Zweimal Olympiasieger, viermal Weltmeister: Radlegende Fabian Cancellara über seine Aufgabe als TUDOR-Teambesitzer, über wahre Klasse auf dem Fahrrad und die schönsten ­Ausfahrten seines Lebens.

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein

Fabian, wo erreichen wir dich?
Ich war in Zürich, wo unser Hauptsponsor Tudor seine erste Schweizer Boutique eröffnet hat. Jetzt bin ich auf dem Weg ins Teamhotel. Maikel Zijlaard hat für uns gestern den Prolog der Tour de Romandie gewonnen. Ein sehr emotionaler Moment, genau hier haben wir vor zwei Jahren verkündet, dass das Team künftig Tudor Pro Cycling Team heißen wird und wir 2023 die Pro Lizenz anstreben.

Traurig, dass du nicht dabei warst?
Klar, aber das bringt meine Aufgabe als Teambesitzer mit sich. Ich bin nah dran, kann aber nicht immer dabei sein. Jeder im Team hat seine Aufgabe.

Kannst du euren Fahrern dennoch mit deiner Erfahrung helfen?
Ich weiß, was es bedeutet, am Start zu stehen. Was ich tun kann, ist Ruhe auszustrahlen und vor allem keine Ego-Show abzuziehen. Es geht nicht um mich, sondern um uns. Ich denke, dass dies ein wichtiger Teil unseres Erfolgsrezepts ist. Es geht darum, sich zu ergänzen. Wir haben eine flache Hierarchie, jeder bringt seine Erfahrung ein, so kompensieren wir auch gegenseitig unsere Schwächen. 

Ihr setzt vor allem auf Nachwuchsfahrer. Wie entwickelt man sie am besten?
Indem man ihnen Vertrauen schenkt! Wir arbeiten hart, legen aber auch großen Wert auf seelisches Gleichgewicht. Wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt unseres Tuns. Mit ihren Wünschen und Bedürfnissen, ihren Ängsten und Möglichkeiten. Nur zufriedene und glückliche Athleten können wirklich performen. Der Erfolg ergibt sich daraus ganz automatisch.

Bjarne Riis hat einmal gesagt, nur wenige Radrennfahrer verfügten über einen „so geschmeidigen und regelmäßigen Tritt“ wie du. Wie fühlte sich das an?
Ganz ehrlich, in gewissen Momenten hatte ich nicht das Gefühl, dass ich rund trete. Aber wenn’s läuft, dann läuft’s. Es geht um die Verbindung zwischen Mensch und Maschine, aus der eine einzigartige Dynamik hervorgehen kann. Es ist diese Souplesse, die pure Freude am geschmeidigen Fahren. Als Kind habe ich das bei meinen Idolen bewundert. Und so habe ich dann meinen eigenen Stil entwickelt.

Die Beine machen die Arbeit, aber die Maschine muss perfekt damit harmonieren.

Fabian Cancellara

Wer waren deine Idole?
Einer meiner Helden war Miguel Indurain. Und besonders fasziniert hat mich Franco Ballerini, der auch Paris–Roubaix gewann. Er hatte Klasse, eine ganz besondere Eleganz, als würde er über das Kopfsteinpflaster schweben. Selbst unter vollem Druck schien er mit Leichtigkeit zu treten. Das hat mich inspiriert. Und daran habe ich gearbeitet. Um ein solches Fahrgefühl zu verinnerlichen, brauchst du allerdings viel Zeit und Geduld.

Der Sportwissenschaftler Paul Köchli hat deine Fahreigenschaften untersucht. Er stellte eine hohe ­Trittfrequenz fest sowie die Fähigkeit, instinktiv zu schalten. Ist das Intuition oder Training?
Ich habe immer viel geschaltet. Zwei hoch, drei runter, ich war nie einer von denen, die eine Stunde oder länger im gleichen Gang vor sich hintreten. Ich war auch einer der Letzten, die noch mechanisch geschaltet haben, als alle anderen schon elektronisch unterwegs waren. Die Beine machen die Arbeit, aber die Maschine muss perfekt damit harmonieren.

