Bergfreunde fürs Leben. David Lama ist mit seinem ­Entdecker, Everest-Legende Peter Habeler, Ende März die ­Eiger-Nordwand durchstiegen. Und für beide war es eine Ehre, das mit dem anderen zu erleben. Eine Geschichte über Stil, eine Nacht im Todesbiwak – und vor allem, was Freundschaft in den ­Bergen bedeutet.

Von Klaus Molidor


Zuerst ist der Peter mit dem David gegangen. Über Felder mit großen Felsblöcken und im Klettergarten. Jetzt ist der David mit dem Peter gegangen. Durch die berüchtigte Eiger-Nordwand. Knapp 22 Jahre liegen zwischen den beiden Abenteuern und dem Rollentausch von Peter Habeler und David Lama. Habeler war damals schon ein hochdekorierter Alpinist, den seine erstmalige Everest-Besteigung ohne Sauerstoff gemeinsam mit Reinhold Messner zur Bergsteigerlegende gemacht hat. Lama war ein fünfjähriges Bürscherl, das geradezu über die Blöcke getänzelt ist. „Diese Geschmeidigkeit in seiner Bewegung ist mir sofort aufgefallen, ich hab gleich gesehen: Der Bursche ist ein Talent", erinnert sich Habeler.

30. März 2017: Jetzt geht das „Bürscherl", mittlerweile 26, voraus. Steigt durch die Eiger-Nordwand nach oben. In der linken Hand einen Eispickel, in der rechten Hand einen Eispickel, so zieht er sich beinahe spielerisch nach oben. „Geht's, Peter? Lass dir Zeit", ruft David nach unten zu seinem Entdecker. Die beiden klettern auf der Heckmair-Route. Dort, wo Habeler 1974 mit Reinhold Messner einst in knapp zehn Stunden einen Rekord aufgestellt hat und wo auch Lama bei seinem ersten Eiger-Abenteuer gehen wollte, da steigen sie jetzt gemeinsam auf.
„Ich hab den Anderl Heckmair noch gekannt", erinnert sich Habeler an einen „tollen, lustigen Burschen". Lama kannte den Namensgeber der Route naturgemäß nicht mehr. Dafür wusste er aber schon als Fünfjähriger im Kletterkurs, welcher Kapazunder ihm schon nach den ersten paar Kurstagen prophezeit hatte: „David, du wirst einmal Weltmeister."

Die Berge haben David Lama ­immer schon fasziniert. „Aus den Büchern meiner Eltern wusste ich auch, wer der Peter Habeler ist und was er geleistet hat", erzählt Lama, „richtig einschätzen, was so jemand geleistet hat, kannst du dann aber erst, wenn du selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hast." Jetzt kann er also noch besser bewerten, was sein Partner bereits hinter sich gebracht hat, der da hinter ihm über den sogenannten „Eisschlauch" geht – als ältester Mensch, der sich je an die Eiger-Nordwand herangewagt hat. „Ich musste nicht lange überlegen, als der Peter vor zwei, drei Jahren mit dem Vorschlag an mich herangetreten ist, dass ich ihn durch die Wand führe."

BERG KRÄFTIGT BEZIEHUNG
Die Verhältnisse sind winterlich, der Felsen ist mit Eis überzogen, das bei jedem Schritt mit den Steigeisen absplittert. „Da denke ich schon daran, wie die Leute das früher gegangen sind", sagt Habeler. „Der Heckmair, der Harrer, der Hias Rebitsch. Mit Lodenhosen, mit Hanfseilen, die gefroren sind." Heute alles längst kein Thema mehr. Das Material hat sich weiterentwickelt, der Klettersport ebenso wie die Qualität der Wetterprognosen. „Darum ist die Eiger- Nordwand heute nicht mehr die ultimative Herausforderung, die sie einmal gewesen ist", sagt Lama. Weil sich viele Tragödien in dieser mächtigen Felswand aufgrund eines rasanten Wetterumschwungs ereignet hatten. „Dieses Risiko kann man heute sehr viel kleiner halten", sagt er.

Am Nachmittag des ersten Tages erreichen die beiden das sogenannte Todesbiwak, in dem 1935 die Münchner Bergsteiger Max Sedlmayr und Karl Mehringer bei einem mehrtägigen Wettersturz ums Leben kamen. „Eigentlich die einzige Stelle in der Wand, an der man gescheit biwakieren und sich hinlegen kann", sagt Habeler. „Wenn ich denk, dass früher Bergsteiger in der Eiger-Nordwand drei, vier Tage bei schlechtem Wetter im Stehen biwakieren mussten ... Da tät ich durchdrehen."

Diesmal ist das Wetter aber gut und bleibt auch so. Im Biwak ist endlich auch einmal Zeit, um über andere Dinge als das Klettern zu reden. Über ihre Freundschaft zum Beispiel: Seit der Zeit im Kletterkurs ist der Kontakt zwischen den beiden ja nie abgerissen. Vier Jahre später, David Lama war gerade einmal neun Jahre alt, sind sie gemeinsam auf den Großglockner gegangen. „Das sind Erlebnisse, die vergisst du nicht", sagt Lama.

