Der Schweizer ist der erfolgreichste Mountainbiker der letzten zehn Jahre. Im SPORTaktiv-Interview spricht er über ­Corona, Trainingstipps und das Biken mit ­seiner Tochter. Und er erklärt, warum Social Media selbst für einen Olympiasieger ein wichtiger Teil der Arbeit ist.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Nino, wie geht es dir? Wie und wo verbringst du deine coronabedingte Renn­pause?
Wie alle versuche ich, mich bestmöglich an die neue Situation anzupassen. Ich bin zu Hause in Chur bei meiner Familie, was das Positive ist in dieser Zeit. Das Training ziehe ich voll durch, so als wäre gerade Januar oder Februar. Wenn die Weltcuprennen irgendwann wieder losgehen, will ich bereit sein.

Ist deine Familie besonders vorsichtig, weil deine Frau Nina an Multipler ­Sklerose erkrankt ist? Wie geht ihr ­damit um?
Wir nehmen beides sehr ernst, Ninas Krankheit und Covid-19. Konsequenterweise leben wir ziemlich isoliert und treffen alle Maßnahmen, um das Risiko so gering wie möglich zu halten.

Stichwort Corona: Verliert da auch ein Olympiasieger und Weltmeister manchmal die Lust auf Sport und Training?
Grundsätzlich nein. Es gibt schon auch mal Tage bei schlechtem Wetter, an denen das Training zum Pflichtprogramm wird. Aber grundsätzlich liebe ich die Bewegung in der Natur.

Warst du auch im Freien biken oder hast du in den letzten Wochen viel indoor trainiert?
In der Schweiz hatten wir zum Glück immer die Möglichkeit, im Freien zu trainieren, was bei dem tollen Frühlingswetter dann auch die Normalität war. Ab und zu nutze ich aber auch die Online-Trainingsplattform Zwift, da ich die Möglichkeiten, sich der Community anzuschließen, sehr gut finde und ich 
so auch etwas zurückgeben kann. Zum Beispiel haben wir vor Kurzem zusammen mit Scott Italia 6000 Euro für die Krankenhäuser in Bergamo 
gesammelt.

Wie geht es dem Wettkämpfer ohne Wettkampf? Was fehlt dir am meisten? 
Da ich mein letztes Rennen im Oktober in Tokio gefahren bin, vermisse ich mittlerweile den Wettkampf schon sehr. Die Vorbereitung lief sehr gut und ich war bereit für die Saison. Das würde ich natürlich gerne in Resultaten bestätigt haben und nicht nur im Training. Doch das geht wohl allen Athleten gleich.

Wie und wo suchst du neue Herausforderungen für Sport und Alltag?
Herausforderungen finde ich in Trainingsresultaten. Die Zeit ohne Wettkämpfe möchte ich nutzen, um mich konsequent weiterzuentwickeln. Mit Leistungsmessgeräten funktioniert dies ziemlich gut. 

Wie gut gelingt es dir, den Fokus auf Ziele und Training zu halten?
Die Ziele sind ja nach wie vor da, wenn auch zeitlich etwas verschoben. Motivationsprobleme im Training kenne ich sowieso nicht.

„We can’t wait to get back to races“ heißt es in einem deiner Videos. Wann denkst du, wird es so weit sein?
Die UCI will demnächst den aktualisierten Rennkalender für diese Saison bekannt geben. (Anm.: Termin-Update mittlerweile fix: Weltcupsaison startet  ab 5./6. September in Lenzerheide, Schweiz).

Du bist auf Social Media sehr präsent und postest Videos von dir in der Kraftkammer, am Balance Board, beim Stiegenspringen, beim Zirkeltraining, auf der Slackline. Offenbar wird dir beim Training nie fad ...
Immer wieder neue Reize zu setzen, ist Teil der Weiterentwicklung. Das benötigt Kreativität und reizt mich.

Social Media scheint auf dich zugeschnitten. Du bespielst alle Kanäle. Macht dir das Spaß, lenkt dich das ab?
Das stimmt. Content für Social Media zu produzieren, macht mir besonders viel Spaß. Das kommt mir sehr wohl entgegen, sind die sozialen Medien doch mittlerweile ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.

Du hast eine eigene Videoserie namens „Fitter, Faster, Stronger“, die viel Einblick in dein Training gibt. Hast du ein Erfolgsgeheimnis? Oder ist es die Kombination deiner Physis, deines Talentes und deiner Fahrtechnik?
Die Kombination aus allem ist entscheidend. Erfahrung spielt hier auch eine ganz wichtige Rolle. Über die Jahre habe ich meinen Körper kennengelernt und weiß, was er ertragen kann. Es geht immer darum, die Grenzen auszuloten, diese aber nicht zu überschreiten. Da hilft Erfahrung sehr viel. Zudem habe ich ein super Team um mich herum, um diese Balance zu finden. 

Du hast auch auf den Kanälen deines Partners Oakley unter dem Slogan „For The Love Of Sport“ dein Heimtraining präsentiert. Was kannst du anderen Athleten oder Hobbysportlern mit auf den Weg geben, um motiviert und fit zu bleiben? 
#keepthepassion von Scott ist ein weiterer dazu passender Slogan. Ich will aufzeigen, dass man auch zu Hause viel für seine Fitness tun kann. Eine gewisse Struktur im Training ist zudem wichtig, um motiviert zu bleiben. Nur, für mich ist „bleibt motiviert“ einfach zu sagen. Ich habe das Privileg, draußen trainieren zu können.

