Im Hinterland von Tolmezzo in Friaul befindet sich die wohl schönste Panoramastraße für Gravel- und Mountainbiker im Norden Italiens.

Alfred Brunner
Alfred Brunner


Die durch die Südflanke des Gebirgszuges des Monte Crostis (2.250 m) aussichtsreiche Bergstraße „Panoramica delle Vette" gilt als landschaftlich schönste Panoramastraße Friaul-Julisch-Venetiens. Wichtig dabei: Dieser Geheimtipp eignet sich aufgrund des Schotters im oberen Teil perfekt für Gravel- und Mountainbiker. Mit dem Rennrad kann man es probieren, die Gefahr eines „Patschens“ ist allerdings groß.

Ich beginne die Runde in Sutrio, ein paar Kilometer nördlich von Tolmezzo. Sutrio ist bekannt für feinste Kulinarik und für das Skigebiet Monte Zoncolan im Winter. Im Sommer „reizt“ der irre steile Rennradpass „Zoncolan“, der in der superschwierigen Variante aber von der Westseite – von Ovaro – befahren wird. Gemeinsam mit meinem Freund Rolando starten wir die Tour in Richtung Norden, leicht aufwärts nach Ravascletto und wärmen uns so mit rund 400 Höhenmeter auf. Ravascletto empfängt uns als romantischer Ort mitten in den italienischen „Alpi Carniche“. Die kurze Abfahrt nach Comeglians genießen wir landschaftlich und finalmente mit einem guten Espresso.

Dann geht das Abenteuer erst richtig los! Die berühmt-berüchtigte Auffahrt startet auf 563 m Seehöhe über unzählige Haarnadelkurze zur Malga Chiadinis auf 1.900m. Die Juli-Sonne brennt unerbittlich herunter, viel trinken und langsames Pedalieren bei 8–12 % Steigung sind die beiden obersten Gebote. Die Aussicht gewährt Einblicke in traumhafte Berglandschaften, von den Dolomiten im Westen über den Monte Peralba bei Sappada, im Nordwesten bis zum Monte Crostis mit 2.250 m im Norden.

Rund 14 Kilometer mit 1.400 Höhenmeter versprechen ein bleibendes Raderlebnis bergauf. Die Übersetzung meines neuen Gravelbikes mit 40 Zähnen vorne und 42 hinten ist an sich leicht, kommt aber bei über 10 % dann doch an die Grenzen. Unterwegs grüßt uns „Jesus“, der die „ciclisti“ beschützen möge (siehe Foto). Im unteren Teil hilft der eine oder andere Schatten, im oberen Teil wird es aber echt „brutal“. Auf den letzten 2,5 Kilometern warten Rampen mit bis zu 20 %. Ich muss mich bemühen, nicht vom Rad zu fallen. Nach langer Zeit spüre ich wieder mal den Maximalpuls – mit Respekt und Demut versuche ich, nicht darüber zu gehen … Kumpel und Berggams Rolando erwartet mich am höchsten Punkt; auch er lacht ob der irren Steilheit immer noch.

Wer kämpft, erfährt aber auch Stolz und meist auch eine Belohnung. Unsere Belohnung ist doppelt: Zuerst geht es in die kultige Almhütte Malga Chiadinis, wo uns friulanische Spezialitäten erwarten. Außer uns sind noch eine Rennradrunde aus Forli, einige E-Biker und viele Offroad-Motorradfahrer mit glücklichen Gesichtern zu beobachten. Die Pause tut verdammt gut. Nun wartet die ganz große Belohnung: Die im 1. Weltkrieg angelegte Kriegsstraße „Panoramica delle Vette“ als 2. Linie zum Karnischen Höhenkamm, der umkämpften Frontlinie des 1. Weltkriegs. Die fast ebene, mit feinem Schotter überzogene Panoramastraße ist wirklich einzigartig, wir genießen die 7 Kilometer mit Freude und zahlreichen Fotostopps.

Die Abfahrt nach Ravascletto rollt dann wieder auf Asphalt, von dort geht es über den ersten Anstieg zurück nach Sutrio. Wir lassen den Tag bei Prosciutto, Formaggio, Vino, Espresso und Tiramisu ausklingen. Diese legendären 55 Kilometer und 2.000 Höhenmeter sind auf ewig abgespeichert. Che bello é!

PS: Spannend ist auch die Anekdote, dass diese Straße im Jahr 2011 – vor dem Zielort Monte Zoncolan – auch im Programm des Giro d`Italia war. Aufgrund der schmalen und im Renntempo zu gefährlichen Straße protestierten einige Fahrer einen Tag zuvor und so wurde diese Traumstraße nie Teil des Giro. Ein Gedenkstein am höchsten Punkt oberhalb der Malga erinnert heute noch an den Giro, der dort nie stattgefunden hat.