Timo Pritzel aus dem Athleten-Team von NOX Cycles nutzt das E-MTB für die Naturerfahrung und lädt mit Yoga die eigenen Akkus wieder auf.
Von sportlich ambitionierten Radlern der unterschiedlichen Sparten wurden E-Bikes in jeder Form lange Zeit skeptisch betrachtet. Zwar wurde ihr Potenzial im innerstädtischen Verkehr und für die „letzte Meile“ schnell erkannt, in sportlicher Hinsicht waren sie aber eher verpönt. Das muss auch die deutsche Freeride-Legende Timo Pritzel eingestehen: „Ich muss zugeben, dass ich E-Bikes erst einmal etwas uncool fand.“ Aber auch er hat seine Einstellung zum Stromantrieb geändert. „Als ich das erste Mal, circa 2015, auf einem guten E-Bike saß, dabei ein Grinsen im Gesicht hatte und ich gemerkt habe, dass hier neue Türen aufgehen, war ich überzeugt.“
E-Aufsteiger
Ob Downhill-Bike, Renner oder das bewährte Tourenrad – E-Bikes haben den Zweiradmarkt auf den Kopf gestellt. Die E-Motoren sind leichter und kompakter und haben sich so auch als Aufwärtshilfe für Downhiller und Touren-Extender für Rennradfahrer herausgestellt: „Ich finde es auch schön, dass viele dank des E-Bikes ihr Auto stehen lassen können. Und dass Paare, die sonst wegen des Leistungsunterschiedes keine Touren zusammen fahren, das jetzt können“, sagt der Berliner.
Besonders im Downhill-Bereich spielen Balance und Gewichtsverteilung eine zentrale Rolle. Auch hier haben die Hersteller die richtige Mischung gefunden. Das bestätigt auch Timo: „Man musste früher sozusagen für jede Bike-Disziplin ein Bike haben. Nun hat man Fahrräder, die sozusagen Alleskönner sind. Da stört mich auch das etwas höhere Gewicht beim Springen nicht, denn teilweise liegt es sogar sicherer in der Luft.“
Während die Entwickler die Bikes nicht neu erfinden mussten, bietet das Altbewährte in Verbindung mit einer Antriebshilfe völlig neue Möglichkeiten: „In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan und man muss wirklich nicht mehr viel Kompromisse eingehen. Damals habe ich den Trail-Moto-Crossern zugeschaut und fand es beeindruckend. Das Bergauffahren war das, was mich am E-Bike überzeugt hat. Es ist fast noch mal eine neue Disziplin und es macht echt Spaß, technische Passagen hochzufahren, wo man vorher nicht hochgekommen wäre.“ Wichtig ist aber auch, und das hebt der Profi hervor, dass immer der Respekt gegenüber den anderen Benutzern der Trails und der Natur gewahrt sein muss.
Die Natur braucht Timo aber auch, um die eigenen Akkus wieder aufzuladen: „Wenn ich selber einen vollen Tag habe, meine Batterie leer ist und ich unter Zeitdruck stehe, kann ich dank des E-Bikes noch mal schnell in die Natur. Dann fahre ich zur Havel oder auf den Teufelsberg in Berlin, um einen weiten Blick auf den Sonnenuntergang zu haben.“
Downward-Facing-Biker
Neben den ruhigen Momenten in der Natur hilft ihm seit 2002 auch Yoga dabei „den Affen im Kopf zur Ruhe zu bringen“. Denn das Leben als Bike-Pro ist alles andere als ein gewöhnlicher Nine-to-five-Job. Zur körperlichen Anstrengung kommt die mentale Anspannung, die beim Leistungssport allgegenwärtig ist. Und so wie die Regeneration in den Trainingsalltag integriert werden muss, braucht auch der Kopf eine Pause: „Für mich ist Yoga Meditation in Bewegung. Der Kämpfer in mir übt beim Yoga mal den Wettbewerbsgeist zu entspannen und einfach nur Freude an der Bewegung zu haben. Es geht darum, aus dem Fight-or-Flight-Modus herauszukommen und nach einer guten, tiefgehenden Yoga Klasse können die meisten endlich mal loslassen.“
Yoga unterstützt aber auch die Koordination und den gesamten Bewegungsapparat. Timo sieht das als eine Investition in die eigene Zukunft: „Ich spüre mich mehr, bin bewusster und höre mehr auf meine Intuition. Wenn ich eine Auszeit brauche, nehme ich sie mir, bevor es zu spät ist. Ich atme tiefer und habe dadurch mehr Energie und ich weiß, dass ich mit dem Yoga eine Disziplin gefunden habe, die mich bis ins hohe Alter fit und glücklich halten wird und dafür sorgt, dass ich meinen Sport so lange wie möglich ausüben kann.“
Durch eine Verletzung hat Timo die Vorzüge des E-Bikes kennengelernt. Heute hilft ihm Yoga dabei, Verletzungen vorzubeugen: „Mit mehr Flexibilität kann mein Körper Verletzungen und Stürze besser auffangen. Und ich verletze mich weniger, weil ich eine bessere Balance, einen klareren Fokus und einen gesünderen und ganzheitlich trainierten Körper habe.“ Sein Wissen gibt der ehemalige BMX-Dirt- Weltmeister auch als Yoga Lehrer weiter.
Strom aus
Yoga hilft dem 46-Jährigen dabei, die eigenen Akkus wieder aufzuladen, E-Motoren nutzt er für eine neue Naturerfahrung, die zuvor auf dem Downhill-Bike nicht möglich war. Trotzdem, warnt Timo, sollten wir nicht alle technischen Möglichkeiten unreflektiert übernehmen: „Ich habe persönlich gemerkt, wie das Telefon mich zu sehr ablenkt und in seinen Bann zieht. Zum Beispiel wie wichtig es für mich ist, die erste Stunde des Tages gut zu nutzen und nicht das Telefon anzumachen, damit ich mich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Der Unterschied, wenn man morgens erst mal in den Himmel schaut und einen Spaziergang macht oder Zeit für Sport hat, anstatt in das Telefon zu schauen, ist riesig.“
Unter dem Schlagwort „digital detox“ versucht er die Screentime bewusst und produktiv zu nutzen, anstatt Stunden, die er in der Natur verbringen könnte, vor dem Bildschirm zu sitzen. Timo versinnbildlicht die Problematik mit einem praktischen Beispiel: „Bei mir im Fitnessstudio musste ein Handyverbotschild in der Sauna aufgehängt werden, weil zu viele Teenager selbst hier ihr Gerät nicht liegen lassen konnten.“ Es müssen also nicht nur Geist und Körper ab und zu abschalten, auch das Smartphone sollte öfter dunkel bleiben. „Dabei geht es darum, auch zu lernen im Moment zu sein. Einfach nur zu sein und nichts zu tun.“