Ein Hit war heuer das entzückende ­Video von dir und deiner Tochter Lisa, die hinter dir und vor dir am kleinen Rad über die Trails hoppelt. Am Ende sieht man Vater und Tochter beim Eisschlecken. Das Video ging viral auf den sozialen Medien. Wie hat eigentlich Lisa darauf reagiert?
Sie ist sehr stolz darauf und gibt manchmal bei Freunden ein wenig damit an (lacht). Lustig waren auch die Tage vor dem Shooting. Da hatte sie immer wieder gefragt, wann wir das nun endlich machen. Ich hoffe, sie ist auch später noch stolz darauf. 

Phänomen Nino Schurter: Der erfolgreichste Mountainbiker der letzten Jahre im Interview

„Heroes inspire Heroes“ heißt die Kampagne, in die du involviert bist. Wie kann man Kinder zum Sport motivieren? Reicht die Vorbildwirkung der Eltern aus oder braucht es schulische und gesetzliche Vorgaben, die Kinder mehr zum Sport zu bringen?
Bei uns zu Hause passiert das auf natürliche Weise, indem ich meine Tochter in meine Aktivitäten einbinde, wo immer das möglich ist. Und, ja, die Vorbildwirkung und das Vorleben sind ganz wichtig. Ob es dazu gesetzliche Vorgaben braucht, bezweifle ich eher.

Bei uns in Österreich ist Mountainbiken als Breitensport sehr beliebt, die Rennszene aber nicht im Fokus, auch kaum in den Medien. Wie ist das in der Schweiz?
Das ist bei uns anders. Dass ich in der Schweiz als Mountainbiker „Sportler des Jahres“ wurde – und dies vor einem Roger Federer! – bestätigt das. Wir haben in der Schweiz zahlreiche weitere Top- Mountainbike-Athleten neben mir, die erfolgreich dafür sorgen, dass Mountainbiken im Gespräch bleibt.

Die Schweiz hat seit den Anfangstagen immer Athleten an der Spitze: Thomas Frischknecht, Christoph Sauser, Mathias und Lukas Flückiger, Florian Vogel, dazu die Dominanz von dir. Bei den Damen ist Jolanda Neff ein Star. Dazu im Marathonsport Leute wie Urs Huber oder Bad-Goisern-Rekordhalter Konny Looser. Wie schafft das die kleine Schweiz? Österreich hat da wohl Aufholbedarf ...
Die Schweiz ist ein Mountainbike-Land. Wir haben die besten Voraussetzungen in Bezug auf Infrastruktur, Förderung und Akzeptanz.

Du bist Olympiasieger, Weltmeister und Seriensieger im Weltcup. Wir würden dich wohl zum „Marcel Hirscher der Mountainbiker“ adeln. Was bedeuten dir Erfolge und welcher war ein sehr spezieller?
Erfolg ist immer die Bestätigung und der Lohn für harte Arbeit. Und ich bin von Natur aus ein sehr ehrgeiziger Mensch. Der wichtigste Erfolg war sicher mein Olympiasieg 2016 in Rio, der wohl schönste jedoch der siebente WM-Titel im Jahr 2018, vor Heimpublikum in der Lenzerheide mit 20.000 Zuschauern. 

Dich sieht man nicht nur am Racefully, sondern auch auf Trailbikes, Enduros und Rennrädern. Wie viele Bikes hat der Herr Olympiasieger eigentlich zu Hause?
Für jede Jahreszeit eines…(lacht). Die Racebikes sind nicht bei mir zu Hause. Die hütet mein Mechaniker „Yanick-theMechanic“ Yanick Gyger.

Könntest du dir vom Radsportweltverband UCI etwas wünschen, neue Rennformate etwa, was würde das sein?
Noch in diesem Jahr möglichst viele Rennen zu fahren (lacht).

Nino, du bist 34 und hast eigentlich schon alles erreicht. Welche Ziele hast du noch als Biker? Wird ein Umstieg zu den Straßenfahrern noch einmal ein Thema oder ist das abgehakt?
Den Rekord von Julien Absalon würde ich schon noch gerne knacken (Anm: Absalon hat 33 Weltcup-Siege, Schurter 32). Und eine vierte Medaille bei Olympia wäre ein Traum. Auf der Straße habe ich keine Ambitionen, ich bin mit Mountainbiken groß geworden und da möchte ich auch bleiben. 

Nino Schurter
Nino Schurter

geboren am 13. Mai 1986 in Tersnaus (Graubünden, Schweiz). Schurter ist Mountainbike-Profi, der im Cross-Country seit zehn Jahren dominiert, Olympia­sieger (Gold 2016, Silber 2012, Bronze 2008), achtfacher Weltmeister, siebenfacher Sieger des UCI-Gesamtweltcups, 2 x Sieger beim Cape Epic in Südafrika. Privat: verheiratet mit Nina, eine Tochter (Lisa). Ninos Bruder Mario und Vater Ernst haben in der Toskana (ITA) eine MTB-Schule und bauen Trails.
www.nsracing.ch // www.scott-sports.com