800.000 Mountainbiker in Österreich und 10 Millionen in Deutschland sind eine Zielgruppe, die im Tourismusland Österreich zweifellos von großem Interesse ist. In Saalbach-Hinterglemm (S) trafen sich im September 80 Fachleute zum „1. Mountainbike Tourismus-Kongress". Um Fragen zu diskutieren wie: Welche Chancen bieten Mountainbiker als Urlaubsgäste aktuell? Welche Angebote wünschen sie? Und ganz generell: Wohin geht im Biketourismus die Reise?

Von Christof Domenig


Der Schauplatz im Salzburger Pinzgau ist selbst ein „Best Practice-Beispiel": Saalbach-Hinterglemm beherbergt nicht nur Österreichs größtes zusammenhängendes Skigebiet, sondern ist auch im Mountainbike-Tourismus federführend. Seit 18 Jahren werden dort im Sommertourismus ­Biker umworben. Erfolgreich: Das Wegeangebot ist groß, der Hacklberg Trail oder das Spielberghaus genießen in der Community einen legendären Ruf.

„Bike-Hotspots" wie Saalbach-Hinterglemm gibt es heute mehrere in Österreich. „Auch der deutsche Biker denkt nicht automatisch an den Gardasee, wenn es um Bikedestinationen geht", bringt Kongress-Organisator Harald Maier den Ist-Stand auf den Punkt. Gleichzeitig sieht sich die Tourismusbranche erst am Anfang des Wegs – der Vergleich mit dem Skifahren wurde immer wieder gebracht. „Wir sind dort, wo der Skitourismus in den 1950er-Jahren stand", ortet Maier noch enorm viel Potenzial, „das gleichzeitig nicht nur den Big Playern Chancen eröffnen sollte, sondern gerade auch den Kleinen". Wintersport­regionen, die tiefer liegen oder die weniger Lifte und Pistenkilometer bieten – oder die im winterlichen Wettrüsten mit Schneekanonen einfach nicht mehr mithalten können ...

DER SOMMER ERHÄLT DEN WINTER
Ein Paradebeispiel, wie das funktionieren kann, ist die Kärntner Petzen. ­Diddie Schneider, deutscher Bikepark- und Trailbau-Pionier stellte als erster Referent seinen auf der Petzen errichteten Flow Country Trail vor, den es seit drei Saisonen gibt. „Das Skigebiet schrieb seit Langem rote Zahlen, die Betreiber standen vor der Wahl: Noch einmal in etwas Zukunftsträchtiges investieren oder zusperren", berichtet Schneider.

Er schlug sein Flow Country Trail-Konzept vor, das von jenem früherer Bikeparks stark abweicht. „Eine relativ leichte Strecke, nie zu steil, nie zu gefährlich, ohne spitze Kurvenradien, Drops oder Gaps. Der Schwierigkeitsgrad reguliert sich mit der gefahrenen Geschwindigkeit", erklärt Schneider.

27 Grundbesitzer gaben für den Trail auf der Petzen ihre Zustimmung. Das Hauptargument, das alle überzeugte: Nur so könne das Skigebiet Bestand haben. Und damit die gesamte Region touristisch weiterleben. 3,5 Jahre lang wurde auf der Petzen gebaut, eine halbe Million Euro investiert. Wobei Schneider schon auch betont, dass die Erhaltung einer solchen Strecke wesentlich teurer ist als ihre Errichtung.

10.000 Biker nutzen heute, drei Jahre nach Eröffnung, pro Saison die Bergbahn. Profis genauso wie „Familien mit Kindern auf 20 Zoll-Rädern". So, wie es dem breit angelegten Streckenkonzept entspricht. 2,5 Mio. Euro an jährlicher Wertschöpfung aus dem Flow Country Trail wurde für die Kärntner Region errechnet. Vor allem aber geht der Skibetrieb nun weiter: „Der Sommer erhält den Winter mit." In weiteren Kärntner Orten stehen derzeit ähnliche Flow Trail-Konzepte vor der Umsetzung – „am Nassfeld etwa und in Bad Kleinkirchheim", verriet Kärntens Radkoordinator Paco Wrolich am Rande des Kongresses.

