Die legendären Pavès im hohen Norden Frankreichs, sie sind magischer Anziehungsort für Rennradfans aus aller Welt, sind Schauplatz und Drehbuchautor für einige der spektakulärsten Geschichten, die die Radsportwelt zu erzählen weiß.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer


Geschichten von heldenhaften Solofluchten, von in den Kopfsteinpflastern zerborstenem Material, von legendären Triumpfen und zerplatzen Träumen. Paris-Roubaix, die unangefochtene Königin der Frühjahrsklassiker – sie trägt ihren Namen "Hölle des Nordens" längst nicht nur ob der von den Wirren des Zweiten Weltkriegs hart getroffenen Region.

Kopfsteinpflaster, teils aufregend, weil geschichtsträchtig, teils einfach nur lästig und rumpelig, durfte ich in meinen langen Jahren als Radsportredakteur quer durch Europa bereits einige unter die Räder nehmen. Paris-Roubaix blieb mir bisher aber stets verwehrt. Santini und Funktionsstoff-Spezialist Polartec, zwei tief im Radsport verwurzelte Traditionsunternehmen, sollten dies 2022 endlich ändern. Für alle, die es nicht wissen – Santini arbeitet seit Jahren eng mit Polartec zusammen, um seinen Schlechtwetterlinien maximale Performance, sprich Wetterfestigkeit und Atmungsaktivität zu verleihen. Bekleidung und Sitzpolster von Santini  – übrigens Ausstatter des Teams Trek-Segafredo und offizieller Partner für die allmächtige ASO (einflussreicher Veranstalter von Rennen wie der Tour de France, Paris-Roubaix, Paris-Nizza, Vuelta, …) – in der französischen Sonne antesten. Und ganz nebenbei am eigenen Körper spüren, wie es sich anfühlt, mit viel zu schmalen Reifen über die legendären Pavès zu holpern.

Aus einem anderen Holz
Selten wird einem derart bewusst, aus welch anderem Holz die Profiathleten geschnitzt sind, wie hier auf den groben, teils scharfkantigen und stets rutschigen Kopfsteinpflastern. Was teils in den TV-Übertragungen im Profi-Peloton schon herausfordernd aussieht, lässt uns Amateure zum kläglichen Häufchen Elend verwittern. Die Vibrationen lassen den Blick verschwimmen, schon nach wenigen Metern beginnen die Hände zu krampfen. Ein Wechsel der Griffposition? Unmöglich. Freie Wahl der Spur? Nur mit der Klinge zwischen den Zähnen. In dicken Gängen versuche ich das Tempo hochzuhalten, jedes km/h mehr bringt etwas Ruhe ins System, jedes verlorene km/h ist ob des Untergrunds beinahe unmöglich wettzumachen.

Nach 100 Kilometern und insgesamt sechs Pavè-Sektoren mit lächerlichen 12 Kilometern steht der versammelten Presse der Schmerz ins Gesicht geschrieben. Jenseits der 250 Kilometer, davon über 50 auf Kopfsteinpflaster gilt es für die Profis zu bewältigen. Jeden einzelnen Meter davon sollten sie zwei Tage nach unserem Schnupperkurs schneller absolvieren als wir. Bilanz meiner ganz persönlichen Paris-Roubaix-Experience? Drei verschwundene Flaschen, dreimal lösten sich die Bremshebel, dazu einmal die Verschraubung des Sattels am Kopf der Stütze. Drei Blasen zieren beim Tippen dieser Zeilen meine Handflächen und eben so viele meiner "Mitstreiter" mussten wegen diverser irreparabler Defekte mit dem Auto zurück ins Quartier. Beine, Schultern, Nacken und Arme winselten noch Abends in der Dusche um etwas Liebe. Einzig unproblematische Körperstelle? Der Allerwerteste. Hier scheint jemand bei Santini seinen Job zu kennen …