Erwin Pieler aus Rohrbach im Burgenland hat schon den Neusiedler See umrundet und sein Heimatbundesland durchquert, er ist die Großglockner-Hochalpenstraße hochgefahren und offroad vom Kitzsteinhorn runtergebrettert: Auf dem Einrad.

Christof Domenig
Christof Domenig

Es hat etwas Erhabenes, wenn Erwin Pieler auf dem Radweg dahingleitet und lächelnd einen „Stützradler“ überholt. Von seinem 36-Zoll-Einrad schaut er auf gewöhnliche Zweirad-Pedalisten – die im Jargon der Einradfahrer „Stützradler“ heißen – nämlich herunter (aber nur im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinn: Was Scherzbezeichnungen betrifft, bleiben einander Zwei- und Einradfahrer nichts schuldig). 25 bis 30 km/h sind eine gewöhnliche Reisegeschwindigkeit auf seinem Marathon-Einrad, die Pieler erreicht, bis zu 40 km/h sind drin. Mitunter radelt der burgendländische NMS-Lehrer von seinem Heimatort Rohrbach in die Schule nach Lichtenwörth, das sind 55 Kilometer hin und retour. 

„Es fühlt sich fast wie fliegen an – nur am Boden. Man floatet so richtig durch die Gegend“, erzählt der 53-Jährige mit fast jugendlicher Begeisterung in der Stimme. Das fliegende Gefühl ergibt sich logischerweise auch aus dem Blickwinkel – wenn sich das Sportgerät unterm Hintern befindet, der Blick aus luftiger Höhe in die Ferne schweift, eine Hand sich am Sattel und die andere sich zum Balancehalten in der Luft befindet. Als unbedarfter Beobachter staunt man über die Körperbeherrschung der seltenen Spezies Einradfahrer, der Erwin Pieler seit gut 20 Jahren angehört.

Fragt man nach dem Ursprung seiner Leidenschaft, holt der Rohrbacher ein wenig aus. Kurzversion: Als jungem Englisch- und Zeichenlehrer sowie leidenschaftlichem Fußballer habe man ihm damals auch gleich das Fach „Turnen“ überantwortet. Und weil er seinen Unterricht immer schon etwas anders gestalten wollte und er außerdem jonglieren konnte, kam er irgendwann aufs „Zirkusgerät“ Einrad. Zunächst für sich selbst, bald auch für seine Schüler. „Ich bin irrsinning neugierig auf alles, was es in der Welt gibt“, erklärt Pieler – der kürzlich etwa auch das Dudelsackspielen entdeckt hat und momentan „wie ein Verrückter lernt“. Mit diesem Instrument könne man das Einradfahren auch vergleichen: „Da brauchst du auch wochenlang, bis du nur einen Ton herausbringst.“ Aber genau das sei auch ein Reiz für ihn: etwas zu beherrschen, was nicht alle können, und am eigenen Leib zu spüren, welches Entwicklungspotenzial in Körper und Geist steckt.

Denn natürlich hat ihn das Einrad zunächst etliche Male abgeworfen. Als Mensch und Sportgerät sich zusammen­gerauft hatten, wurde daraus eine Leidenschaft fürs Leben. „One Wheel – One Life“ ist sein Motto. Dem in Rohrbach aber nicht nur Erwin Pieler selbst verfallen ist: 2007 hat er mit Mitstreitern die One Wheel Dragons gegründet. Der Verein brachte es in Höchstzeiten auf 85 Mitglieder, davon viele Kinder und Jugendliche, und ist bei nationalen und internationalen Wettkämpfen in den unterschiedlichsten Wettkampfdisziplinen meist ganz vorne dabei. Erstaunlich ist auch die Vielfalt innerhalb der Sportart Einradfahren: Neben dem 36-Zoll-großen Marathon-Einrad – sozusagen das Pendant zum Rennrad – gibt es die Mountain-Unicycles, genannt Munis, mit 26 oder 27,5 Zoll.