„1992 hatten wir eine Handvoll Nächtigungen im Sommer. 2005 waren es 200 – 2015 bereits 3.000. Wir leben unseren Traum!“

Walter Höll hat das Spielberghaus in Saalbach zum Biker-Hotspot verwandelt.


AUSLASTUNG AM "PLAFOND"
Von Saalbach aus ein Tal weiter liegt Leogang. Das Gebiet ist im Sommer mit dem Saalbach-Hinterglemmer Bike­wegenetz (und im Winter mit dem Pistennetz) verbunden. Christian Oberlader von den Leoganger Bergbahnen, die wesentlich am dortigen Bikepark beteiligt sind, schilderte auch eine Mountainbike-touristische Erfolgsgeschichte. „Knapp vorm Jahr 2000 wollten wir die Bahn im Sommer fast schließen. Heute sind wir mit der Sommerauslastung am Plafond. Wir fahren dabei mit drei Viertel Biker-Gondeln und einem Viertel Wanderer-Gondeln." Noch eine interessante Zahl: „In der Region steht es heute 50:50 bei Sommer- zu Winternächtigungen ..."

Oberlader erzählte auch das: „Als erste Maßnahme, nachdem die Idee des Bikeparks geboren war, haben wir alle Betroffenen – Grundstücksbesitzer, Gastgeber, Anrainer, Jagdpächter usw. – in einen Bus verfrachtet und den deutschen Bikepark Geisskopf besucht". Das sei auch sein wichtigster Ratschlag: Alle von Anfang an in ein Boot – „oder eben einen Bus" – reinholen!

DER WALD IN PRIVATER HAND
Dieser Punkt kam beim Kongress immer wieder zur Sprache: Oft scheitert der biketouristische Ausbau einer Region weder an Ideen noch am Geld, sondern am Widerstand einzelner Gruppen oder Personen. 80 Prozent des Waldes in Österreich befinden sich in privatem Besitz. Was alle Fachleute betonten: „Von vornherein mit Anrainern und Grundstücksbesitzern zu reden, deren Sorgen ernst zu nehmen, ist das Um und Auf. Wird ein Grundstücksbesitzer mit einem bereits fixfertigen Konzept konfrontiert, kann man logischerweise kein Entgegenkommen erwarten." So sieht es auch Christian Oberlader: „Die Betroffenen muss man von Anfang an mitnehmen – auch wenn es mit vielen Gesprächen verbunden ist".

Ein „Gegenbeispiel" lieferte Phi­lipp Kettner, Betreiber des Bikeparks Brandnertal in Vorarlberg. „Mit Gemeinde und Grundstückseigentümern waren wir uns über den Bikepark als touristische Attraktion einig. Der Jagdpächter aber hat vom Projekt erst aus der Gemeindezeitung erfahren – auf die Jägerschaft hatten wir schlichtweg vergessen. Daran wäre das Projekt beinahe gescheitert."

JÄGER UND BIKER
Mit Spannung erwarteter Referent war dann auch Andreas Wernik, der „als Jäger und Biker" beide Sichtweisen dieser konträren Interessensgruppen kennt. Wernik hielt zunächst fest, dass heute zwei Drittel der Österreicher in Ballungszentren leben. Und dass zum Ausgleich entsprechend mehr Menschen in die Natur drängen. „Es wird eng im Wald – und der nutzbare Lebensraum für Wildtiere immer kleiner", weiß Wernik. Auch wenn man als gewöhnlicher Waldnutzer die Wildtiere nicht sehe – die Folgen sehe man sehr wohl, etwa in Form von Wildschäden.

Wernik warb für gegenseitiges Verständnis und appellierte „für eine gelenkte, reglementierte Freizeitnutzung des Waldes statt generellem Öffnen oder Verbieten". Zum in den letzten eineinhalb Jahren viel diskutierten Punkt: „Öffnen aller Forststraßen?", hielt Wernik fest, dass die meisten ­Biker ja gar keine offenen Forststraßen wünschten, sondern Singletrails.

