Ein Mountainbiker mit Elektroschub – ist das nicht wie ein Triathlet mit Schwimmhilfen? SPORTaktiv-Bikeexperte Wolfgang Preß über seine Erfahrungen und Erlebnisse mit dem E-Mountainbike.

Von Wolfgang Preß


An meine allererste Fahrt mit einem „Elektro-Bergrad“ kann ich mich noch gut erinnern: Vor sieben Jahren stellte der Schweizer E-Bike-Pionier Biketec den „X-Flyer“ vor, eine erste geländegängige Version seiner sonst recht gemütlichen E-Räder. Und einige Kollegen und ich waren einen Vormittag lang in den eher sanften Bergen rund um Emmetten, hoch über dem Vierwaldstättersee, mit viel Spaß über die flowigen Trails gefräst, bis wir die Bikes wieder im Hotel abgeben mussten.

Als ich mich später im Zimmer umzog, habe ich wie nach jeder Biketour mein nasses Shirt am Balkon aufgehängt – und erst da fiel mir auf: Wieso bin ich eigentlich völlig verschwitzt? Hallo, ich war doch mit einem E-Bike unterwegs! Sollte mein Trikot nicht eher trocken sein? Und ich nicht ziemlich kaputt, sondern total entspannt?

Als ich das Problem beim Mittagessen auf den Tisch brachte, war die Zustimmung bei den anderen Journalisten groß: „Stimmt, jetzt wo du es sagst!” Die Flyer-Presseleute dagegen lachten. So sei es bisher bei jeder Veranstaltung gewesen, wenn sie den X-Flyer vorstellten: „Die meisten sind danach fast genauso fertig wie mit den normalen Bikes. Aber: Wir haben meistens ungefähr doppelt so viele Kilo- und Höhenmeter geschrubbt wie ohne E-Unterstützung.“

Das war, wie gesagt, meine erste Erfahrung mit einem E-Mountainbike. Und seitdem hab ich es tatsächlich noch nie hinbekommen, mal „elektrisch“ in den Bergen unterwegs zu sein, ohne ordentlich zu schwitzen. Aber dafür hab ich mit ultrafitten Kollegen mithalten können und Touren und Steigungen geschafft, die ich ohne E-Schub so sicher nicht mehr gefahren wäre. Dieses Jahr werde ich 55 ...

„Auch wenn so mancher das noch immer glaubt: Wie jedes Pedelec fährt auch ein E-Mountainbike nicht von allein, schon gar nicht bergauf“, weiß Tobias Spindler vom deutschen Hersteller Riese + Müller: „Der elektrifizierte Bergradler muss sich die Abfahrt genauso verdienen wie ein Biker ohne Unterstützung. Er kommt bloß weiter und höher, als es für ihn mit reiner Muskelkraft möglich wäre.“

Vergangenheit aber ist der Gipfelsturm mit hochrotem Kopf, denn Überlastungserscheinungen lassen sich auf dem E-MTB leichter vermeiden. Das macht das E-Bergrad auch für Radsportler interessant, die gezielt trainieren und die Belastung nach Belieben dosieren wollen. Ausgewiesene Bewegungsmuffel dagegen werden schnell feststellen, dass auch Mountainbiken mit Motor anstrengend ist.

DER QUEREINSTEIGER
Ein ausgewiesener Radsportler dagegen ist Guido Tschugg. Der gebürtige Allgäuer zählt zu den erfolgreichsten Bikern Deutschlands: Er fuhr in den vergangenen Jahren in 4cross-, Downhill- und Freeride-Rennen diverse Podiumsplätze ein, sechsmal war er deutscher Meister. Und zweimal war er als einziger Deutscher bei der „Red Bull Rampage“ dabei, dem wohl härtesten Freeride-Event der Welt.

Im Januar des vergangenen Jahres wurde Tschugg dann „Testimonial“, wie es im Marketing-Sprech so schön heißt, für die elektrischen Bergräder des E-MTB-Vorreiters Haibike. Nicht weniger als 51 Elektro-Bergziegen hat der Hersteller aus Unterfranken mittlerweile im Programm; darunter drei Fatbikes und eine ausgewachsene Downhill-Kanone, mit der Guido häufig zu sehen ist – auch in diversen Anzeigen in einschlägigen Fachblättern.