Das Band zwischen Habeler und Lama ist geblieben, „in den letzten Jahren hab ich ihn wieder mehr verfolgt, weil er im Zillertal Routen geklettert ist, die ich auch gut kenne", sagt Habeler. Gemeinsame Erlebnisse am Berg verbinden, machen die Freundschaft noch stärker. „Wenn man in einer Freundschaft gemeinsam Dinge tut und erlebt, wird die Beziehung automatisch tiefer", sagt Lama – „das kann auch Kuchen backen sein." Oder eben wie bei ihnen die Eiger-Nordwand. „Es war mir eine Ehre, das mit Peter zu machen, und ich hoffe, dass wir auch in 10, 20 Jahren noch darüber reden werden."

DIE CHEMIE MUSS STIMMEN
Für Habeler macht gerade das gemeinschaftliche Erleben am Berg viel von dem Gesamteindruck aus. „Wenn man gemeinsam eine Bergtour macht, geht es nicht, wenn man sich nicht mag. Das Menschliche muss stimmen, sonst ist es eine Quälerei." Im Todesbiwak rennt aber nicht nur der Schmäh. „Wenn man sich gut versteht, braucht es nicht immer viele Worte", sagt Lama. Außerdem: Ganz auslassen darf die Konzentration auch nicht, jeder hat seine Aufgaben zu erledigen. „Wenn du da den Gaskocher umschmeißt und Wasser in den Schlafsack rinnt, ist das nicht wirklich lustig."

Und so genießen beide die Stille, die Aussicht, die Natur. „Der breite Grinser vom Peter beim Sonnenuntergang wird mir in Erinnerung bleiben", sagt Lama. Die beiden vertrauen einander. „Der David hat mir Sicherheit gegeben, mich bestärkt – das hat die Sache schon sehr angenehm gemacht", sagt Habeler.

Für eine Doku zu Habelers 75. Geburtstag am 22. Juli war auch eine Crew von Servus TV mit von der Partie – „da war im ganzen Team eine Kameradschaft, eine ganz besondere Stimmung", sagt Peter Habeler, der genaue solche Erlebnisse braucht, die für ihn das Bergsteigen ausmachen. „Es muss nicht immer nur Leistung, Leistung, Leistung sein. Klar gehört das auch dazu, mehr zu schaffen als andere zuvor. Dieser Ehrgeiz ist ja in uns. Aber es braucht auch die erbaulichen Erlebnisse. Einmal die Natur genießen, langsamer gehen, stehen bleiben."

STIL GEHT VOR GIPFEL
Eine Philosophie, der auch Lama etwas abgewinnen kann. Es geht auch ihm nicht nur um den Gipfel, sondern auch um den Stil. Etwas erreichen um jeden Preis und dafür seine Ideale verraten kommt nicht in Frage. „Peter und Reinhold Messner haben mich sicher beeinflusst, einen ähnlichen Weg zu gehen. Die beiden waren Wegbereiter, sie haben den Leuten gezeigt, was möglich ist." Umgekehrt ist es ähnlich. „Der David klettert heute Sachen, die wir uns damals nur angeschaut haben und gedacht haben: Das wär lässig."

Trotz des großen Altersunterschieds von 48 Jahren verstehen sich die beiden Bergsteiger, auch ohne viel zu reden. Die Grenzerfahrungen in den Bergen verbinden und schweißen zusammen. „Peter hat so viel Erfahrung, dass du keine Seilkommandos schreien musst, das geht einfach alles automatisch. Er weiß, wie das ist, wenn der Kletterer oben am Stand ankommt, wie viel Zeit er da braucht, da muss er gar nicht raufschauen."

Zum Tagesausklang tauschen die beiden Freunde dann noch Erlebnisse von ihren Expeditionen aus. „Dann haben wir geschlafen wie die Murmeltiere", erinnert sich Habeler bei unserem Gespräch nach der Rückkehr aus der Schweiz. Am zweiten Tag klettern sie weiter über das „Brüchige Band", über den Götterquergang bis zum Gipfel.

„Der David ist so gut beinander und hat eine so gute Technik, der spaziert dort oben ja fast herum, so leicht schaut das aus", streut Habeler seinem jungen Bergfreund Rosen. Und Lama gibt das Kompliment an seinen Entdecker zurück. „Auch, wenn es nicht mehr die ganz, ganz schwierige Wand von einst ist: Du musst dort auch im Nachstieg voll konzentriert bleiben." Dann trennen sich die Wege der beiden wieder. Lama befährt danach noch die Pallavicini-Rinne am Großglockner mit Skiern, Habeler reist von Vortrag zu Vortrag und lässt sich einen Leistenbruch operieren – „jetzt muss ich einmal drei Wochen ohne Klettern auskommen." Nur David Lama sinniert zum Schluss noch: „Wer weiß, vielleicht wär ich ohne den Peter überhaupt nicht zum Klettern gekommen ..."


Tipp: SERVUS-TV zeigt die Bergwelten-Doku über Habeler und Lama am 3. 7. um 20:15 Uhr.


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