Es rührt sich nichts im Dauerstreit um die freie Fahrt für Mountainbiker – die Forststraßen bleiben weiter zu. Was aber nach einem Justamentstandpunkt der Waldbesitzer ausschaut, ist in Wahrheit eben doch viel komplizierter, wenn man einmal emotionslos die Folgen einer Freigabe der „Waldautobahnen" durchspielt.

Von Gerhard Polzer


Tatsächlich stellt sich die Lösung dieses Problems aufgrund der realen Situation in Österreich eben nicht so einfach dar, wie es sich die Lobby der Mountainbiker vorstellt. Und das sagt ausgerechnet einer, der selbst leidenschaftlicher Outdoor-Radler ist. Aber nicht nur das: Der Grazer Jürgen Pail ist auch Veranstalter von Rennen, Entwickler von touristischen Bikeprojekten und schließlich auch Obmann eines Radsportvereins. Kurz gesagt: einer, der das Mountainbiken liebt – und auch davon lebt.

Und der auch kein Geheimnis aus seiner Grundeinstellung macht: „Prinzipiell bin ich als Mountainbiker natürlich für die Wegefreiheit – egal, ob auf Forststraßen oder Wanderwegen! Und als Biketouristiker steht für mich auch außer Streit, dass die derzeitige Situation in vielen Regionen den Bikesport in seiner Entwicklung stark behindert und damit auch ein wirtschaftliches Hemmnis im Bereich Urlaubs- und Freizeittourismus darstellt. Im Tourismusland Nr. 1, als das sich Österreich ja gern darstellt, können wir uns solche Wettbewerbsnachteile nicht wirklich leisten." Für Pail ist daher überall dort, wo Grundeigentümer auf einer 100-prozentigen Sperre für Radfahrer beharren, das Bestreben für eine gesetzliche Öffnung absolut verständlich.

Also, weg mit den Verbotstafeln, her mit einer Gesetzesänderung! Bei aller Leidenschaft ist Jürgen Pail aber auch Realist und sieht die ganze Situation viel differenzierter als die beiden „Ja-Nein"-Lager. „Politisch ist eine allgemeine Wegefreiheit in absehbarer Zeit gar nicht durchsetzbar. Aber darüber hinaus würde das Klima zwischen den Beteiligten, also Bikern, Forst-, Jagd-, Grundeigentümern, Wanderern etc. weiter polarisiert werden."

Richtungsweisend im Streitfall „Freie Fahrt" sind für Jürgen Pail vielmehr „die vielen bestehenden guten Konzepte, die im Konsens zwischen beiden Parteien bereits umgesetzt werden und eine hohe Akzeptanz bei allen Mitspielern haben. Im Optimalfall führen nämlich diese Konzepte zu einem großen, offiziell freigegebenen Wegenetz, das durch ein geduldetes ergänzt wird."

ALLE FORSTSTRASSEN AUF?
Die grundsätzliche Frage, die sich stellt: Brauchen wir überhaupt alle Forststraßen zum Mountainbiken? Durch die Entwicklung der Bikes hin zu vollgefederten Allmountain- und Freeridegeräten hat sich die Zahl derer, die auf Trails abseits von Forststraßen ihr Glück suchen, rasant erhöht. Forststraßen dienen oft nur als Aufstiegsgelegenheit und als Bindeglied zwischen zwei Trails – oder als Highways für Tourenbiker, die größere Distanzen überwinden wollen.

„In Wirklichkeit brauchen wir in den entwickelten Bikeregionen nicht mehr offene Forststraßen, sondern mehr offene Trails", sagt der Bikeexperte. „Das wollen aber die alpinen Vereine, die hauptsächlich ihr Kernklientel Wanderer vertreten, ganz sicher nicht. Sie propagieren zwar ,Forststraßen auf', meinen damit aber gleichzeitig ,Wanderwege zu'! So funktioniert aber Marktwirtschaft nicht! Fakt ist: Es gibt ein großes Angebot von Trail-tauglichen Bikes, und auch eine große Nachfrage danach. Dahinter steckt auch eine gewaltige Marketingmaschinerie, die das Biken auf Trails propagiert – und die Biker wollen das einfach!" Daher muss es tragfähige Lösungen geben, die das ermöglichen, was die Leute heute wollen und nicht das, was sie vor 20 Jahren wollten. „Und das sind heute abwechslungsreiche Trails und nicht breite, fade Forststraßen." In diesem Zusammenhang urgiert Pail auch als Vereinsobmann: „Wie sollen wir Jugendarbeit im Mountainbikesport machen, wenn es weithin die ,Sportstätten' dafür nicht gibt? Unser Trainingsgelände sind nun mal Trails und nicht Forststraßen."