Video: Guido Tschugg mit dem E-MTB in Kroatien

Wir sehen uns dagegen „live“ am Chiemsee in Oberbayern, unweit seiner Heimatstadt Prien. Guido hat sein „Xduro Downhill“ mitgebracht und für mich ein „Sduro Nduro“, das ich mal ausprobieren wollte, da ich noch nie ein „offenes“ E-Bike gefahren bin. Also eines, das bis 45 km/h Unterstützung gibt. „Mit der Kiste bin ich auch gern unterwegs“, grinst Guido, als er mir das Rad rüberschiebt – „ich liebe einfach die Geschwindigkeit ...“

DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN
Guido Tschugg wollte als Kind eigentlich Motocrosser werden, wie sein Vater. Dann fuhr er sein erstes BMX-Rennen, direkt auf den 2. Platz – und so blieb er beim Rad. „Jetzt hab ich alles! E-Bikes sind für mich die perfekte Kombination aus beiden Welten“, erklärt der 38-Jährige: „Die nächsten Jahre werden spannend, und ich freue mich darauf, den Soul von Mountainbike und Motocross zu kombinieren.“

Aber wie kommt er mit dem Gegenwind zurecht, der ihm vor allem im Netz entgegenschlägt, seit er sich für E-Bergräder engagiert? Kommentare wie: „Warum steigt jemand von einer Downhill-Rakete auf einen Rollator um?“ sind noch die harmloseren. Guido lacht: „Die Reaktionen sind eigentlich immer die gleichen. Viele sagen erstmal: ,Nö, so ein E-Bike, das ist nix für mich.‘ Aber jeder, der dann mal ein paar Runden elektrisch geschrubbt hat, der sagt hinterher: ,Wow, das ist ja richtig geil!‘“

DIE KISTE ZISCHT AB
Wir starten auf Radwegen zu unserer Runde um die Kampenwand, eines der Lieblingsreviere der Chiemgauer Biker. Und das „Sduro" geht richtig ab: 35, 40, 45 – die Kiste zischt dahin wie Harry Hirsch: „Wow, das ist ja richtig geil!", denke ich und wechsle lieber auf die Straße, da der Radweg etwas unübersichtlich wird.

Dann höre ich hinter mir ein fernes Rufen – Guido ...! Klar, der hat mit seinem auf 25 km/h beschränkten Downhiller keine Chance, länger mitzuhalten. Grinsend warte ich auf ihn. „Ned schlecht, oder?", meint er und ich kann nur nicken. Und was hat das E-Mountainbike sonst noch für Vorteile? „Na, wenn ich downhill fahren will, macht es mich vom Lift unabhängig", weiß Guido. Und selbst da, wo es Bergbahnen gibt, ist das E-MTB vorne, erzählt der Elektro-Botschafter: „Vor Kurzem war ich beim After-Office-Ride im Bikepark Samerberg. Der Lift dort braucht 14 Minuten, bis du oben bist. Wenn du anstehen musst, noch länger. Aber wenn du die gleiche Strecke mit dem E-Bike hochfährst, bist du in sechs Minuten oben."

In eineinhalb Stunden habe er an diesem Tag mit einer Akkuladung sechs Fahrten rauf und runter gemacht, erinnert sich Guido: „Wer liftelt, schafft in der Zeit maximal drei Fahrten. Du kommst definitiv mehr zum Fahren! Klar, am Ende war ich fix und fertig, weil ich 90 Minuten lang Vollgas gegeben hatte."