Downhill, Cross Country und Uphill – Letzteres vergleichbar mit Hillclimbing auf zwei Rädern – sind hier die Hauptdisziplinen. Im Downhill seien mit dem Muni Steilstücke fahrbar, „wo du gar nicht gehen würdest“, wie Pieler erzählt. Es gibt auch Trialbewerbe, bei denen spektakuläre Hindernisse bewältigt werden. Auf Einrädern wird Hockey gespielt, es gibt Paarbewerbe vergleichbar mit dem Eiskunstlauf und noch mehr. Fast alles hat Pieler probiert. Heute teilt sich seine Leidenschaft aufs Marathonrad und aufs Muni zu gleichen Teilen auf. „Das Spielerische“ taugt ihm dabei genauso wie das Fitness­element: „Ein Ganzkörpertraining, bei dem du nach einer halben Stunde schweißgebadet bist.“

Lebensfreude auf einem Rad
Neben Wettbewerben – wie dem Einrad-Downhill bei der Salzkammergut Trophy – stellt sich der Burgenländer auch immer wieder gern selbst ausgedachten Herausforderungen. Als Charity-Projekt hat er vor wenigen Jahren den Neusiedlersee umrundet und dabei 130 Kilometer am Stück zurückgelegt, bei 40,5 Grad Sommerhitze, und dabei Geld für die Behandlung eines Jugendlichen mit Behinderung gesammelt. Körperlich am anspruchsvollsten sei die Auffahrt auf der Großglockner-Hochalpenstraße von der Mautstelle Ferleiten weg gewesen, die er mit Vereinskollegen unternommen hat.

Wobei nur Einradfahrer wissen, wie herausfordernd Bergaufstücke mit dem Gerät sind. Mit dem Muni sind eine Handvoll One Wheel Dragons 2018 über Trails auf das Kitzsteinhorn gefahren und danach von 3100 m Seehöhe wieder im Downhill bis ins Tal hinunter gebrettert. Was Erwin Pieler ebenso gut gefällt: Die Fröhlichkeit, die Einradfahrer von Natur aus ausstrahlen, färbt auf die Umgebung ab. „Im Gegensatz zum Mountainbike bin ich auf dem Einrad noch nie auf irgendeinem Weg geschimpft worden“, erzählt er. „Ganz im Gegenteil, es kommen immer gleich die Fragen: Wie geht das, wie steigt man auf, können wir ein Foto machen?“ 

Den „Gute-Laune-Effekt“ konnte er auch auf seiner bislang längsten Tour gut beobachten. Eine Burgenland-Durchquerung von Nord nach Süd mit 239 Kilometern Länge, die er in zwei Tagen bewältigte. „Die Leute schauen dich zuerst an wie einen Außerirdischen, wenn man wo daherkommt“, erzählt er. Nachdem sich von Ortschaft zu Ortschaft die Meldung schon verbreitet hatte, dass ein Einradfahrer auf einer irren Tour daherkommt, sei er überall beklatscht, bestaunt und bewirtet worden. Als er sich in einem Hagelschauer unterstellen musste, blieb ein Autofahrer stehen und lud ihn zu sich nach Hause ein.

Lediglich zu Beginn der Coronakrise war doch alles ein wenig anders: „Da hab ich mich kaum zu fahren getraut, so bös’ haben die Leute geschaut. Der Spaß und die Unbeschwertheit, die du mit dem Einrad signalisierst, durften offenbar nicht sein“, mutmaßt er. Entsprechend hat Erwin Pieler 2020 noch Aufholbedarf an Kilometern und Höhenmetern. Seiner eigenen Lebensfreude auf einem Rad („wenn ich draufsitze, bin ich ein anderer Mensch“) tat selbst die Krise keinen Abbruch. Mit allfälligen Reisebeschränkungen im heurigen Sommer hat er überhaupt kein Problem: Es gibt schließlich in Österreich jede Menge Ziele, die es sich auf dem Einrad zu entdecken lohnt.

One wheel, one life: Erwin Pieler radelt mit dem Einrad auf den Glockner und über Trails
Erwin Pieler

aus Rohrbach (B) ist 53, verheiratet, ein Sohn (Erik, 17). Beruf: Lehrer an der NMS Lichtenwörth; Obmann des Einradclubs One Wheel Dragons Rohrbach.
WEB: www.theonewheel­dragons.at