Zumeist erfolgsverwöhnt, war das Jahr 2012 ein schwieriges mit meh­reren Stürzen und Verletzungen. War der Körper müde? Oder der Kopf?
Vielleicht bin ich zu euphorisch in die Saison gegangen. Der Sturz bei der Flandern-Rundfahrt mit vierfachem Schlüsselbeinbruch war natürlich Pech. Bei der Tour de France bin ich dann zwar einige Tage in Gelb gefahren, aber bei den Olympischen Spielen beging ich einen Fahrfehler, und am Ende war die Saison wirklich zum Abhaken. Der Körper war ausgelaugt, ich war müde im Kopf, habe nicht mehr dieses Feuer gespürt und an mir gezweifelt. Heute denke ich mir, dass es solche Down-Momente während einer längeren Karriere geben muss. Daraus wächst neue Kraft, um sich aufzurichten und das Momentum für die nächsten Erfolge zu nutzen.

Du hast dreimal Paris–Roubaix mit seinen berüchtigten Abschnitten über Kopfsteinpflaster gewonnen. Ist das Quälerei oder Faszination?
Das Material hat sich entwickelt und damit hat sich auch das Rennen verändert. Früher warst du auf 26 oder 28 Millimeter unterwegs, heute kannst du schon mal mit 32er-Reifen fahren, das gibt dir neue Möglichkeiten. Aber es bleibt das Pflaster, es bleibt Roubaix … Und es bleibt vor allem eine absolute Faszination.

 

Werden die großen Rundfahrten immer härter, so wie von vielen kritisiert? 
Ich denke schon, dass die Rennen schneller geworden sind. Aber so haben die Fahrer nach sechs Stunden Feierabend, während wir früher schon mal sieben Stunden im Sattel saßen. Generell sind die großen Touren in meinen Augen etwas wilder geworden, es sind mehr junge Athleten dabei, die sich nicht immer an die Hierarchie im Team halten. Das war früher nicht machbar. Bei uns hieß es für die Jungen: Klappe halten, tief gehen und treten!

Es gab mal die Idee, einen Klassementfahrer für die großen Rundfahrten aus dir zu machen. Warum hast du das abgelehnt?
Ich hätte fünf Kilo Gewicht verlieren müssen. Einen anderen Typ von Rennfahrer aus mir zu machen, ohne zu wissen, ob es funktionieren wird, hielt ich für keine gute Idee. Ich wollte der bleiben, der ich bin. Und genau so war ich dann auch über Jahre erfolgreich.

Du warst bei wichtigen Events fast immer auf den Punkt fit. Lag das am perfekten Training? Oder am Killerinstinkt?
Ich habe trainiert, um Rennen zu gewinnen. Das war mein Antrieb. Und dabei habe ich offenbar eine gute Balance aus physischen und mentalen Komponenten gefunden.

Bei den Spielen in Rio 2016 hast du im letzten Jahr deiner Karriere noch einmal Gold geholt. Geht’s besser zum Abschied?
Nein, besser geht’s wirklich nicht. Wenn du mit dem größten Erfolg im Sport das Buch schließen kannst, um ein neues Kapitel zu öffnen, dann ist das schon sehr dankbar.

Und mit dem Blick zurück: Was ­waren die schönsten Ausfahrten?
Als Profi fährst du meistens mit einem konkreten Ziel los, vielleicht eine Stunde mit Intervallen oder fünf Stunden Grundlage. Die schönsten Momente auf dem Rad habe ich immer dann erlebt, wenn ich einfach losgefahren bin – ganz ohne Plan.

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Fabian Cancellara

Fabian Cancellara wurde am 18. März 1981 in Wohlen bei Bern (CH) geboren. 2006 gewann er mit Paris–Roubaix seinen ersten Klassiker, bei dem er zwei weitere Male (2010, 2013) triumphierte. Er siegte bei Mailand-Sanremo (2008) und gewann dreimal die Flandern-Rundfahrt (2010, 2013, 2014). Im Einzelzeitfahren war Cancellara über Jahre hinweg der Mann, den es zu schlagen galt, er wurde zweimal Olympiasieger und viermal Weltmeister. Seit 2022 ist er Besitzer des Tudor Pro Cycling Teams, das aus dem U23-Nachwuchsteam Swiss Racing Academy hervorging.

Web: www.tudorprocycling.com