AUSGLEICHSWIRKUNG
Aber nicht nur zum Vollgas-Geben sind E-Mountainbikes geeignet. Eine weitere ihrer Stärken liegt darin, Leistungsunterschiede zwischen Partnern oder innerhalb von Gruppen auszugleichen. „Sicher, der Stärkere kann auch warten. Aber wenn der Schwächere gut mithält, macht es beiden mehr Spaß", sagt Helmut Schreiber, Apotheker in Bad Goisern und seit zwei Jahren E-Bergradler: „Auch wenn sich ein Biker aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu stark belasten darf – Stichwort Herzfrequenz – ist ein E-Bike eine echte Hilfe. Und zudem kann ein E-MTB ein sonst zu weit entferntes Bike-Revier gewissermaßen näher heranholen. Reichweiten-Verlängerung sozusagen."

Am meisten schätzt der passionierte Tourenfahrer jedoch den Flow: „Mit einem Elektro-Mountainbike erreiche ich den schon beim Uphill, wo ich mir sonst, ohne Unterstützung, eher schwertue." Und noch ein Vorteil fällt Helmut Schreiber ein: „Unter unseren Freunden sind sportliche Eltern, die gern mit ihren Kindern im Anhänger unterwegs sind. Die müssen sich mit dem E-Mountainbike nicht mehr auf Asphaltstrecken in der Ebene beschränken, sondern können auch mal mit uns in die Berge – zumindest, solange der Weg breit genug ist."

UNNÖTIGE SCHWARZMALEREI
Die Argumente pro E-Bergräder finden mittlerweile selbst bei den „echten" Bikern Anerkennung. So haben die Leser des Magazins „Mountainbike" im vergangenen Jahr das E-getriebene Haibike Xduro Nduro bei der Wahl zum „Mountainbike des Jahres" auf Platz zwei gehievt. Aber die Unkenrufe bleiben: Es werde in den Bergen bald von E-Radlern wimmeln, die ihre Grenzen überschreiten und dann nicht mehr herunterkommen. Für den Fachjournalisten Gunnar Fehlau vom „Pressedienst Fahrrad" ist das nichts Neues: „Wer sich daran erinnert, wie die ersten Fullys mit effektiven Dämpfer-Systemen auf den Markt kamen, hat ein Déjà-vu: Da wurde auch von ,altgedienten Bikern' behauptet, dass jetzt so ungefähr jeder in den Bergen fahren kann und sich die Unfälle häufen werden. Und was ist passiert? Wenig – außer dass bald die meisten Fullys fuhren."

Bemerkenswert sei zudem, so Fehlau, dass E-Mountainbikes einerseits als „Krücken" für unsportliche, übergewichtige Senioren dargestellt werden, dann aber im selben Atemzug als brandgefährliche Boliden für Adrenalin-Junkies, die den Ruf der unmotorisierten Sportler gefährden. „Zugegeben, in beiden Stereotypen steckt ein wahrer Kern", sagt der E-Bike-Experte, „E-Bikes ermöglichen auch weniger trainierten Fahrern anspruchsvolle Touren. Aber es ist ohne Motor viel wahrscheinlicher, sich zu überschätzen. Ist es da nicht besser, nach einem Anstieg aus eigener Kraft noch genügend körperliche Reserven für die Abfahrt zu haben?"

Ein „mörderisches" Tempo erreicht man mit Motorkraft sowieso nicht: Im Wald sind nur Bikes zugelassen, die bei 25 km/h die Unterstützung abriegeln. Allenfalls lässt sich bergab das Mehrgewicht in zusätzliche Geschwindigkeit umwandeln. Dafür erfordern technische Passagen auf dem E-Mountainbike durch das höhere Gewicht aber mehr Geschick – wenn auch der durch den Mittelmotor tiefe Schwerpunkt im Gelände Vorteile bringt.

„Hier wird offensichtlich versucht, den Schwarzen Peter für Konflikte mit Wanderern pauschal an die E-Mountainbiker weiterzureichen", meint Gunnar Fehlau: „Dabei ist Rabaukentum eine Frage der Einstellung und nicht des Antriebs. Man fährt ja nicht nur mit den Waden Fahrrad, sondern auch mit dem Kopf."

In diesem Sinn: Ride on – ob mit oder ohne E-Antrieb. Und wer ihn noch nicht kennt: ausprobieren! An eure erste Fahrt werdet ihr euch sicher lange erinnern ...


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