"RAUCHERGESETZ" IM WALD
Das größte Problem aber sieht unser Bikexperte auf die gesamte Szene zukommen, wenn die von der Bikelobby vehement geforderte Gesetzesänderung tatsächlich „freie Fahrt auf Forststraßen" genehmigen würde: „Wenn dieser Prozess der Gesetzwerdung alle in Österreich existierenden Einflussbereiche und Lobbygruppen durchlaufen hätte, würde am Ende ein ,Rauchergesetz im Wald' auf dem Papier stehen. Mit dem gleichen durchschlagenden Ergebnis wie bei den Rauchern und Nichtrauchern: Alle wären auf alle böse, niemand würde sich auskennen und sektiererische Randgruppen auf beiden Seiten würden das Kommando in einem dauerhaften Kleinkrieg übernehmen", prophezeit Jürgen Pail. Die Öffnung würde nämlich bis zum endgültigen Gesetz durch allerlei Einschränkungen in allen möglichen Gesetzesmaterien (Forst, Jagd, Naturschutz etc.) so verwässert werden, dass die Biker zwar theoretisch auf allen Forststraßen fahren dürften, praktisch aber selbst dort nicht wirklich überall. Und vor allem wären die geliebten Trails gesperrt, weil die Gegnerschaft sagen kann: „Jetzt habt ihr eh ein Riesennetz an Forststraßen ..."

LÖSUNGEN IM KONSENS
Wie also können aus Sicht des Bikersportlers, Bikeveranstalters und Biketouristikers Jürgen Pail praktikable Lösungen ausschauen? „Es geht meiner Meinung nach nur über klare Konzepte in definierten Bikeregionen und mit dem Aufbau einer Vertrauensbasis unter Einschluss der wesentlichen Beteiligten. Verträge mit den Grundeigentümern, wo notwendig, Duldung durch die Grundeigentümer, wo möglich, gebaute Sportstätten, sprich Trail Areas, wo sinnvoll – und klare Regeln für alle. Es gibt genug Beispiele, wo das bereits seit Jahrzehnten funktioniert und wo die Extremisten auf beiden Seiten nicht das große Sagen haben, sondern zunehmend verstummen."

Prinzipiell mahnt der Bikeexperte bei dem ganzen Thema viel mehr Gelassenheit ein – es gehe schließlich nicht um Leben und Tod und es sei auch kein Problem, das ans elementare Dasein rührt: „Im Angesicht von weltweit explodierenden Kriegs-, Hunger- und Umweltkatastrophen können wir uns glücklich schätzen, unsere Zeit einem solchen Thema so intensiv widmen zu können. Lassen wir also die Kirche im Dorf und die Stollenreifen am Boden – auf welchem auch immer ..."

POLITIK IST GEFORDERT
Auch die SPORTUNION, Österreichs zweitgrößter Sportdachverband und Vertreter zahlreicher MTB-Vereine, hat in der Streitsache „freie Fahrt" Stellung bezogen, fordert ebenfalls individuelle Lösungen als sinnvollste Variante! „Eine Freigabe aller Forststraßen unter Ausschluss der Singletrails geht an der Entwicklung des Sports vorbei und löst daher nicht die bestehenden Konflikte. Und eine generelle Freigabe aller Forststraßen und Trails, wie es der Verein upmove fordert, birgt ein nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial für Wanderer und Biker gleichermaßen. Abgesehen davon, dass eine generelle Einigung äußerst unwahrscheinlich ist." Geht es nach der SPORTUNION, dann ist jetzt die Politik gefordert, die bestehenden Modelle von privaten Initiativen aufzugreifen und die Entwicklung möglichst vieler weiterer Projekte aktiv zu unterstützen. „Dabei sollte man allerdings nicht auf die Initiative von privaten Organisationen und Vereinen warten, sondern es müssen Modell­lösungen aktiv von den zuständigen Behörden und Institutionen in Angriff genommen werden."

Jürgen Pail vom Bikeclub Giant Stattegg / Bild: Erwin Haiden

Der Experte

JÜRGEN PAIL ist der Obmann des Bikeclub GIANT Stattegg, der mit 850 Mitgliedern der größte Mountainbikeclub Österreichs ist. In seiner selbstständigen Tätigkeit bewegt er sich seit 1997 vorwiegend im Mountainbikeveranstaltungs- und Projektbereich. Er ist unter anderem für das Projekt „bikeCULTure Region Graz“ der Tourismusregion Graz als Projektleiter zuständig.

Als OK-Chef war er für die UEC MTB EM 2003 und die UCI MTB WM 2009 verantwortlich. Jährlich leitet er die UEC Jugend EM, den Grazer Bike-Marathon Stattegg und das Grazer Bike-Opening Stattegg.

Kontakt: pail@bike03.at


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