaufwand Bergerlebnis zu genießen – dieses Angebot entspricht den aktuellen Gäste-Bedürfnissen."

FAMILIEN UND „RUNDUM-SERVICE"
Nicht nur, aber auch durch die Variante mit E-Antrieb wird das Mountainbiken für ganze Familien immer interessanter. „Immer mehr Frauen wechseln aufs Bike. Modetrends bei Bekleidung und Rad machen den Sport ‚sexy'. Und dass auch immer mehr Kids beim Bike oder Trailrad landen, ist kein Geheimnis", analysiert Paco Wrolich. Harald Maier bestätigt: „Biken in der Gruppe einerseits, als Paar bzw. Familie andererseits sind Riesenthemen!"

Mit dem Thema Familie landet man automatisch auch bei den Unterkünften: Askese – also etwa: in einer Pension nur zu duschen und zu schlafen und den Rest des Tages am Bike abzusitzen, ist längst nicht mehr „typisch Bikeurlauber". „Das Mountainbiken als Sommerurlaubsthema ist bei uns ja schon 20 Jahre alt", erzählt Theresia Harml, Betreiberin eines weiteren auf Bikegäste spezialisierten Tophotels, dem Tauernhof in Flachau (S), „die Bikerszene hat sich zuletzt aber deutlich verändert: Sie ist stark gewachsen und hat sich enorm verbreitert". Harml analysiert weiter: „Gefragt ist heute Rundum-Service: eine auf Bikerwünsche abgestimmte Unterkunft vom Wäscheservice übers Bikedepot bis hin zur gesunden, ausgewogenen und kohlenhydratreichen Küche; ein gutes Reparatur- und Serviceangebot wird ebenso vorausgesetzt wie ein Gastgeber, mit dem sich der Bikegast austauschen kann, der Insider-Know-how zu Touren weitergibt oder auch selbst mit den Gästen auf Tour geht."

EINFACH ZU FAHRENDE WEGE
Was Trails und Wege betrifft, ortet Harald Maier Potenzial in Flow-Trails und einfach zu befahrenden (Natur-)Singletrails. Der Experte ist sich sicher: „Klassische Bikeparkstrecken können weniger als 15 Prozent der Mountainbiker mit Spaß genießen. Einfach zu fahrende Trails wie der Hacklbergtrail in Saalbach oder der ‚Flow Country Trail' auf der Kärntner Petzen haben dagegen das Potenzial, von Jung und Alt, von Profi und Anfänger gefahren zu werden. Das Naturerlebnis und das Gefühl der Schwerelosigkeit kommen hier als neue Themen hinzu. Solche Trails sind es, die die Masse konsumieren kann und will." Nicht unkritisch sieht Maier dagegen, was derzeit mancherorts in Österreich als Mountainbikestrecke ausgewiesen wird: „Da sind nicht nur attraktive Wege dabei – breite Schotterstraßen sind allenfalls zum Auffahren interessant."

Was in das Wegethema österreichspezifisch hineinspielt, ist die rechtliche Situation: Während in anderen Ländern Biken auf vielen Wegen längst erlaubt ist, wird bei uns um eine generelle gesetzliche Öffnung von Wegen bzw. Forststraßen gerungen. Paco Wrolich will diesen „Standortnachteil" aber auch nicht überbewerten: „Für diejenigen, die sich ums Biken kümmern, sind die Rahmenbedingungen gut. Für jene, denen das Legalisieren von einzelnen Bikestrecken zu mühsam ist, nicht. Deswegen werden sich langfristig die Regionen durchsetzen, die das Thema Biken mindestens so ernst nehmen wie das Skifahren." Womit wir wieder beim eingangs angestellten Vergleich mit dem traditionellen Volkssport Nummer eins wären.
 

„HOTSPOTS" UND DER REST
Als Fazit dieser aktuellen Bestandsaufnahme sieht Paco Wrolich das Bikeland Kärnten auf einem guten Weg zur starken Mountainbike-Destination, „wenngleich wir mit der Entwicklung zu spät angefangen haben. Umso größer sind aber die Schritte, die wir derzeit machen."

Zweischneidig fällt das Resümee von Harald Maier aus: „Österreich hat zwar die idealen Voraussetzungen, um die Mountainbike-Destination Europas zu werden. Dazu ist jedoch noch etliche Bewegung notwendig. Derzeit sind internationale Regionen wie Graubünden, Südtirol, Schottland und teilweise auch Tschechien eher vor als hinter uns. Ausgenommen sind hier die Hotspots in Österreich wie Saalbach, Kitzbühel oder die Petzen, um nur einige zu nennen."

Mehr Infos zu diesem Thema findest du auch hier:
www.mountainbike-kongress.at