Diese Meinung war auch beinahe einhellig beim Kongress spürbar: Forststraßen würden allenfalls noch für die Zufahrt zu Singletrails gewünscht. Und diese Trails dürften dann keine Downhill- oder Freeridetrails wie früher sein, sondern „flowig" – für jedermann leicht befahrbar.

Ein Motto, unter dem der Kongress stand, war „Leidenschaft". Auch das wurde spürbar: Mountainbiker erwarten sich authentische Angebote, die ihre eigene Liebe zum Biken widerspiegeln. Walter Höll vom Saalbacher Spielberghaus kann das nur bestätigen. Höll hatte 1992, mit 23 Jahren, die Hütte seiner Eltern als klassische Skihütte übernommen: „Der Steuerberater hat uns gesagt: Sperrt's im Sommer zu oder lasst's euch etwas einfallen." Nachdem Höll und seine Frau Sabine Biker waren, beschlossen sie, um Mountainbiker zu werben. 12.000 Euro investierten beide in ein Erstkonzept. Resultat: „Im ersten Sommer haben wir gezählte drei Packages verkauft."


Wie es die Hölls dennoch schafften, dass das Spielberghaus heute in der ganzen deutschsprachigen Bikecommunity einen legendären Ruf hat? „Durch netzwerken, auf jeder Hochzeit tanzen – und mit Herzblut das durchziehen, was einem selber Freude macht." 3.000 Nächtigungen hat das Spielberghaus, das nur über eine Almstraße erreichbar ist, heute pro Sommer. Das ist das Zwölffache als vor zehn Jahren und eine Auslastung von 90 Prozent. Bis zu 100 Gästebikes „übernachten" in Stoßzeiten in der Garage. „Auch, weil manche schon mit zwei Bikes kommen – einem zum Tourenfahren, einem fürs Abfahren."

Die Zukunft sieht Walter Höll in „noch mehr Flow rund ums Haus" – nicht nur, was Trails, sondern auch, was die Lebenseinstellung betrifft. „Wir leben unseren Traum – im Sommer", sagt Höll und präzisiert: „Mountainbiker sind irrsinnig angenehme Gäste, die kein Halligalli brauchen, sondern gleichgesinnte Gastgeber, die ihre Bedürfnisse verstehen und ihre Sprache sprechen."

DER UPHILL-FLOW
Die Zukunft gehört auch dem E-Mountainbike – darin herrschte beim Kongress ebenso Einigkeit. Das machte auch Christoph Malin deutlich, Bikejournalist und langjährig in der Innsbrucker „Vertrider"-Szene führend. Die „Vert­rider" nahmen in Mountain­bike-Urzeiten alpines Gelände (grenzlegal) unter die Räder. 2010 musste Malin das Biken krankheitsbedingt lassen – um 2015 übers E-MTB zu seiner Leidenschaft zurückzukehren. „Die neuen E-Bikes können bergab alles, man muss nur die Fahrtechnik leicht adaptieren. Hochfahren aber ist ein völlig eigenständiges Erlebnis", attestiert Malin dem elektrisch angetriebenen Biken riesiges Potenzial.

Einen „Uphill-Trail" für E-Mountainbikes baut derzeit Diddie Schneider in seinem „Bikepark Geisskopf" bei München – und trifft damit ein Trendthema, das vielerorts hinterfragt wird: Wie kann man das E-Mountainbike sinnvoll in Streckenkonzepte einbinden ...

Unser Fazit nach drei Tagen Mountainbike-Kongress in Saalbach-Hinterglemm: Natürlich stehen noch viele Antworten aus – ums E- genauso wie ums gewöhnliche Mountainbike als Urlaubsthema und Tourismus-Lokomotive. Was aber nichts an einer generellen Aufbruchsstimmung in der Branche ändert, die allerorten spürbar ist.


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